Das größte Defizit sei gewesen, die Betroffenen von Missbrauch nicht genug in den Blick genommen zu haben, sagte Kardinal Reinhard Marx zu Beginn der Pressekonferenz anlässlich des vor einem Jahr veröffentlichten Missbrauchsgutachtens. Ihre Anliegen und Bedürfnisse seien zu wenig berücksichtigt worden - "das müsse er als Erzbischof selbstkritisch einordnen". Er bat um Entschuldigung für das damit verbundene Leid, für das er als Erzbischof Verantwortung trage: "Ich kann Geschehnisse nicht rückgängig machen, aber jetzt in Zukunft anders handeln. Das tue ich und kann es immer wieder verbessern."
Einrichtung einer neuen Stabsstelle
In den vergangenen zwölf Monaten ist die Stabsstelle "Seelsorge und Beratung für Betroffene von Missbrauch und Gewalt" eingerichtet worden. Diese wird von Pfarrer Kilian Semel geleitet, der selbst als Kind von einem Priester sexuell missbraucht wurde. Er ist davon überzeugt, dass er durch seine eigene Erfahrung anders auf Betroffene zugehe als jemand, der es nur von der "Theorie" kenne. Im vergangenen Jahr haben sich 100 Personen an die Stelle gewandt. Die meisten Menschen waren zwischen Mitte 60 und Anfang 80 Jahre alt. "Gerade in den 50er, 60er, 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe eine hohe Zahl an Missbrauch stattgefunden, die nicht an die Öffentlichkeit gekommen ist", erläutert Semel die Altersstruktur. Für viele sei der Weg an die Öffentlichkeit eine "Retraumatisierung", da viele Bilder und Erinnerungen hochkommen. Es gehe daher darum, konkrete Hilfe anzubieten, um jemanden in dem Prozess zu begleiten: "Was können wir für Dich tun, damit Du das gut verarbeiten und aufarbeiten kannst?" Neben Pfarrer Semel sind auch zwei Psychologinnen mit Therapieerfahrung bei der Stabsstelle angestellt, die in Zukunft personell weiter ausgebaut werden soll.