Aufarbeitung von Missbrauch

Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen im Erzbistum München ein

Die Staatsanwaltchaft hat ihre Ergebnisse vorgestellt: Die Taten sind verjährt oder den Verantwortlichen konnte keine Beihilfe nachgewiesen werden. Nicht nur der verstorbene Papst Benedikt XVI. stand im Fokus der Ermittlungen.

Das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde im Januar 2022 veröffentlicht. © KNA

Die Staatsanwaltschaft München I hat ihre Ermittlungen gegen kirchliche Verantwortungsträger der Erzdiözese München und Freising in Sachen Missbrauch eingestellt. Das teilte die Behörde am Dienstag bei einer Pressekonferenz in München mit. Entweder seien die Taten bereits verjährt gewesen oder den Verantwortlichen - den früheren Münchner Erzbischöfen Joseph Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) und Friedrich Wetter sowie Generalvikar Gerhard Gruber - habe man keine Beihilfe nachweisen können. Sollten aber bisher anonym gebliebene Betroffene noch Anzeige in nicht verjährten Fällen erstatten, könne man Ermittlungen auch wieder aufnehmen.

Münchner Missbrauchsgutachten strafrechtlich "wenig ergiebig"

Als Grundlage für ihre Untersuchungen diente den Ermittlern das von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) im Auftrag der Erzdiözese München und Freising erstellte Missbrauchsgutachten, das im Januar 2022 veröffentlicht worden war. Es bezieht sich auf den Zeitraum 1945 bis 2019. Nach den Worten des Leitenden Oberstaatsanwalts Hans Kornprobst ist dieses Gutachten für die kirchenrechtliche Aufarbeitung und gesellschaftliche Debatte von "großer Bedeutung"; strafrechtlich erweise es sich dagegen als "wenig ergiebig". Die meisten Fälle seien bereits verjährt oder die Beschuldigten schon gestorben.

Staatsanwalt: Kirche bekommt keine Sonderbehandlung

Zugleich widersprach Kornprobst Vorwürfen, wonach die Justiz die Kirchen mit Samthandschuhen anfasse. Kein Staatswalt, keine Staatsanwältin habe Hemmungen gegen einen Geistlichen oder Angehörigen welcher Kirche auch immer zu ermitteln: "Wir ermitteln gegen Politiker, Wirtschaftsbosse, Bandenchefs, Film- und Sportstars, ... wieso sollten wir ausgerechnet bei der Kirche besondere Milde walten lassen? Die Kirche besitzt keine strafrechtlichen Sonderrechte." Auch sei die jüngste Durchsuchung des Erzbischöflichen Ordinariats und des Erzbischöflichen Palais, des Amtssitzes von Kardinal Reinhard Marx, in München "keine symbolische Aktion" gewesen, sondern aufgrund der Gegebenheiten erfolgt. Dem Erzbistum attestierte Kornprobst "uneingeschränkte Kooperation" und "unbedingten Aufklärungswillen". Auf die Nachfrage mehrerer Journalisten, warum sich die Justiz nicht bereits das Missbrauchs-Gutachten von 2010 "besorgt" habe, um früher und umfassender aufklären zu können, antwortete die Pressesprecherin, Oberstaatsanwältin Anne Leiding, damals sei keiner der untersuchenden Staatsanwälte im Amt gewesen. Rückblickend müsse man sagen, das Gutachten von 2010 sei nicht für strafrechtliche Ermittlungen gedacht gewesen, sondern um zu klären, wie man Strukturen verbessern könne, damit Missbrauch nicht mehr vorkomme.

Bitte an Betroffene, sich zu melden

Leiding nutzte die Pressekonferenz zu einem Appell: sie rief Betroffene dazu auf, sich bei der Justiz zu melden. Das sei immer der beste Anhaltspunkt für Untersuchungen, viel besser als Gutachten.

Wie die zuständige Ermittlungsstaatsanwältin Angela Miechielsen weiter ausführte, waren von den 45 im WSW-Gutachten aufgelisteten Fällen sechs für die Justizbehörde relevant wegen möglicher verfolgbarer Taten. Darunter fand sich jener Fall des 1980 aus Essen nach München versetzten Priesters H. Der Vorgang um seine Person umfasst im Gutachten einen eigenen Band. Der Geistliche war 1986 vom Amtsgericht Ebersberg wegen Kindesmissbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, später aber wieder in der Pfarrseelsorge eingesetzt worden.

Kein Geheimarchiv mit besonderen Personalakten

Der Verdacht, dass es im Erzbistum München und Freising nach wie vor noch einen sogenannten Giftschrank mit besonderen Personalakten gebe, wie zwei Zeugen berichteten, habe entkräftet werden können, ergänzte Miechielsen. Dieser sei 2011 vom damaligen Generalvikar aufgelöst und die Dokumente seien den Personalakten zugeordnet worden. Auch im Geheimarchiv von Kardinal Marx, das einer Vorgabe des kirchlichen Gesetzbuchs CIC nach vorgehalten werden müsse, seien keine der Aufklärung dienenden Unterlagen gefunden worden.

Der bei der Pressekonferenz anwesende Vorsitzende des Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising, Richard Kick, mahnte an, dass die bayerische Staatsregierung mehr Verantwortung für Betroffene sexualisierter Gewalt im klerikalen Kontext, aber auch insgesamt übernehmen müsse. "Wir haben hier nur über Täter gesprochen. Im Focus müssen die Betroffenen stehen!"

(kna/Witte)

 

Wenn Sie selbst von Missbrauch betroffen sind, oder jemanden kennen, der von Missbrauch in der katholischen Kirche betroffen ist, dann finden Sie auf der Seite der Deutschen Bischofskonferenz Informationen, wohin Sie sich wenden können. Auch im Erzbistum München und Freising gibt es verschiedene Anlaufstellen für Betroffene.