Kirchenaustritt

„Diese Verlogenheit hat mich sehr getroffen“

Soll ich oder soll ich nicht in der Kirche bleiben? Die Statistik zeigt, dass sich diese Frage viele Menschen stellen. Wir haben mit einem Mann gesprochen, der der katholischen Kirche erst sehr nahestand und nun an ihr zweifelt.

Immer mehr Menschen haben Zweifel und hardern mit der katholischen Kirche. © Gudellaphoto - stock.adobe.com

Im Dienst der katholischen Kirche stehen und dem Herrn dienen: Priester werden. Das wollte Max (*Name von der Redaktion geändert) als Jugendlicher. Nach seinem Theologiestudium hat sich der heute 33-Jährige dagegen entschieden. Die Vorurteile, mit denen er als engagierter Katholik zu kämpfen hatte, haben sich für ihn mit der Zeit nach und nach oftmals bestätigt. „Zum Beispiel Machtmissbrauch, Missbrauch als solcher oder Geldverschwendung. Das hat alles nichts damit zu tun, was ich eigentlich gesucht hatte“, erklärt Max seine Entscheidung gegen den Weg als Priester.

Kirchenaustritt erstmals eine Option

Sein Glaube ist ihm bis heute wichtig, doch mit der katholischen Kirche hat er seither ein zwiespältiges Verhältnis. Er will der Kirche trotzdem nicht ganz den Rücken zu kehren und entschied sich nach dem Studium für einen kirchlichen Arbeitgeber. „Ich bin dort den Hierarchien sehr nahegekommen und habe festgestellt, dass eigentlich nur ein blinder Gehorsam vorherrscht“, erzählt er. In der Theorie sei offene Kommunikation erwünscht gewesen, doch in der Praxis sei es anders verlaufen. „Das hat mich wahnsinnig gemacht“, ärgert sich Max noch heute. Wieder hadert er mit der Kirche. In dieser Zeit war ein Kirchenaustritt für Max das erste Mal eine Option. Eine Option, die bis heute noch nicht zur Realität geworden ist. Max beendet das kirchliche Arbeitsverhältnis und geht in eine andere Branche, doch der Zweifel an der katholischen Kirche bleibt. „Ich habe für mich festgestellt, dass diese Institution für viel Schlechtes verantwortlich ist. Dass es eigentlich nur um Macherhalt geht. Diese Verlogenheit hat mich sehr getroffen“, erinnert sich Max.

Gespräche bei der Glaubensorientierung

Mit solch enttäuschten Gefühlen ist Max nicht allein, weiß Jesuitenpater Pater Andreas Batlogg von St. Michael in der Münchner Innenstadt. Er gehört auch zur Abteilung Glaubensorientierung im Erzbistum München und Freising. Aber nicht nur in dieser Funktion, sondern auch als Priester führt er Gespräche mit Gläubigen, die an der Kirche zweifeln. „Ich höre einfach zu. Oft sind es gewaltige Dinge, die einen aufregen. Meist sind es Bischöfe, Finanzskandale, der Missbrauchs und die schleppende Aufarbeitung davon. Das wühlt die Leute auf“, sagt Pater Batlogg. Er könne verstehen, dass sich Gläubige die Frage stellen, ob sie Teil dieser Gemeinschaft sein wollen. Auch in seinem Familien- und Bekanntenkreis wenden sich Menschen von der katholischen Kirche ab. „Viele, die zur Kernschicht der katholischen Kirche gehören, sagen: ich habe die Schnauze voll, was mir weh und leid tut. Ich kann es aber zum Teil auch nachvollziehen“, reflektiert der Jesuitenpater. Für ihn persönlich sei die Kirche mehr als die Summe des persönlichen Versagens und ihrer Versager, „aber ich merke, dass dieses Argument längst nicht mehr bei allen zieht.“

Anzahl der Kirchenmitglieder in Deutschland sinkt

Auch die Kirchenaustrittzahlen zeigen, dass immer mehr Menschen die Kirchen verlassen. Für das Jahr 2021 haben sich dazu in der gesamten Bundesrepublik rund 360.000 Menschen entschieden, genau genommen sind es laut Statistik 359.338 Austritte. Die Katholiken machen mit 21.645.875 Kirchenmitgliedern und Mitgliederinnen nun 26 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In Bayern traten vergangenes Jahr 100.872 Menschen aus der katholischen Kirche aus. 2019 waren es nur 78.309. Ein Trend nach oben ist deutlich zu erkennen.

