Der Schwere Leichtigkeit geben

Pater Christoph Kreitmeir über seine Erfahrungen mit Sterbenden

Klinikseelsorger Pater Christoph Kreitmeir begleitet Menschen im Krankenhaus einfühlsam auf ihrem Weg des Lebens und Sterbens. Seine Erfahrungen und Erkenntnisse teilt er nun in einem neuen Buch und ermöglicht so einen berührenden Einblick in die menschliche Spiritualität und den Umgang mit dem Tod.

Pater Christoph Kreitmeir trat 1984 dem Orden der Franziskaner bei © SMB/Lemli

Ein geräumiges Wohnzimmer einer Dienstwohnung in Ingolstadt. Wer es betritt, wird von meditativer Musik empfangen, die aus Lautsprechern strömt, es riecht nach ätherischen Ölen. In der Ecke eine große Kerze mit dem Spruch aus Gen 12,2: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein" und eine kleine Krippe mit dem Jesuskind, Ein modernes Bild hängt an der Wand. Hinter dem Tisch, an dem Pater Christoph Kreitmeir Platz nimmt, reiht sich in mehreren weißen Regalen Buch an Buch: In den meisten geht es um Heilung und den Umgang mit Lebenskrisen, dazwischen Kuscheltiere von Ernie und Bert. „Mein spiritueller Input“, sagt Kreitmeir. Den wird er brauchen, schließlich gehört das von außen durch sein Grau wie ein Bunker wirkende Haus, in dem er wohnt, zum weitläufigen Gelände des hiesigen Klinikums. „So bin ich auch nachts abrufbereit“, erklärt der Pater. Seit sechs Jahren ist er hier der katholische Klinikgeistliche. Doch bis dahin war es für den heute 61-Jährigen ein langer Weg.

Schon immer wollte er Franziskaner werden, da ihn die Einfachheit des franziskanischen Lebensstils beeindruckte. 1984 trat er in den Orden ein, im Jahr darauf begann er, in Benediktbeuern Sozialarbeit und Theologie zu studieren. Zunächst war er „Sozialarbeiter für Menschen am Rande, also Obdachlose und Nicht-Sesshafte“, erinnert er sich. Schnell merkte er: Das allein ist es nicht. Er will Seelsorger für Menschen in allen Lebenslagen sein. 1996 wurde er zum Priester geweiht, außerdem machte er eine Ausbildung zum Logotherapeuten. Eigentlich wollte er in Pastoraltheologie promovieren. Seine Abschlussarbeit hatte er seinem großen Vorbild Viktor Emil Frankl geschickt. Wenn er davon erzählt, dass Frankl in einer gutachterlichen Stellungnahme seine Begeisterung darüber ausdrückte, fasst Kreitmeir sich heute noch ans Herz. Doch es kam anders: Er wurde der Arbeiterpfarrei St. Ludwig in Nürnberg zugewiesen. „Diese Kröte musste ich erstmal schlucken“, sagt er im Rückblick. Doch die drei Jahre in Nürnberg hätten ihn geerdet, vorher sei er zu vergeistigt gewesen. Nach Stationen als Kurseelsorger in Füssen, wo er sich so sehr „reinhing“, dass er einen Herzinfarkt erlitt, und Versuchen als Cityseelsorger in Ingolstadt wurde er Krankenhausseelsorger in Bad Tölz, damals noch ohne Ausbildung.

Seelsorge im Krankenhaus: Wenn der Klinikgeistliche zum Vertrauten wird

2005 wurde er „zweiter Chef“ im Wallfahrtsort Vierzehnheiligen. Das war seine produktivste Zeit, meint er. Er sorgte in zwölf Jahren zum Beispiel dafür, dass das Haus ans Glasfasernetz angeschlossen wurde, und gestaltete die Homepage neu. Doch vor allem wurde er zum psycho-spirituellen Berater, führte unzählige Gespräche und hielt Vorträge. 2016 dann die Versetzung nach Fulda, wo er ein spirituelles Zentrum mitaufbauen sollte. Als daraus nichts wurde, verließ er Fulda und ging als Klinikgeistlicher und Seelsorger ans Klinikum Ingolstadt.

An jedem Arbeitstag geht er seitdem von Zimmer zu Zimmer und bietet sich den Patienten als Gesprächspartner an, zelebriert die heilige Messe oder spendet das Sakrament der Krankensalbung. Das wird oft gewünscht, da viele Patienten vom Land kommen und dort noch eine stärkere Bindung zur Kirche besteht. Im täglichen Dienst trägt er eher farbige Hemden, um dem Leid etwas entgegenzusetzen – und um nicht direkt als Mann der Kirche wahrgenommen zu werden. Auch jetzt sitzt er nicht in Priesterkleidung da, sondern in einem dezenten blauen Hemd. Einzig seine goldene Kette mit der Jesusfigur lässt bei genauerem Hinsehen darauf schließen, dass er gläubig ist.

Zu denjenigen, die Kreitmeir von der Diagnose einer schweren Krankheit bis zum Tod begleitet, entsteht oft eine freundschaftliche Beziehung. Meistens lernt er ihre Familien kennen, denn im Idealfall bekommen die Kranken häufig Besuch. Je länger der Seelsorger einen Menschen begleitet, desto stärker ist er selbst mit dem Gefühl der Trauer konfrontiert, nicht nur die Angehörigen. „Ich gehe den schweren Weg“, sagt er dazu. Sein Ziel ist es, sich am Ende einer seelsorglichen Begleitung sagen zu können: „Du hast die Leute nicht fallen gelassen.“ Dafür bekomme er Wertschätzung von Patienten und Angehörigen und sein Leben erfahre eine besondere Tiefe.

