Flüchtlingskinder in Kitas

Traumabewältigung und Spracherwerb

Flüchtlingskinder, die mindestens ein Jahr alt sind, haben einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz – genau wie jedes anderes Kind, das in der Bundesrepublik lebt. Das ist für die Einrichtungen eine große Herausforderung, so Pia Theresia Franke, Geschäftsführerin des Verbands katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern.

Flüchtlingskinder in den Kitas - eine Bereicherung, aber auch eine Herausforderung (Bild: Robert Kneschke - fotolia.de) © Robert Kneschke - fotolia.de

mkn: Frau Franke, manch einer wird sich vielleicht provokant fragen- warum müssen Flüchtlingskinder überhaupt eine Krippe, einen Kindergarten oder Hort besuchen?

Franke: Erstmal ist es so, dass ein Flüchtlingskind, das älter als ein Jahr ist, den Anspruch auf einen Betreuungsplatz hat, genau wie jedes andere Kind, das in Deutschland lebt. Und der Anspruch gilt dem Wohle des Kindes. Diese Kinder sind nicht einfach umgezogen. Sie haben sich auf der Flucht befunden und sie suchen hier in Deutschland Sicherheit und Stabilität. Und diese kann ihnen die Kita in besonderem Maße geben.

mkn: Stichwort Spracherwerb – auch hier ist die Kita entscheidend?

Franke: Ja, auf keine andere Art und Weise kann man Sprache so gut lernen wie im Spiel untereinander. Dazu kommen natürlich noch spezielle Fördermaßnahmen, die die Kita bietet.

mkn: Kinder, die auf der Flucht waren, haben einen besonderen Anspruch. Worin sehen Sie die größte Herausforderung für Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen und Sozialpädagogen in den Einrichtungen?

Franke: Diese Kinder haben schlimme Dinge erlebt und das Thema Traumatisierung ist ein großes Feld. Gerade im vorschulischen Alter ist es schwierig festzulegen, was Traumatisierung ganz genau heißt. Die Heckscher Klinik forscht gerade intensiv zu diesem Thema. Für die Einrichtungen heißt es konkret, dass mit vielen Spielen oder Formulierungen sensibler umgegangen werden muss. Beispielsweise laute Geräusche, zum Beispiel bei Sing- und Klatschspielen, können bei Flüchtlingskinder schlimme Erinnerungen und große Ängste auslösen. Eine Kita-Leitung berichtete mir auch, dass eine Klebepistole, wie sie ja bei Bastelarbeiten oft verwendet wird, bei einem Kind aus einem Kriegsgebiet große Angst auslöste. An all so was muss man denken, wenn Flüchtlingskinder in der Kita betreut werden.

mkn: Wichtig ist da sicher der enge Erfahrungsaustausch untereinander, Sie haben aber noch ein spezielles Angebot für Pädagogen.

Franke: Das ist eine Weiterbildung zum Thema Traumapädagogik, die wir in Zusammenarbeit mit der Katholischen Stiftungsfachhochschule durchführen werden. Sie startet im November. In sechs Modulen geht es einerseits darum, die Grundlagen der Traumapädagogik zu vermitteln, aber es wird auch die Situation in der Kita genau angeschaut. Zum Beispiel wird der Frage nachgegangen werden, wie man Kindern wieder Verlässlichkeit und Stabilität erfahren lassen kann. Den Erziehern, Kinderpflegern und Sozialpädagogen sollen Hilfestellungen gegeben werden, wie sie mit postraumatischen Belastungsstörungen bei Kindern umgehen können. Zwischen den Modulen liegen Praxisphasen und die sechste Einheit wird auch eine Supervision beinhalten, denn natürlich ist ein Flüchtlingskind in der Gruppe zu haben auch für die Betreuer nicht einfach. Die Kosten für die Weiterbildung liegen bei 690 Euro.

mkn: Wie gehen überhaupt die anderen Kinder mit den Flüchtlingskindern um?

Franke: Grundsätzlich sind Kinder da natürlich viel, viel offener als wir Erwachsenen. Aber ein wichtiges Thema ist „Abschied“. Viele der Flüchtlingskinder besuchen nur für eine kurze Zeit eine solche Einrichtung. Ein Hortkind sagte neulich zu mir: „Jetzt hat der endlich richtig deutsch gelernt, jetzt könnten wir richtig spielen und jetzt ist er schon wieder weg.“ Also das Thema Abschied ist ein ganz wichtiges.

mkn: Die kurze Verweildauer der Kinder im jeweiligen Haus stellt auch die Einrichtungen vor große Schwierigkeiten.

Franke: Wir haben in Bayern eine sogenannte „kindorientierte Förderung“ - entsprechend ändert sich mit Kindern, die kommen und nach ein paar Wochen möglicherweise wieder gehen, ständig der Anstellungsschlüssel. Wenn aber, wie schon gesagt, Stabilität und Verlässlichkeit für die Kinder wichtig ist, dann ist es eben auch wichtig, dass das Personal bleibt und nicht entsprechend des Buchungsverhaltens ständig wechselt, oder Stunden reduzieren oder aufstocken muss.

mkn: Was würden Sie sich da für die Zukunft wünschen?

Franke: Es ist unser diakonischer Auftrag gute Bedingungen für alle zu schaffen. Und natürlich sind die Flüchtlinge da für uns auch eine große Chance und es ist toll Vielfalt zu erleben. Aber trotzdem brauchen wir unabhängig von der „kindorientierten Förderung“ mehr Finanzierung für die Rahmenbedingungen. Mehr Beratungs- und Betreuungsbedarf braucht mehr Personal und Zeit. Dann braucht das Personal, wie schon angesprochen, mehr Fortbildung und Kenntnis auf dem Gebiet der Traumapädagogik und Teamfortbildung und zum Thema Personalentwicklung, aber auch spirituelle Begleitung, um für sich selbst Hilfestellung zu bekommen. Außerdem ist ganz wichtig, eine bessere Vernetzung und Kooperation zu schaffen.

Das Interview führte Stefanie Schmid. Das komplette Interview hören Sie ab dem 8. September auf kitaradio.de

Verband katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern