Begleitung auf wichtigen Lebensstationen

Kirchliche Rituale als Grundbedürfnisse

Zeremonien und Rituale scheinen manchmal wie Zauberei: Obwohl bei einer Hochzeit nur Worte gesagt werden, ändern sie die Form einer Beziehung fundamental. Warum haben gerade kirchliche Rituale eine reale Wirkung und was muss die Kirche tun, um ihre Ritualkompetenz nicht zu verlieren?

Das Ritual der Hochzeit kann dem Gefühl der Liebe Ausdruck verleihen. © El Paparazzo - stock.adobe.com

Immer wenn Menschen geboren werden, sterben, heiraten oder mit einem besonderen Amt ausgestattet werden, wird auf sie zurückgegriffen: Rituale. Sie sind so alt wie die Menschheit selbst. So fanden schon vor rund 100.000 Jahren Beerdigungen in der Quafzeh-Höhle im heutigen Israel statt. Auch heute ist eine kirchliche Trauung oder Bestattung noch vielen Menschen wichtig – selbst dann, wenn sie ansonsten keine Berührungspunkte mit der Kirche mehr haben. Rituale erwachsen also nicht aus einem religiösen Eifer, sondern sie antworten auf menschliche Grundbedürfnisse. „Wir brauchen sie für Übergänge“, erklärt der Arzt und Priester Eckhard Frick. Diese entstehen, wenn sich das Leben von Menschen grundsätzlich ändert. Zum Beispiel durch die Geburt oder den Tod eines Menschen. „Rituale können helfen, solche Zeiten der Unsicherheit zu überwinden, in denen man sich an ihnen wie an einem Geländer festhält“, so der Jesuit und Professor für Spiritual Care am Münchner Klinikum rechts der Isar.

Das Unbeschreibliche vermitteln

Aber Rituale stützen nicht nur. Sie sind Symbole, die Menschen die Möglichkeit geben, die Bedeutung von wichtigen Lebensstationen auszudrücken. Sie sprechen das menschliche Bedürfnis nach Transzendenz an. Nicht nur die Welt, in der man lebt und die man sehen kann zählt. Es geht um mehr: Menschen wollen sich und ihre Existenz in einen größeren Zusammenhang einordnen. „Das muss nicht unbedingt gleich mit Gott zu tun haben“, sagt der Therapeut Pater Guido Kreppold, „aber es gibt Ereignisse im Leben, bei denen etwas mit uns geschieht, was wir nicht bestimmen können“. In solchen Situationen bieten Rituale eine Möglichkeit, äußerlich auszudrücken, was sonst verborgen bleibt. Zum Beispiel: Wenn zwei Menschen sich innig lieben, ist das – im wahrsten Sinne des Wortes – unbeschreiblich und für andere Menschen nicht nachfühlbar. Doch das Ritual der Hochzeit kann diesem Gefühl Ausdruck verleihen. „Es ist etwas geschehen und der Ritus bringt das rüber.“

Wünsche sind die Grundlage der Wirklichkeit

Rituale können neben ihrer symbolischen Bedeutung aber auch eine psychologische Auswirkung haben. „Man kann das mit dem Placebo-Effekt vergleichen“, erklärt Therapeut Kreppold. Für die Wirkung entscheidend seien dafür Erwartung und Vertrauen, die in ein Ritual gesetzt werden. Auf diese Art und Weise wirke sich zum Beispiel eine Hochzeit auf die Beziehung und die Partner aus: Die Worte des Rituals verändern die Natur ihrer Verbindung. Dieser Effekt wird dabei nicht nur bei kirchlichen, sondern auch bei der standesamtlichen Trauung genutzt, erklärt der Arzt und Jesuit Frick: „Dadurch, dass man das Protokoll vorliest, wird das darin Beschriebene Wirklichkeit.“

Zeremonien brauchen Metaebene

Was klingt wie Zauberei, nennt Frick einen „performativen Sprechakt“. Und er grenzt ihn deutlich von jeder Form von Magie ab. Während bei Zauberei Wunsch und Wirkung gleichermaßen vom Menschen ausgingen, stellen Rituale die menschliche Existenz immer unter einen größeren Zusammenhang. „Wir feiern nicht uns selbst“, erklärt Frick. Vielmehr verweisen sie immer vom Individuum auf eine Metaebene, durch die die Rituale wirken. Sie sind „transzendenzoffen“. Das gilt für kirchliche Zeremonien wie die Eheschließung genauso wie für säkulare wie beispielsweise den Amtseid eines Regierungsmitglieds: Das weltliche Geschehen wird an eine übergeordnete Ebene gekoppelt. 

Kirche wird immer weniger Ritualkompetenz zugetraut

Dass religiöse Rituale diesen Kontext konkret benennen, macht sie für viele Menschen verständlicher. Der Kirche wird deshalb bei vielen Lebensereignissen bis heute eine hohe Ritualkompetenz zugetraut. Doch die Bedeutung der Kirche in diesem Bereich geht zurück. So fiel der Anteil kirchlicher Beerdigungen vom Jahr 2000 mit 71,5 Prozent auf nur mehr 49,7 Prozent im Jahr 2020. Für Frick ein klares Zeichen: die Kirche muss sich stärker ihrer Rolle bewusstwerden. „Rituale müssen mit den teilnehmenden Menschen vorbereitet und ihnen erschlossen werden“, fordert der Jesuit. Ansonsten drohe Ritualismus, wenn Zeremonien nur noch um ihrer selbst willen durchgeführt werden. Rituale erhalten ihre Existenzberechtigung aus dem Nutzen, den sie für Menschen habe. Das Bedürfnis der Menschen Unbeschreibliches auszudrücken und sich in bedeutenden Lebenssituationen an rituellen Geländern zu stützen, wird sich künftig aber wohl kaum ändern. Denn ein Bild sagt am Ende halt doch mehr als tausend Worte.

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
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