Pilgern

Sehnsuchtsort Kloster Andechs

"Ich muss da wieder hin!" – eine Liebeserklärung unseres Autors Joachim Burghardt an den Pilger- und Wallfahrtsort Andechs.

Kloster Andechs vor der Zugspitze © Burghardt

Andechs – Nicht alle, aber sehr viele Wege führen nach Andechs. Aus allen Himmelsrichtungen und zu allen Jahreszeiten kann man zum „Heiligen Berg“ des Fünfseenlands hinaufziehen – auf breiten Straßen, versteckten Pfaden und ausgeschilderten Wanderwegen; vom Ammersee steil hinauf, vom Starnberger See herüber oder von viel weiter her. Ebenso vielfältig sind auch die Gefühlslagen, die einen manchmal auf den letzten Schritten zur Klosterkirche begleiten: triumphal oder demütig, euphorisch oder abgekämpft, neugierig oder in Gedanken versunken, dankbar oder zweifelnd.

Wer Andechs kennt und schon ausgiebig auf dieser Klaviatur der Emotionen gespielt hat, weiß: Das ist nicht nur ein Ausflugsziel, das ist nicht nur ein Kloster, und – auch diesem Irrglauben sei hier widersprochen – das ist nicht nur ein Bräustüberl. Andechs ist ein ganzer kleiner Kosmos; ein Ort, der über sich selbst hinaus ausgreift, ausstrahlt. Wirklich zu verstehen ist das wohl nur, wenn man sich behutsam „eigenfüßig“ annähert und hinwandert, anstatt zu fahren. Dann kann die Seele Schritt halten, und schon unterwegs eröffnen sich so manche Geheimnisse und Schönheiten – oft sind es wichtigere als am Ende der Tour!

Riesige Schweinshaxen

Dazu kommt, dass der weithin bekannte Hügel mit dem Benediktinerkloster für sich genommen auch ein Ort der enttäuschten Erwartungen sein kann. Schon manch ein suchender, sensibler Geist ging dort oben im internationalen Biergartentrubel eines Feiertags-Massenansturms unter, und nicht wenige fühlen sich von der bayerisch-barocken Symphonie aus Rokoko-Stuck, Marienfrömmigkeit, Bockbier und riesigen Schweinshaxen überfordert. Daher sei Neulingen neben dem Rat, zu wandern, ein Zweites mit auf den Weg gegeben: Vielleicht ist es gut, den Gang nach Andechs lieber doch nicht mit allzu hehren Vorstellungen und vergeistigter Attitüde anzutreten, sondern zunächst einmal tatsächlich „nur“ ein Ausflugsziel, ein Kloster, ein Bräustüberl zu erwarten. Insgeheim darf man ja offen sein für mehr...

Trotzdem: Andechs ist ein Gesamtkunstwerk. Ein Panoptikum der Lebensfreude. Ein buntes Kaleidoskop körperlicher und geistiger, kulinarischer und spiritueller Momente. Aber eines, das immer nur Ausschnitte von sich preisgibt. Bei jedem Besuch fügt man seinem inneren Bild wieder zwei, drei Mosaiksteinchen hinzu, schreibt seine persönliche Pilgerlandkarte ein Stück fort, webt eine weitere Linie ins bayerische Oberland und hält neue Erinnerungen fest. Man kommt dabei immer wieder ans Ziel, aber nie an ein Ende. Und bricht immer wieder gern auf...

Zäher Zwischenraum

Zum Beispiel damals mit meiner Frau und meiner Tochter, die im zarten Alter von acht Monaten im Kinderwagen mitfuhr. Es war mein erstes Andechs-Abenteuer. Nicht im Ausflüglerpulk auf kürzester Route, sondern auf selbst gewählten stillen Wegen durchs offene Land ziehen – so lautete die Devise. Von Tutzing aus schob ich den Kinderwagen hinauf zum Aussichtspunkt der Ilkahöhe, wo wir über den herrlichen Blick zum Starnberger See und ins Karwendelgebirge staunten. Danach lagen keine touristischen Sehenswürdigkeiten mehr vor uns, aber noch viele Kilometer Wegstrecke. Das ist Wandern: kein Springen von Punkt zu Punkt, worin ja unsere ganze motorisierte Mobilität besteht, sondern die Erfahrung (oder besser „Ergehung“) des ganzen, echten, oft zähen Zwischenraums. Wir kamen ans Ziel und feierten im Klosterbräustüberl mit inniger Freude diese außergewöhnliche Familienunternehmung – ganz im Einklang mit dem dort an der Wand hängenden Schild, auf dem steht: „Singen und Lärmen nicht gestattet“. Gemütliche Genießer sind hier willkommen, keine Schreihälse. Bei Dunkelheit tauchten wir dann ins Kiental ab und wanderten nach Herrsching hinaus, ein großer Tag ging zu Ende.

Mit derselben Tochter, allerdings zehn Jahre später, erkundete ich an einem Apriltag geheime Wurzelpfade – einen von Herrsching nach Andechs hinauf, einen anderen auf dem Rückweg. Wir unterhielten uns beim Gehen ohne Pause, sangen Lieder, tanzten Hand in Hand durch den Wald. Warum nur ist das Leben nicht immer so einfach und so schön?

