Interview mit Generalvikar Klingan

Kirchliches Wirken: Orientierung an Jesu in Wort und Tat

"Den Menschen in diesen Zeiten Hoffnung und Kraft geben" – der Generalvikar des Erzbistums München und Freising, Christoph Klingan, spricht über aktuelle Schwerpunkte kirchlichen Handelns und die Bedeutung des vielfachen Engagements in den Pfarreien.

Florian Ertl (links) und Joachim Burghardt (rechts) im Gespräch mit Generalvikar Christoph Klingan © Steffens/EOM

mk online: Es sind herausfordernde Zeiten, die Krisen sind vielfältig: In der Ukraine herrscht Krieg, immer mehr Menschen wissen nicht, wie sie Lebensmittel und Heizkosten bezahlen sollen, dazu kommt möglicherweise eine neue Corona-Welle. Wie kann Kirche speziell hier in der Erzdiözese helfen, Beistand leisten und Mut vermitteln?

Generalvikar Christoph Klingan: Wir können und tun das auf verschiedene Weise. Kürzlich haben wir 100 Jahre Diözesancaritasverband gefeiert. „Nah. Am Nächsten“, dieses Leitwort der Caritas ist weiter aktuell. Vom Caritasverband und den sozialen Fachverbänden werden mit finanzieller Unterstützung der Erzdiözese vielfältige Hilfen geleistet. Ich bin dankbar für das große Netzwerk aus haupt- wie ehrenamtlich tätigen Menschen in den Einrichtungen und Pfarreien im gesamten Erzbistum, die die individuelle Not vor Ort im Blick haben und im Rahmen des Möglichen gezielt helfen. Dazu gehört ganz wesentlich auch der seelsorgliche Beistand. Und natürlich ist es auch Aufgabe der Kirche, im gesellschaftlich-politischen Diskurs Stellung zu beziehen und sich an die Seite der Schwachen und derjenigen zu stellen, die in diesen Zeiten besonders leiden. Ich denke, da ist unser Erzbischof auch jemand, der dies immer wieder in ganz besonderer Weise tut.

Da möchten wir kurz nachhaken: Sie sagen, dass es gerade auch in der Pastoral angebracht sei, den Menschen beizustehen und so etwas wie Hoffnung zu vermitteln. Wie könnte das konkret aussehen, was sagen Sie diesbezüglich zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort?

Klingan: Entscheidend ist, dass wir uns selbst von der Frohen Botschaft innerlich erfüllen und stärken lassen. Unsere Gottesdienste können eine Quelle von Kraft und Zuversicht sein. In ihnen spüren wir „Du bist nicht allein!“, sowohl bezogen auf Gott als auch auf die Mitmenschen. Das ist eine wichtige Erfahrung, die den Menschen in diesen Zeiten Hoffnung geben und sie ermutigen kann. Sich darauf einzulassen, dafür werbe ich.

Werfen wir einen kurzen Blick auf den Synodalen Weg. Unser Kardinal hat im Nachgang der vierten Synodalversammlung in Frankfurt angekündigt, die dortigen Beschlüsse „selbstverständlich“ bei uns im Erzbistum umzusetzen. Was heißt das konkret?

Klingan: Kardinal Marx hat mich beauftragt, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die prüft, welche Beschlüsse des Synodalen Wegs im Bereich der Erzdiözese wie umgesetzt werden könnten. Es gibt natürlich Themen, die auf universalkirchlicher Ebene zu klären sind, da es aktuell universalkirchenrechtliche Grenzen und Beschränkungen gibt. Aber in den Bereichen, wo wir als Erzdiözese konkreten Entscheidungsspielraum haben, sollen wir diesen auch ausloten, so habe ich den Auftrag des Erzbischofs verstanden. Die jetzt gebildete kleine Arbeitsgruppe besteht nicht nur aus Vertretern des Ordinariats, sondern auch dem Diözesanratsvorsitzenden, der die ehrenamtliche Perspektive mit einbringt. Wir wollen bei der Prüfung, was von den Beschlüssen im Erzbistum konkret umgesetzt werden kann, synodal vorgehen und nicht einfach „von oben herab“ entscheiden.

