Münchner Woche für Seelische Gesundheit

Spiritualität nimmt Druck von der Seele

Eine psychische Krankheit kann bei Betroffenen Scham auslösen. Die Münchner Woche für Seelische Gesundheit will für verschiedene Formen psychischer Erkrankungen sensibilisieren. Auch die Kirche beteiligt sich.

Das Erzbistum München und Freising beteiligt sich an der Münchner Woche für seelische Gesundheit. © kieferpix - stock.adobe.com

Eine psychische Krankheit kann eine lebenslange Krise auslösen. Für Patienten bedeutet das immer wieder Klinikaufenthalte, Therapien oder die Einnahme von Psychopharmaka. Ein Thema, über das oft nur verschämt gesprochen wird. Alle zwei Jahre geht die Münchner Woche für Seelische Gesundheit, kurz WSG, deshalb in die Öffentlichkeit. Sie will für die verschiedenen Formen psychischer Erkrankungen sensibilisieren, versucht, Betroffene und Angehörige zu ermutigen, und stellt Hilfseinrichtungen vor. Sie dauert heuer vom 5. bis zum 13. Oktober. Zu den Partnern der WSG zählt auch das Erzbistum München und Freising mit Diakon Josef Kafko. Der Diplom-Psychologe und Religionspädagoge arbeitet im Klinikum in Haar und ist im Münchner Erzbistum Referent für die Seelsorge bei psychisch kranken Menschen und deren Angehörigen. Im Interview erzählt er, wie Spiritualität die Behandlung unterstützen kann.

mk online: Herr Kafko, fast jeder Mensch kennt ab und zu ein seelisches Tief, das mal kürzer, mal länger dauert. Gehört das nicht zum Leben dazu?

Diakon Josef Kafko: Aufs und Abs gehören zum Leben dazu. Fachleute gehen auch davon aus, dass nahezu jeder Mensch mindestens einmal im Leben eine Depression erlebt. Wenn es aber intensiver wird, so dass das Leben nicht mehr bewältigt werden kann, dann geht es in den Bereich der Krankheit und es braucht professionelle Hilfe.

Ab wann wird ein solches Tief kritisch, zur Krankheit und zur bedrohlichen Lebenskrise?

Kafko: Bei Angsterkrankungen oder auch Depressionen trauen sich viele Betroffene nicht mehr aus dem Haus und ihr soziales Leben bricht völlig ab. Je größer die Einsamkeit, umso stärker wird das Krankheitsbild. Psychosen sind dagegen mit einem Wirklichkeitsverlust verbunden, die Kranken hören zum Beispiel Stimmen. Das kann bis zu Verbrechen an anderen Menschen oder zur Selbsttötung führen. Bei solchen Anzeichen ist es wichtig, sofort in Behandlung zu gehen und einen Facharzt aufzusuchen.

Was sind die Ursachen für solche psychischen Erkrankungen?

Kafko: In der Psychologie sprechen wir von bio-psycho-sozialen Komponenten. Ein Teil ist Vererbung, also genetisch bedingt. Einflüsse aus dem Umfeld treten hinzu, etwa ein brüchiges Familienleben und momentane Belastungen und Überforderungen. Was am schwersten wiegt, lässt sich oft nicht sagen, weil eine psychische Krankheit eben nicht so leicht erklärbar ist wie ein Beinbruch nach einem Skiunfall. Das Gehirn hat Milliarden Nervenzellen und Verknüpfungen, da lässt sich einfach nicht bestimmen, was hauptursächlich ist.

Lassen sich solche Ursachen auch etwas steuern, können Betroffene sich, platt gesprochen, nicht einfach zusammen- reißen und ihren Willen einsetzen?

Kafko: Das funktioniert in der Krankheit nicht. Bei einer depressiven Verstimmung kann sich jemand vielleicht noch am Riemen reißen. Bei Symptomen wie einer völligen Abkapselung aufgrund ständiger Angstzustände ist nicht genug Willenskraft da. Da helfen normalerweise nur noch Medikamente oder Psychotherapie. Manche Patienten brauchen das nur einmal oder über einen kürzeren Zeitraum und werden danach nie wieder psychisch krank. Es gibt aber auch chronische Verläufe, bei denen die Patienten ein Leben lang Psychopharmaka nehmen oder immer wieder in die Klinik müssen.

Welche Gruppen sind denn besonders betroffen? Gibt es Menschen, die besonders aufpassen sollten, damit sie sich früh genug Hilfe holen?

Kafko: Psychosen beginnen meistens früh, bei Männern mit etwa 17, bei Frauen etwas später. Dass nach dem 30. Lebensjahr eine Schizophrenie oder Psychose eintritt, ist dagegen unwahrscheinlich. Teilweise spielen dabei auch Drogen eine erhebliche Rolle. Da gilt es aufzupassen. Depressionen können dagegen das ganze Leben auftreten. Etwa durch ein Trauma bei einem Autounfall oder aktuell durch die Coronapandemie, in der sich viele Menschen zurückgezogen haben und bei denen der Abbruch sozialer Kontakte Depressionen ausgebildet hat. Soziale Kontakte sind normalerweise ein wichtiger Schutzfaktor, zumindest wenn keine genetischen Faktoren in das Krankheitsbild hineinspielen. Stellen sich die entsprechenden Symptome ein, gilt: die Betroffenen darauf ansprechen und versuchen, sie möglichst schnell für einen Facharztbesuch zu gewinnen. Wenn Menschen längere Zeit extreme Stimmungsschwankungen zeigen oder sich ständig verfolgt und bedroht fühlen, sind das ernst zu nehmende Anzeichen.