Etwas fordernder geht es zur Sache, wenn ich immer wieder im Winterhalbjahr mit einem guten Freund von weit her dem Heiligen Berg entgegenziehe. Nicht selten gehen wir noch bei Dunkelheit los und enden auch wieder in der Dunkelheit. So wie an jenem eisigen November-Tag, als wir in München frühmorgens an der Isar starteten und uns Stunde um Stunde nach Süden vorarbeiteten: zuerst durch die Stadt, dann durch die endlosen verschneiten Waldgebiete des Forstenrieder Parks. In Starnberg wollten wir an der Seepromenade rasten, brachen aber nach wenigen Minuten wieder auf, weil es uns so fröstelte.

Stille Andacht und Stärkung im Bräustüberl

Und es war noch weit: Durch die Maisinger Schlucht ging es mit den einzigen Sonnenstrahlen des Tages zum Maisinger See, in den Wäldern hinter Aschering wurden die Beine schwer, und auf den letzten Kilometern zeigte der Winter mit seiner alles durchdringenden Kälte noch einmal seine Zähne. Dann endlich, gerade noch aus dem abendlichen Nebel ragend, der Turm der Klosterkirche – eine Landmarke, ein Fixpunkt, ein Lebenszeichen! Wie immer folgte eine dankbare Einkehr erst hier, dann dort: in stiller Andacht ganz ohne andere Besucher in der Kirche, hernach die wohltuende Stärkung im Bräustüberl, wo wir beim Gedanken an den morgendlichen Aufbruch in der fernen Stadt grinsend den Kopf schüttelten und uns noch zwei Mass Winterbier holten.

Das Wetter wird besser, auf den Gipfeln schmilzt langsam der Schnee und immer mehr Menschen zieht es wieder in die Berge zum Wandern. Um Kraft zu schöpfen, die Seele baumeln zu lassen und die Natur zu genießen. Hier gibt es Buchtipps. Erstellt von der Buchberatung des Michaelsbundes.

Ein andermal wollten wir wieder eine winterliche November-Wanderung machen, doch überraschenderweise blies warmer Föhn von den Bergen. Zwei heilige Berge, den Hohen Peißenberg und Andechs, verbanden wir an diesem Tag zu Fuß, und das bedeutete viel Auf und Ab. Von der Gipfelkuppe des Hohen Peißenbergs, den wir in morgendlicher Stille erlebten, sahen wir aus 23 Kilometern Entfernung schon das Weiß des Andechser Kirchturms aus dem dunklen Tann herüberleuchten.

Es sind immer wieder diese sphärischen Blicke, diese Sichtachsen über ganze Landschaften hinweg, es ist dieses Ausschauhalten und Sich-Verorten unter einem weiten Himmel, das den Reiz des Wanderns ausmacht. Das Ziel ist schon sichtbar, man könnte in wenigen Minuten hinfliegen … aber man krebst in schier unfassbarer Langsamkeit, gehend nämlich, auf Umwegen voran und ist dabei zu Geduld, Demut und zum ausführlichen Nachdenken verdammt.

Sünden abbüßen

Tief hinab ins Ammertal, jenseits wieder steil bergauf zum Hochufer dieser vom Gletscher ausgeschürften Riesenmulde, dann näherten wir uns durch wunderschöne, aber nicht enden wollende Buchenwälder dem ersehnten Ziel. Bis zuletzt wird einem nichts geschenkt, noch einmal jäh hinab und auf vielen Treppen zur Klosterkirche hinauf – da heißt es lächelnd, schnaufend, schwitzend alle seine Sünden abbüßen!

Im goldenen Licht eines warmen Sommerabends bin ich mit meiner Frau der unsichtbaren Linie des Jakobswegs nach Andechs gefolgt, westwärts, der Ferne entgegen. An einem herrlichen Herbsttag sind wir im Blättergeraschel mit den Kindern hinaufspaziert – und nach der Brotzeit bei Dunkelheit mit Stirnlampe zurück, was für ein Abenteuer für die Kleinen! Mit meinem Vater ging ich im hellen Vorfrühling hin, als die Bäume noch kahl waren. – Unzählige Erinnerungsperlen leuchten beim Wort „Andechs“ in mir auf, biografische Momente, gelebte Tage.

Neun Stunden Marsch

Einmal bin ich auch allein hingewandert, es war mein weitester und schwierigster Gang. Denn ich hatte zwar nur einen kleinen Rucksack, aber auch ein paar unsichtbare Lasten und Sorgen dabei. Dieser Bittgang führte mich von meiner Haustür in Dachau geradlinig bis nach Andechs, während linker Hand die Millionenstadt in Schrittgeschwindigkeit vorbeiglitt. Auf diesem Weg war nicht viel Genuss, nicht viel Idylle, und das Bräustüberl habe ich diesmal bewusst nur von außen gesehen. Aber als ich nach neun Stunden Marsch vor der Klosterkirche stand, wusste ich: Es war gut. Ich ging hinein, setzte mich, betrachtete lächelnd das Gnadenbild der Gottesmutter und flüsterte: „Ich bin wieder da.“ (Joachim Burghardt)

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Der Redakteur
Joachim Burghardt
Münchner Kirchenzeitung
j.burghardt@michaelsbund.de