mk online: Nicht nur auf dem Jakobsweg ist Pilgern nach wie vor „in“. Welche spirituellen Erfahrungen ermöglicht es, die auf andere Weise nicht möglich sind?
Susanne Schwarzenböck: Menschen, die sich auf Pilgerschaft machen, haben meist einen besonderen Anlass dafür. Das ist nicht nur heute so, sondern das war schon immer der Ursprung des Pilgerns. Dazu ist es interessant zu wissen, dass im Mittelalter sicher die religiösen Gründe noch eine bedeutendere Rolle gespielt haben, als das vielleicht heute der Fall ist. Viele Menschen haben sich damals aufgemacht, um eine wirkliche Bußwallfahrt zu machen, ein Gelübde zu erfüllen oder um Genesung für kranke Angehörige zu bitten. In den letzten 20 Jahren, in denen das Pilgern sicher wieder sehr in den öffentlichen Fokus gerückt ist, pilgern viele Menschen sowohl aus religiösen Gründen, etwa um einen besonderen Dank an einen Pilgerort zu bringen, als auch aus ganz persönlichen und individuellen Gründen, um eine Zäsur zu setzen, weil zum Beispiel eine private oder berufliche Veränderung auftrifft. Besondere spirituelle Erfahrungen macht man als Pilger oder Pilgerin in unserer heutigen schnelllebigen Zeit vor allem durch die Entschleunigung, die Ruhe und das Eintauchen in die Natur. Jeden Tag setzt man einen Fuß vor den anderen, das oft Tage oder Wochen hintereinander. So kommt im Gehen der Geist zur Ruhe und da können dann für jeden in einer anderen Form spirituelle Erfahrungen möglich werden.
Vor welchen Herausforderungen stehen traditionelle Wallfahrtsorte? Wie kann es ihnen gelingen, an den Pilger-Hype anzuknüpfen?
Schwarzenböck: Die traditionellen Wallfahrtsorte profitieren sicher jetzt schon auf die ein oder andere Art von dem Pilger-Hype, da sie ja Zielorte sind. Ich denke, es ist besonders wichtig, eine Art „Ankommens- oder Empfangskultur“ zu etablieren. Egal, wie lange man unterwegs war und wie viele Kilometer oder Etappen man zurückgelegt hat, das Ankommen ist schon ein sehr wichtiger Aspekt, auch wenn wir oft den Satz benutzen: „Der Weg ist das Ziel.“ Aber der Weg allein wäre eben nicht das Ziel, ohne an einem Wallfahrtsort anzukommen. In meinen Augen kann es einen Wallfahrtsort nur stärken, wenn sich die Verantwortlichen darüber Gedanken machen, welche attraktiven Angebote sie vor Ort für die ankommenden Pilger machen und wie sie diese auch seelsorgerisch und spirituell aufnehmen.