Der besondere Alltag des Krankenhausseelsorgers

Offen erzählt der Franziskaner von einer Begegnung, das ihn besonders geprägt hat: Einmal wurde er zu einer afrikanischen Frau gerufen, die gerade ihre Zwillinge tot geboren hatte. Als Kreitmeir ins Zimmer kam, lagen die Babys auf der Brust ihrer Mutter. Ihr Blick war starr, ins Leere gerichtet. Um sie herum standen Verwandte, die klagten und jammerten. Alle sprachen nur Französisch, der Seelsorger war überfordert. Er klammerte sich an die Kraft der katholischen Riten und segnete Mutter und Kinder, doch die Frau reagierte nicht. Der Pater fühlte sich hilflos – aber beim Verabschieden hatte er eine Eingebung und sagte: „Bon voyage“, gute Reise. Was dann passierte, schildert Pater Christoph, als wäre es gerade erst passiert: „Die Frau stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Zum ersten Mal hatte sie wirklich begriffen, was da passiert war – dass ihre Kinder tot waren.“

Früher hat der Seelsorger nach solchen Erlebnissen das Gespräch mit Kollegen gesucht. Doch oft waren sie nicht gleich erreichbar, und er hätte nicht einfach erzählen können, sondern dem Außenstehenden etwas erklären müssen. Also hörte er bald damit auf. „Mittlerweile kann ich viel einstecken“, meint der Geistliche. „Ich bewege es im Gebet.“

Mittwochs und donnerstags hat er frei. Dann geht er in den Zoo, besucht Konzerte, geht schwimmen, fährt nach Nürnberg, München oder Regensburg, trifft sich mit Freunden – um Abstand zu bekommen. Auch das Schreiben hilft ihm beim Verarbeiten. In seinem neuen Buch „Welche Farbe hat der Tod?“ schildert Kreitmeir, was er durch die Gespräche mit Kranken und Sterbenden über den Tod gelernt hat. Die naheliegende Frage nimmt der Autor vorweg: „Der Tod umfasst alle Farben.“ Auf dem Buchcover dominiert die Farbe Violett. In der Liturgie steht sie für Buße und Umkehr. Doch aus dem Violett entsteht ein Regenbogen, den Kreitmeir augenzwinkernd sowohl als „dunkelbunt“ als auch als „helltransparent“ beschreibt.

Ein Buch, das den Blick auf den Tod verändert

Mit seinem Buch möchte er die Leser für eine neue Perspektive auf den Tod öffnen, schließlich sei der Glaube an die Auferstehung wie „ein ewiges Wartezimmer“. Auch in der Schwere lasse sich Leichtigkeit erleben, meint er. In seiner Spiritualität ist der Autor sicher: „Die Toten sind nicht weg.“ Sie blieben Subjekte. Sein Anliegen ist es, Sterbeerfahrungen zu verlebendigen. Immer wieder wägt er ab, ob er in der Dienstwohnung auf dem Klinikgelände bleiben soll. Schließlich nehme er die Energie des Krankenhauses auf, sagt er. Wie sehr, zeigen die gesundheitlichen Einschnitte der letzten Jahre: 2018 wurde er neurologisch krank, 2019 und 2020 hatte er insgesamt drei Magenblutungen, eine davon lebensbedrohlich. Dazu ein Prostatakarzinom, das zwar geheilt ist, aber trotzdem Spuren hinterlassen hat. Der schon in seiner Kindheit immer wieder mit Krankheit und Leid konfrontierte Seelsorger meint, auch dank seiner gesundheitlichen Probleme für die Patienten glaubwürdig zu sein: „Der weiß, wovon er redet.“ Bis auf Weiteres bleibt er in der Wohnung. Er hätte zwar eine Ausweichmöglichkeit, aber er will nicht den leichten Weg gehen.

Inzwischen geht Kreitmeir morgens zuerst in die Klinikkapelle und betet sich dort eine innere Schutzhülle an. So habe er seine „spirituellen Fähigkeiten reaktiviert“ – um sich die Kraft zu bewahren, anderen beistehen zu können.

Buchtipp

Christoph Kreitmeir: Welche Farbe hat der Tod?

In diesem Buch nähert sich Kreitmeir aus verschiedenen Perspektiven dem Kranksein, dem Leiden und dem Sterben des Menschen sowie der Tatsache, dass die Einzelnen aber auch die Gesellschaft den Tod lieber verdrängen als ihn als Wirklichkeit wahrzunehmen. Auf dem Hintergrund bewährter Praxis bietet er fundiertes Wissen. So kann in der Auseinandersetzung mit dem Unabänderlichen eine »Ars Moriendi«, eine Kunst des Sterbens erlernt werden. Das vermittelt Kraft, Trost und Sinn. Und auch auf die ewige Frage danach, was nach dem Tod sein wird, findet der Autor neue Sichtweisen.

22 € inkl. MwSt.

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Der Redakteur
Maximilian Lemli
Münchner Kirchenzeitung
m.lemli@michaelsbund.de