Selbstversuch

Wandern für die Seele

Die Natur ist für viele Menschen Rückzugsort vom hektischen Alltag. Doch wie gelingt es abzuschalten und die Seele baumeln zu lassen? Ein Selbstversuch, achtsam und mit allen Sinnen unterwegs zu sein.

Ein guter Ort zum „Seele baumeln lassen“. © SMB/Wastlhuber

„Die Seele baumeln lassen“ heißt es zwar so schön – aber wie sieht die eigentlich aus, eine baumelnde Seele? Um das herauszufinden, mache ich mich selbst auf den Weg. Aus dem Buch „Wanderungen für die Seele“ habe ich mir eine Tour im Chiemgau ausgesucht – vom Kloster Seeon zum Griessee und wieder zurück. Das perfekte Kontrastprogramm zum reizüberfluteten München.

Ausblick auf den See

Den Rucksack auf dem Rücken, den Wanderführer in der Hand, stehe ich am Startpunkt. „Wir sparen uns den Besuch im Kloster Seeon für später auf“, lese ich. Also biege ich auf einen schmalen Schotterweg ein, der am Seeoner See entlangführt. Ungefähr sechs Kilometer liegen vor mir. Weit komme ich nicht. Die in den See hineinragenden Stege wecken meine Aufmerksamkeit. „Privat“, lese ich auf einem Schild. Schade, denke ich und will schon weitergehen. Doch dann ruft mir ein Mann zu, der gerade Rasen mäht, ich könne den Steg gerne betreten, um ein Foto zu machen. Was ich sofort tue – um mich fünf Bilder später auf die wackeligen Holzlatten zu setzen. Ich schaue den Wellen zu, wie sie gemächlich schaukeln. Lasse mich blenden vom Sonnenlicht, das auf ihren Spitzen blitzt. Fühle mich, als würde ich in der Mitte des kleinen Sees sitzen.

Offen sein für die kleinen Dinge am Weg

„Wohlfühlwege“ – so nennen die Autoren des Wanderbuches, Andrea und Harald Hesse, die darin ausgewählten Routen. Was denn einen Wohlfühlweg ausmacht, habe ich die beiden vor meiner Tour gefragt. „Für mich ist das Wasser, eine Einkehrmöglichkeit und ansonsten Ruhe und Stille“, hat Andrea Hesse erklärt. Aber: „Es hängt auch von der Person ab“, ergänzt Harald Hesse. „Man muss offen sein für das, was einem auf dem Weg begegnet. Erst dann sieht und genießt man auch die kleinen Dinge, die man sonst aufgrund der Hektik übersehen hätte.“ Der Weg ist das Ziel. Mit diesem Gedanken wandere ich weiter.

Kraft schöpfen, die Seele baumeln lassen und die Natur genießen: das Wetter wird besser und die Wanderlust steigt. Entdecken Sie in unserem Onlineshop Neuerscheinungen rund ums Wandern sowie eine Auswahl aktueller Wanderführer für Bayern.

Rast an der Mozarteiche

„Ja, hier kann man schon mal eine Ouvertüre schreiben“, höre ich aus der Ferne Menschen sagen, die neben einer großen Eiche stehen. Ich setze mich auf die Bank unter dem Baum, der über mir seine Äste in alle Himmelsrichtungen streckt. Es handelt sich um die „Mozarteiche“, wie mir mein Wanderbuch verrät. Der Komponist habe sich mehrmals im Kloster Seeon aufgehalten und dort auch zwei Musikstücke komponiert.

„Wenn man das nicht weiß, ist es einfach nur ein Baum“, hat mir Andrea Hesse gesagt. Wer aber die Geschichte kennt, kommt ins Fantasieren. Wie muss das wohl gewesen sein, als Mozart hier pfeifend und komponierend gesessen hat? „Man muss wissen, was man sieht“, meint die Autorin. „Dann hat man einen anderen Blick auf den Weg.“

Natur mit allen Sinnen

Ich setze meine Wanderung fort. „Griessee 1 Kilometer“, verrät mir ein Wegweiser, ich folge ihm in den Wald hinein. Endlich bin ich allein unterwegs und finde allmählich die passende Geschwindigkeit. Und doch muss ich immer wieder anhalten, wegen all des Reichtums, den die Natur mir bietet. Grau und gerippt liegen die Blätter des vergangenen Jahres auf dem moosigen Waldboden. Gleichzeitig bringen die Bäume ihre ersten grünen Blätter hervor, inmitten prall gefüllter Knospen, die endlich aufplatzen wollen. Hier offenbart sich der Frühling mit all seiner Kraft.

Mich darauf einzulassen, mit allen Sinnen – das versuche ich jetzt. Ich rieche den betörenden Duft der Blüten. Halte am Griessee meine Hand ins kalte Wasser. Sehe am Waldrand eine kleine Holzhütte und höre plötzlich auch ihre Bewohnerinnen: Unzählige Bienen schwirren in eine der zehn Öffnungen und wieder heraus. Faszinierend, welchen Geräuschpegel sie nur durchs Fliegen erzeugen.

Wandern macht Hunger auf mehr

Dann ziehe ich weiter. Vorbei am Alpenpanorama, bis das Kloster Seeon wieder sichtbar wird. Ich spüre meinen Bauch grummeln. Zeit für eine Pause – auch die gehört zum Wandern. Eine kleine Bank vor einem Apfelbaum bietet mir einen wunderbaren Rastplatz. Ich gönne mir eine belegte Semmel, eine Gurke und Schokolade. Und dann sitze ich einfach nur da und schaue, lasse mein Gesicht von der Sonne wärmen. Nur die Kirchenglocken erinnern mich, wenn wieder eine Viertelstunde vergangen ist.

Mein letzter Abstecher führt mich in die Seeoner Klosterkirche. Wie ich so in der Geborgenheit des Kirchenraums sitze, kommt mir eine Aussage von Andrea Hesse in den Sinn: „Wenn wir vom Wandern nach Hause kommen, habe ich das Gefühl, ich kann tagelang davon zehren. Aber ich möchte auch bald wieder los.“ Wandern ist wie baumeln, denke ich und richte meinen Blick nach oben. Sich hin und her schwingen lassen zwischen schlendern und laufen, Knospen und Wellen, Körper und Geist. Zwischen Erholung, Erfüllung und dem Hunger nach mehr. (Hannah Wastlhuber, Volontärin beim Michaelsbund)

Buchtipp

Wandern für die Seele

Wandern und dabei der Seele Flügel wachsen lassen: 20 Wohlfühltouren führen durch den märchenhaften Schlosspark Nymphenburg, das Leutstettener Moos oder zu den malerischen Kulissen des Auer Mühlbachs. Bei den Panoramatouren tun sich grandiose Weitblicke auf die Alpen auf, und bei den Verwöhntouren verlocken zauberhafte Seen zum Erfrischen und Eintauchen.

16.99 € inkl. MwSt.

Hier bestellen