Meinung
Katholischer Glaube

Warum ich in der Kirche bin

Nicht nur diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, in die Kirche ein- oder auszutreten, sollten sich mit den Vorzügen, Chancen, Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Kirche befassen. Auch wer meint, für immer fest im kirchlichen Sattel zu sitzen, darf sich bewusst machen, warum es sich trotz aller Kritik lohnt, dabei zu sein und zu bleiben.

Es gibt viele gute Gründe, in der Kirche zu bleiben. © ZoneCreative - stock.adobe.com

In Deutschland wandten sich im Jahr 2021 fast 360.000 Menschen von der katholischen Kirche ab. Sie haben viele Gründe: Machtmissbrauch durch Geistliche, Pflichtzölibat, Ablehnung queerer Menschen, anonyme Pfarrverbände mit völlig überlasteten Gemeindevorstehern, Kirchensteuer, sexueller Missbrauch und dessen zögernde Aufarbeitung, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Klerikern (mit Gefolge) und Laien, attraktive spirituelle Angebote anderer Sinnanbieter, eine überholte Sexualmoral, zu wenig Rechte für Frauen, Einschränkung Getaufter in Führungsentscheidungen (fehlende Gewaltenteilung), mangelnde spirituelle Angebote für die Bedürfnisse der Gläubigen …

Zu unklare Positionen?

Oder ist es die spürbare Gleichgültigkeit vieler lauer Christen, die satt sind, die sich dem Konsum ergeben und einfach in Ruhe gelassen werden möchten, die selbst an Gott kein Interesse mehr zeigen? Dann gibt es auch viele Menschen, denen die Kirche zu lasch ist, sie erwarten sich klare Positionen zu ethischen Themen wie Abtreibung, Bewahrung der Schöpfung, Familienförderung, Euthanasie, Friedenspolitik, Gender … Für manche biedert sich die Kirche dem Zeitgeist an, hat nichts Eigenständiges zu bieten. Dabei soll sie doch Licht und Salz der Erde (Mt 5,13) sein.

Der Kirchenrechtsexperte Thomas Schüller betont: „Kirchenaustritte sind kein Naturphänomen, sondern Ausdruck einer Entfremdung der Gläubigen von der Kirche und einer Glaubwürdigkeitskrise der Kirche selbst.“ Der Ex-Generalvikar aus Speyer, Andreas Sturm, hat ein Buch geschrieben: „Ich muss raus aus dieser Kirche, weil ich Mensch bleiben will.“ Es ist eine erschütternd ehrliche Confessio eines Menschen, der mit seinem Glauben und seiner Kirche ringt, um schließlich der altkatholischen Kirche beizutreten.

Ich bin in der Kirche, weil es mir hier gefällt

Was treibt Menschen überhaupt noch an, in der Kirche zu bleiben? Die Antwort auf diese Frage – mit einer guten Begründung des Verbleibs in der Gemeinschaft der Getauften – bekommt immer mehr Gewicht. Ihr nachzugehen, ist ein lohnenswertes Unterfangen, denn Miesmacher, Trittbrettfahrer und Weltuntergangspropheten gibt es in unserer Gesellschaft mehr als genug.

Ich persönlich erlebe Kirche überwiegend positiv. Sie erinnert mich an viele Menschen, die mir in schwierigen Zeiten Halt und Hilfe geboten haben. Sie bietet uns den Raum zur Transformation, zur Wandlung in gute, nützliche und verlässliche Menschen. Natürlich bleiben traurige und enttäuschende Erfahrungen nicht aus. Was aber in meinem Leben in einem durchaus kirchenkritischen Umfeld überwiegt, ist die Freude am Glauben, an der Heiligen Schrift, an der kirchlichen Gemeinschaft und die Hoffnung, die mich auch in schweren Zeiten beflügelt.

…weil sie einen kostbaren Schatz durch die Zeiten trägt

Die Kirche ist nicht Gott und sie ist nicht das Reich Gottes, aber sie trägt einen „Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“ (2 Kor 4,7) durch die Zeiten. Sie ist fehlbarer und zerbrechlicher Garant für Gottes Nähe. Sie bildet eine komplexe Einheit aus zwei Wirklichkeiten: der sichtbaren, institutionellen Kirche und der unsichtbaren, himmlischen Kirche, dem „Jerusalem oben“ (Gal 4,26). So wie Jesus sterblicher Mensch und ewiger Gott ist, spiegelt sich in ihr Menschliches und Himmlisches auf ihrem Pilgerweg durch die Zeiten.

Sie ist eine von Gott Herausgerufene (griechisch ek-kaléo, „herausrufen“, daher Ekklesia) und sie gehört dem Herrn (griechisch kyriaké, „dem Herrn gehörig“, daher Kirche). Das unterscheidet sie von einem gewöhnlichen Taubenzüchterverein. Die Kirche verweist auf Gott, sie transzendiert den sterblichen Menschen in die Nähe Gottes hinein, sie gibt ihm Orientierung, Zukunft und Trost in allen Lebenslagen.