Fehlende Beratungsstelle und Kommunikation

Entscheiden sich Gläubige für einen Austritt, wird der zuständige Pfarrer erst im Nachgang über das Standesamt darüber informiert. Dann, wenn es eigentlich schon viel zu spät ist, findet Pater Batlogg. In Nürnberg hat man sich daher für eine Beratungsstelle entschieden. Sie nennt sich „Exit“ und richtet sich an alle Menschen, die über einen Kirchenaustritt nachdenken und darüber sprechen wollen. „Ich würde so eine Anlaufstelle gut finden“, befürwortet Pater Batlogg diese Idee und denkt an sein eigenes Erzbistum München und Freising, in dem es bislang keine offizielle Anlaufstelle dafür gibt.

Geld ist nicht entscheidend

Zweifelnde Katholiken treffen manchmal Entscheidungen und revidieren diese auch wieder, stellt der Jesuit bei der Glaubensorientierung fest. Zu ihm kommen auch Menschen, die ausgetreten sind und wieder eintreten. Die meisten von denjenigen hätten auch nach dem Austritt weiterhin in der katholischen Kirche gewirkt. „Bei mir ist letztes Jahr jemand eingetreten, der zwei Wochen davor ausgetreten war. Ich habe gefragt: warum? Und die Antwort lautete: es fühlte sich nicht richtig an“, erinnert sich Pater Batlogg. Sein Eindruck ist, dass es nicht nur um Glaubwürdigkeit und Politik der Kirche geht, sondern manchmal auch um die eigenen Gefühle zur Kirche.

Frust und Zweifel

In den seltensten Fällen sei der Kirchenaustritt eine Kurzschlussreaktion, vielmehr gehe diesem Schritt ein langer Weg an Frustration und Verzweiflung voraus. Auch das Geld, Kirchensteuer oder Spenden, spiele meist nur eine untergeordnete Rolle. Das trifft auch auf Max zu: „Mir geht es nicht um das Geld. Beim Kirchenaustritt geht es für mich um das Gefühl und um die Idee von Freiheit. Ich möchte mich lösen von einer Institution, die mir eine Last ist und die mir Schmerzen bereitet.“ Max habe kein Bedürfnis mehr, Anschluss in der katholischen Kirche zu finden. Für ihn spielt sie keine relevante Rolle mehr in seinem Leben und trotzdem ist er bis heute Kirchenmitglied auf dem Papier. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich austreten würde“, erklärt er. „Ich habe auch das Gefühl, dass ich damit meinen Eltern weh tun würde. Ich spüre einen enormen Druck, sodass ich es lieber still ertrage, als dass ich sozusagen beichten muss, dass ich ausgetreten bin.“

Bei Zweifeln beten und sich austauschen

Jesuitenpater Pater Batlogg rät allen Gläubigen, die sich um ihren Platz in der katholischen Kirche nicht sicher sind, mit anderen darüber zu sprechen und aktiv zu werden. „Auch wenn es fromm klingt. Beten Sie und bitten darum, Wege zu finden, sich nicht in ein Narrativ reinzufressen oder reinzusteigen, wo es zu Verhärtungen kommt.“ Mit Freunden und Freundinnen, mit Geistlichen oder auch mit der Familie die Zweifel zu bereden, hält er für sehr wichtig. Und das tut auch Max, solange bis er weiß, ob er seinen Weg in Zukunft mit oder ohne katholische Kirche gehen möchte. (Anna Parschan, Radio-Redakteurin beim Michaelsbund).