Fühlen Sie sich oft einsam? Dann sind Sie nicht allein. Etwa jedem vierten Deutschen geht es so. Das haben Forschungen ergeben, die Anselm Grün in seinem neuen Buch „Von der Kunst, allein zu sein“ zitiert. Der Münsterschwarzacher Benediktiner hebt darin bewusst die positiven Aspekte des Alleinseins hervor und zeigt auf, wie sich gut mit Einsamkeitsgefühlen umgehen lässt.
Grün zufolge haben diese häufig ihre Ursache in der Kindheit oder sogar schon im Mutterleib, etwa wenn Menschen früh allein gelassen wurden. Aber der Ordensmann ist überzeugt: „Ganz gleich, wie die Kindheit war, irgendwann müssen wir uns damit aussöhnen und die Verletzungen und Defizite bearbeiten. Sonst werden wir die alten Situationen von Alleingelassensein und Einsamkeit wiederholen.“
Einsamkeit bedeutet Stress
Der Autor gibt jedoch offen zu: „Sich mit der Einsamkeit anzufreunden, fällt nicht jedem leicht – gerade dann nicht, wenn man sich die Einsamkeit nicht selbst ausgesucht hat, sondern durch äußere Umstände dazu gezwungen wird. Eine solche erzwungene Einsamkeit führt daher bei vielen Menschentatsächlich zur Vereinsamung.“ Diese Gefahr habe gerade während der Corona-Pandemie noch zugenommen, vor allem bei älteren Menschen.
Diese Entwicklung alarmiere auch die Ärzte. So habe im Juli 2020 im Deutschen Ärzteblatt gestanden, Vereinsamung sei „gleichbedeutend mit permanentem Stress. Im Vergleich zu nicht einsamen Menschen schlafen einsame schlechter und können sich weniger gut erholen. Sie ernähren sich außerdem ungesünder, konsumieren mehr Alkohol und Zigaretten und bewegen sich weniger. Darüber hinaus leiden sie häufiger unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen, klagen über ein verringertes Wohlbefinden und über eine schlechte Lebensqualität, haben ein geschwächtes Immunsystem, mehr Suizidgedanken und sterben früher.“
Rituale helfen Zeit zu strukturieren
Neben verstärkenden äußeren Faktoren habe Vereinsamung aber „immer auch innere Ursachen“, ist Grün überzeugt. Und auf diese könnten Betroffene Einfluss nehmen: „Von allein wird die Einsamkeit nicht zu einer guten Zeit. Ich muss etwas tun.“ Der Benediktiner zeigt hierfür verschiedene Möglichkeiten auf: Als Erstes empfiehlt er, die zur Verfügung stehende Zeit zu strukturieren. So könne man sich vor einem Abend, den man allein verbringen werde, fragen: „Was möchte ich tun? Wie kann ich ihn gestalten?“ Wichtig sei dabei das Gefühl: „Das ist mein Abend, meine Zeit. Ich gestalte ihn so, wie es mir guttut.“
Entsprechendes rät der Geistliche vor einem Wochenende: „Ich muss am Freitagabend oder auch schon früher in mich hineinhören: Was brauchen meine Seele und mein Leib? Worauf könnte ich mich am Wochenende freuen? Wie möchte ich es gestalten?“ Hilfreich sei eine gute Planung: „Wann stehe ich auf? Was habe ich am Samstag noch zu erledigen an Arbeiten im Haus oder Garten? Wie lange möchte ich arbeiten? Und was mache ich mit der freien Zeit? Lädt das Wetter zum Fahrradfahren oder zu einer kleinen Wanderung ein?“ Auch den Sonntag gelte es zu planen. Grün schlägt für den Vormittag vor, einen Gottesdienst zu besuchen: „Da bin ich unter Menschen, fühle mich getragen und angesprochen.“ Eine Möglichkeit, die Zeit zu strukturieren, seien Rituale. Gerade alleinstehende ältere Menschen bräuchten diese als Alltagshilfen, weiß der 78-Jährige. Als Beispiel führt er seine eigene Mutter an: „Meine Mutter hat nach dem Tod meines Vaters fast dreißig Jahre allein gelebt. Aber es wurde ihr nie langweilig, weil sie ihre feste Wochenstruktur hatte.“ So habe sie am Sonntagnachmittag nach dem Kirchgang lange mit ihrer Schwester, einer Ordensfrau, telefoniert. „Das war ihr festes Ritual am Sonntagnachmittag.“
Einsamkeit vor Gott bringen
Solche Rituale schüfen Heimat. Die ständige Wiederholung des immer Gleichen ermögliche einen Raum der Geborgenheit. Es sei daher gut, sich zu überlegen: „Wie möchte ich den Morgen beginnen und den Abend beschließen? Soll ich mich jeweils 20 Minuten hinsetzen und auf den Atem achten und meditieren? Oder ist es meine Form, einen Text der Bibel zu lesen, darüber nachzudenken und auf die Gedanken und Bilder zu achten, die der Text in mir auslöst? Oder soll ich lieber eine Gebärde ausführen, die mich für Gott öffnet?“