Jesus selbst hat Petrus (Joh 21,17) und Judas (Mt 26,50) vergeben, warum gehen wir dann oft mit uns und unseren Mitmenschen so hart ins Gericht? Warum erwarten wir so viel von den sterblichen Menschen, die doch nichts sind als Staub wie Adam, der Erdling? Der Kapuziner Thomas Dienberg nennt in diesem Zusammenhang die „drei G – Geduld, Gelassenheit und Großmut“: Das bedeutet, dass die Geduldigen manche Unannehmlichkeiten abwartend ertragen können, sie stehen vieles durch, ohne zu verzagen. Gelassenheit sagt, dass sie loslassen können, was sie bedrückt, und die Großmütigen können sich selbst und anderen vergeben.

…weil ich hier Heimat finde

„Ich gehe in die Kirche, weil ich dort meine Freunde treffe“, hört man Jugendliche manchmal sagen. Tatsächlich geschieht neben den primären familiären Grundlagen in der Hauskirche – ecclesia domestica – viel Kinder- und Jugendarbeit in der Kirche über die Pfadfinder, die Ministranten, die Jugendgruppen, über die Vorbereitung auf die Sakramente der Kommunion und der Firmung, über die Kinderund Jugendchöre …

Ähnlich ist es aber auch bei den Familien, bei der mittleren Gesellschaftsschicht und bei den Senioren: Sie alle erleben Kirche über Freunde, Bekannte, über vertraute Menschen eben, die mit ihnen gemeinsam im Leben und im Glauben unterwegs sind. Wo der Bezug zum konkreten Menschen in der Kirche verloren geht, wo die Kirche anonymisiert wird, versinkt sie schnell ins Bedeutungslose.

Das tragend Bleibende, die beständige Konstante sind nun mal die Beziehungen, die wir leben, so etwa in unserer Männerrunde in Großkarolinenfeld, die ich leite. Da begegnen und bereichern einander Alt und Jung im offenen, zweckfreien Austauschgespräch. Überhaupt spielen in den Beziehungswelten Vergebung, Widerstand, Konfliktfähigkeit und Einsicht eine sehr große Rolle. Meiner Meinung nach sollte es für eine gute Communio-Erfahrung nie zu spät sein. Dies ist auch rückwirkend möglich.

…weil sie gute Früchte hervorbringt

„Je kirchenloser die Welt ist, in die man hineingeht, umso mehr muss man Kirche sein.“ (Madeleine Delbrêl) – Die französische Sozialarbeiterin wusste, wovon sie sprach. Für sie ist Kirche keine abstrakte Größe. Kirche beginnt bei ihr selbst, bei ihrem Gebet, bei ihrem Engagement für die sozial Schwachen, für die Atheisten. Kirche leistet aber nicht nur im diakonischen Bereich Großartiges für Alte, Kranke, Behinderte, Flüchtlinge, Obdachlose und Missionen, sondern auch im Bereich der Musik, Bildhauerei, Malerei, Architektur und Bildung.

…weil sie meine Wurzel ist

Gott bindet sich vor dem brennenden Dornbusch an die Geschichte des Mose, an dessen Erzväter Abraham, Isaak und Jakob (Ex 3,6) und Erzmütter Sara, Rebekka und Rahel. Gott ist der, der war (Erzeltern), der ist (und sein Volk befreit) und der sein wird (der es ins Gelobte Land geleitet). Menschen sind soziale Wesen, sie können nicht allein glauben, das gilt auch für Christinnen und Christen unserer Tage. „Ein Christ ist kein Christ“, hat Tertullian gelehrt. Es wäre töricht, den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. Paulus schreibt in Erinnerung an unsere Herkunft und Bestimmung: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18) Wenn der Glaube in der Gemeinschaft der Glaubenden unsere Wurzel ist, warum sollten wir uns von ihr trennen? Und vor allem: Wohin sollten wir dann gehen? (Joh 6,68)

…weil es keine bessere Alternative gibt

Diese Fragen sind mehr als berechtigt: Wer wird mit uns das Leben feiern, die Geburt des Kindes, den Empfang der ersten heiligen Kommunion, den Eintritt in die Pubertät, in das Erwachsenenalter, in den Ehestand? Wer wird uns trösten, wenn wir fallen und sterben? An wen richten wir unsere Klagen, Bitten und Wehe-Rufe, wenn es eng wird in unserem Leben? Machen wir dann alles mit uns selbst aus, mit unseren Freunden, Verwandten? Ist uns das genug oder brauchen wir eine Zugehörigkeit, die unseren kleinen Lebenskreis übersteigt und einbettet in ein großes Ganzes („katholisch“ bedeutet: „das Allumfassende“), das uns verlässlich durch die Zeiten trägt? (Christian Kuster, Religionslehrer, Buchautor und Leiter der Offenen Männerrunde in Großkarolinenfeld)