Bei psychischen E rkrankungen geht es zuerst um einen medizinischen Befund. Nun ist auch die Kirche für psychisch Kranke engagiert, hat sogar eigene Stellen dafür. Warum?Kafko:  Wie schon gesagt, geht die Wissenschaft von bio-psycho-sozialen Komponenten bei psychischen Erkrankungen aus. Der Mensch ist aber auch ein spirituelles Wesen. Um diesen vierten Begriff würde ich die anderen Komponenten ergänzen. Da hat die Kirche großes Wissen angehäuft und etwas zu bieten. Und dieses Wissen will die Kirche und hier eben das Erzbistum München und Freising den betro f f enen Menschen und ihren Angehörigen anbieten.

Das diesjährige Schwerpunktthema der Münchner Woche für Seelische Gesundheit (WSG) „Alles digital?!“ beleuchtet die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft und welche Chancen und Risiken damit in Hinblick auf die seelische Gesundheit einhergehen. Alle Interessierten sind eingeladen, die zahlreichen ambulanten und stationären Angebote der psychiatrischen und psychosozialen Versorgungslandschaft in München kennen zu lernen. Mit Diakon Josef Kafko können Betroffene oder Angehörige Verbindung aufnehmen.

Was können Sie Patienten bieten, was nicht auch ein Psychotherapeut oder ein Psychiater bieten kann?

Kafko: Ein Psychotherapeut oder Psychiater hat den Auftrag, einen Heilungserfolg zu erzielen. Ich muss dagegen nichts erreichen. Meine Aufgabe ist, einfach nur da zu sein. Was der Patient sagt, muss ich nicht medizinisch bewerten. Das gibt uns beiden Freiheit. Bei mir ist er nicht in der Therapie. Ein Mann hat mir beispielsweise einmal erzählt, dass er oft eine Stimme hört, ob das nicht Gott sein könnte. Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht wissen kann, aber als Christ auch nicht ausschließe. Der Mann hat dann geantwortet, dass er zum ersten Mal erfahren hat, dass sein Stimmenhören nicht zwangsläufig etwas Krankhaftes sein müsse. Oft bleibt es dabei, dass mir jemand erzählt, wie es ihm gerade geht und wie er versucht, sein Leben auf die Reihe zu bringen, Arbeit zu finden oder die Wohnung regelmäßig aufzuräumen. Und das ist auch in Ordnung. Bei vielen Gesprächen kommen wir jedoch an den Punkt, über Spiritualität, Glaube und Gottesbeziehung zu reden. Da geht es um das Gefühl, rückgebunden zu sein, das in einer solchen Krankheit oder Lebenssituation dem Menschen Stärke und Mut gibt, sein Leben neu anzupacken.

Also kann Spiritualität ein therapeutischer Faktor sein?

Kafko: Das Gefühl, einer guten und umgreifenden Macht verbunden zu sein, kann Patienten helfen, die Enge ihres Lebens und ihrer Krankheit aufzubrechen. Sie spüren, es gibt etwas darüber hinaus.

Haben gläubige oder spirituell wache Menschen bessere Heilungschancen?

Kafko:  Dazu gibt es Studien, von denen ziemlich genau die Hälfte „ja“ sagt und die andere Hälfte „nein“. Ich mache die Erfahrung, dass spirituell offene Menschen sich nicht so leicht in ihrer Krankheit verlieren. Für sie gibt es noch einen anderen Halt als die Medizin. In der christlichen Tradition kennen wir ja die Psalmen, die Gott in der tiefsten Krise anrufen. Das kann auch eine Klage sein, aber schon allein das kann Kraft geben. Menschen, die ganz tief in einer Depression stecken, können nicht einmal mehr klagen. Doch wenn es mir gelingt, in eine Auseinandersetzung mit meinem Gott zu gehen, dann zeigt mir das, dass ich grundsätzlich etwas tun kann, nicht nur stumm und hilflos bin. Patienten, die mit mir beten wollten, waren danach zufriedener oder Suizidgedanken wurden weniger massiv. Eine regelmäßige seelsorgerliche und spirituelle Begleitung kann Druck von diesen Menschen nehmen und sie beruhigen.

Sie beteiligen sich an der Münchner Woche für Seelische Gesundheit, der WSG. Was bieten Sie da an?

Kafko: Da bieten Kollegen von mir und ich selbst Gottesdienste an, um Betroffenen und Angehörigen Mut und Segen zuzusprechen. Weil die WSG heuer den Schwerpunkt Digitalisierung gewählt hat, biete ich außerdem jeden Tag eine Begegnung im Internet an, die auch anonym geschehen kann. „Chatten über das, was der Seele gut tut“, lautet das Motto, unabhängig von Konfession, Religion oder Weltanschauung. Eine erste Begegnung mit Betroffenen oder deren Angehörigen online herzustellen, ist in unserer Seelsorge bei psychischen Erkrankungen etwas Neues und der Versuch, die Digitalisierung für unsere Arbeit zu nutzen.

Was versprechen Sie sich von Ihrer Mitwirkung?

Kafko: Ich hoffe, dass wahrgenommen wird, dass die katholische Kirche in diesem Bereich präsent ist, psychisch kranke Menschen ernst nimmt, ihre Not sieht und sie begleitet, wenn sie das wollen.  (Das Interview führte IAlois Bierl, Chefreporter beim Michaelsbund)