Der Synodale Weg hängt auch mit der Missbrauchsthematik zusammen. In diesem Bereich unternimmt die Kirche, konkret das Erzbistum, schon sehr viel. Es gibt viele Anstrengungen, um Prävention zu stärken und die Aufarbeitung voranzubringen. Wo sehen Sie sich auf diesem Weg inzwischen angekommen?

Klingan: Wir sind auf diesem Weg in den vergangenen Jahren und Monaten doch einige Schritte vorangekommen. Damit meine ich nicht nur die klaren Strukturen und definierten Zuständigkeiten, wie bei den Ansprechpersonen und -stellen, die in diesen Bereichen zwischenzeitlich geschaffen wurden. Ebenso wichtig scheint mir ein deutlicher Fortschritt in der Erkenntnis und in der grundsätzlichen Haltung, sich diesem Thema zu stellen, insbesondere die Betroffenen in den Blick zu nehmen sowie ihre Anliegen in den Mittelpunkt unserer Bemühungen zu stellen. Diesen Weg gehen wir entschieden weiter.

Es kann sich wohl jeder und jede vorstellen, dass das ein extrem schwieriger Weg ist, gerade auch, wenn man die oft kirchenkritische bis kirchenfeindliche Berichterstattung in den Medien berücksichtigt. Wie anstrengend ist diese Aufgabe, die Sie im Hinblick auf die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals zu bewältigen haben?

Klingan: Es ist tatsächlich sehr fordernd und anstrengend, aber wir haben hier eine Verantwortung, der wir nicht ausweichen dürfen. Die Aufarbeitung von Missbrauch ist keine Aufgabe, bei der ich mir überlegen kann, ob ich sie angehe oder nicht, ich sehe uns hier vielmehr in der Pflicht. Ich nehme wahr, dass dies belastend ist, aber mir ist sehr bewusst, dass es Menschen gibt, für die das alles noch viel belastender ist, nämlich die Betroffenen, die Opfer von sexuellem Missbrauch. Sie und ihre Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt dessen stehen, was wir tun. Wir dürfen nie aus dem Auge verlieren, dass Menschen hier Schlimmes und Schreckliches erlebt haben und wir dadurch, dass wir uns jetzt diesem Thema stellen, hoffentlich auch etwas Gutes bewirken können. Das motiviert mich dann immer aufs Neue.

Das Thema der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals beschäftigt natürlich auch die Menschen draußen in den Pfarreien. Was wird hier an Sie herangetragen?

Klingan: Ich erlebe, wenn ich im Erzbistum unterwegs bin – gerade an den Sonntagen, wenn ich zur Feier von Gottesdiensten an unterschiedlichen Orten im Erzbistum unterwegs bin –, dass die Stimmung alles andere als unbeschwert ist. Das hängt nach meiner Wahrnehmung schon sehr damit zusammen, dass das Thema Missbrauch grundsätzlich belastend ist und einiges, was falsch gelaufen ist, schonungslos offenbar wird. Hinzu kommen die Folgen der Corona-Pandemie und aktuell der Ukraine-Krieg mit all seinen Konsequenzen, die inzwischen auch bei uns ganz konkret zu spüren sind. Hinzu kommen die momentanen Strukturdebatten in der Kirche, die teilweise auch mit der Missbrauchskrise zusammenhängen. Sie verunsichern auch manche Gläubige und werfen teils sehr grundlegende Fragen auf, die sich nicht schnell und einfach lösen lassen. Damit verbindet sich eine gewisse Furcht vor Veränderungen der pastoralen Strukturen vor Ort, gerade im Zusammenhang mit dem neuen Personal- und Stellenplan für die Pastoral. Die zurückgehende Zahl der Priester, aber auch der anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist ein Umstand, der viele Fragen aufwirft und mit Sorge erfüllt. Daher ist vielerorts schon eine Verunsicherung da, aber ich sehe diese Krise auch ein Stück weit als Chance, dass wir tatsächlich zukunftsfähige Strukturen entwickeln und unser kirchliches Handeln noch wirkungsvoller ausrichten. Hierüber versuche ich dann immer ins Gespräch zu kommen.

Was sagen Sie den Menschen dann, warum es sich lohnt, in der Kirche zu bleiben und sich zu engagieren?

Klingan: Es lohnt sich sehr, weil das, was ich in der Kirche erleben kann – Gemeinschaft mit Gott und den Menschen –, etwas Bereicherndes für mein Leben ist. Es kann meinem Leben Tiefe geben und mir das Ziel des Lebens, meine ganz persönliche Berufung neu erschließen. Das Engagement in der Kirche bietet die Möglichkeit, etwas Wertvolles und Sinnstiftendes in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern zu tun. In diesem Rahmen mit anderen Menschen zu wirken und für andere da zu sein, ist etwas sehr Erfüllendes; da spreche ich aus ureigener Erfahrung. Es gibt aus meiner Sicht schon viele gute Gründe, in der Kirche zu bleiben, und die müssen wir auch wieder mehr in den Vordergrund stellen. Ich erlebe bei meinen Besuchen in den Pfarreien und Pfarrverbänden stets viele engagierte Menschen, und diese Begegnungen ermutigen mich sehr.

Welche Rolle spielen demnach die ehrenamtlich aktiven Frauen, Männer, Jugendlichen und Kinder in den Pfarreien und Pfarrverbänden des Erzbistums für Sie?

Klingan: Das ehrenamtliche Engagement ist ganz entscheidend. Das war es schon in der Vergangenheit, wird aber mit Blick auf die Zukunft noch einmal wichtiger werden, da ja, wie schon angesprochen, die Zahl der Hauptamtlichen geringer werden wird. Wenn wir als Kirche unser kirchliches Leben zukunftsfähig gestalten wollen, und das heißt eben auch Veränderung, nicht eins zu eins wie in der Vergangenheit, dann geht das nur gemeinsam. Oft wird das so leichtfertig dahingesagt: „Gemeinsam Kirche sein“, aber für mich ist es keine Floskel, ich sehe das wirklich als ein grundlegendes Programm und bin überzeugt, dass das ehrenamtliche Engagement das Leben der Kirche im wahrsten Sinne des Wortes trägt. Ohne ehrenamtliches Engagement wird es keine lebendige Kirche geben. Deshalb haben wir als Erzdiözese in unserem Gesamtstrategieprozess „Wirkung entfalten, Kirche gestalten“ bereits ein Ausgestaltungsprojekt auf den Weg gebracht, das sich dem Thema „Ehrenamt“ widmet. Hier überlegen Ehren- und Hauptamtliche gemeinsam, wie wir den freiwillig Engagierten noch mehr Unterstützung bieten und ihre Arbeit von unserer Seite her fördern können. Das ist für mich ein zentraler Schlüssel für das kirchliche Leben der Zukunft.

Welchen Beitrag kann die Münchner Kirchenzeitung hier für unser Erzbistum leisten?

Klingan: Sie trägt dazu bei, dass ihre Leserinnen und Leser die Breite des kirchlichen Lebens im Erzbistum wahrnehmen und über den eigenen Kirchturm hinausschauen können. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Ich lese darin gern die Geschichten, die von Menschen aus dem Erzbistum und ihrem bemerkenswerten Engagement handeln. Da ist immer wieder einiges dabei, das ich sonst nicht wahrnehmen würde.

Zum Schluss, Herr Generalvikar, noch drei persönliche Fragen. Vervollständigen Sie bitte folgende Sätze: Das spezifisch Christliche am kirchlichen Wirken, das durch keine staatliche Institution zu ersetzen ist,…

Klingan: ...ist die Orientierung am Evangelium Jesu Christi in Wort und Tat.

In zehn Jahren wird die Kirche in unserem Erzbistum…

Klingan: ...mit Gottes Hilfe und unser aller Zutun eine lebendige Glaubensgemeinschaft sein, die in Verkündigung, Liturgie und Diakonie die frohe Botschaft Jesu Christi in dieser Welt bezeugt.

Am meisten würde ich mir für unsere Kirche im Erzbistum wünschen…

Klingan: ...dass trotz aller Herausforderungen, in denen wir stehen, die Kraft und Ermutigung aus dem Glauben wieder mehr zum Tragen kommt. – Ich äußere diesen Wunsch, denn es gibt so viel Gutes in der Kirche in unserem Erzbistum, es geschieht so viel, für das ich sehr dankbar bin und das mich persönlich auch immer wieder von Neuem ermutigt. (Interview: Florian Ertl/Joachim Burghardt)