Wie uns der Glaube trägt

Sind gläubige Menschen glücklicher?

Der Kapuziner und Diplom-Psychologe Pater Guido Kreppold untersucht, was es braucht, um bei sich selbst zu bleiben, wenn das Leben auf den Kopf gestellt wird.

Viele Menschen finden ihr Glück in einer Partnerschaft. © stock.adobe.com - PhotoArtBC

Auf die Frage „Sind Sie glücklich?“ lässt sich schwer eine treffende Antwort geben. Es bringt mehr, den inneren Zustand an konkreten Situationen festzumachen. Dann könnte die Frage lauten: Wie schaut der Alltag aus? Was macht die Arbeit mit mir? Macht sie mir Freude? Oder bin ich erschöpft und verärgert, wenn ich meinen Arbeitsplatz verlasse? Auf wen freue ich mich, wenn ich heimkomme? Glück ist, wenn mich die begrüßen, die mir am wichtigsten sind: mein/e Lebenspartner/in, meine Kinder oder mein Hund? Oder ist da nur die leere, tote Wohnung? Ob jemand glücklich ist, kann man am ehesten am Gesicht eines Menschen erkennen. Man sieht düstere, bedrückte, erstarrte Gesichter und ganz andere, die Freude ausstrahlen. Man denke an leuchtende Kinderaugen oder an abgeklärte Gesichter älterer Menschen, die Zufriedenheit, Gelassenheit und Vertrauen vermitteln. Glückliche Menschen haben auch Humor. Hier ist etwas von der Freiheit des Geistes und der Leichtigkeit des Seins spürbar.

Ratgeber in Illustrierten, Büchern, im Internet sagen: Man sollte positiv denken, das Gute am Kollegen sehen, Yoga oder Meditation machen, sich etwas Schönes leisten, gut essen und vieles andere, was die Stimmung heben kann. Man sollte gute Beziehungen führen, mehr im Hier und Jetzt leben und versuchen, im täglichen Leben Zufriedenheit zu empfinden. Von Religion und Glaube ist nicht die Rede.

Eine andere Sicht

Aber trägt eine solche Einstellung auch in den Ereignissen, die nicht nach Glück aussehen? Unsere Existenz hat auch eine Rückseite, die Risiken, Verlust, Scheitern enthält. Es heißt, man müsse selbst aktiv werden und soziale Kontakte herstellen. Aber was ist, wenn einem danach gar nicht ist? Was ist, wenn die Liebe, die Ehe, die Familie, die Hoffnung auf Kinder zerbricht? Wenn der gute Arbeitsplatz verloren geht? Wenn die Diagnose lautet: Metastasen sind überall im Körper?

Hier ist entscheidend, dass es noch eine andere Sicht von menschlicher Existenz gibt, eine, die auf diese Fragen eine praktische Antwort kennt und die sich auf reale Erfahrungen stützen kann. Es ist jener Bereich, den wir mit Glauben, Religion, Gott bezeichnen. Meine Arbeit seit 50 Jahren mit Menschen in Lebenskrisen bestätigt die Annahme, dass auf der Rückseite unserer Seele nicht nur Dunkles droht, sondern wertvolle Ressourcen vorhanden sind, die auch schweres Unheil bewältigen. Es sei der Schicksalsschlag einer Frau angeführt, deren Sohn mit 33 Jahren Suizid beging. Er hinterließ eine Familie mit drei Kindern und Schulden, die das von den Eltern geerbte Anwesen kosteten. Ihr Mann, mit dem sie eine glückliche Ehe führte, starb kurze Zeit danach. Wo ist das Glück geblieben? Sie hat es wohl kaum bei den klugen Ratgebern gesucht. Es war ihr tiefer Glaube, der sie durch den Abgrund von Leid trug und durch den sie wieder froh sein konnte.

Eine Instanz in uns weiß mehr als unser Ich

Dazu ein anderes Beispiel. Eine Frau mit 79 erfährt die tödliche Diagnose. Die Zeit danach ist für sie total erfüllt. So dicht hatte sie ihr Leben noch nie empfunden, was man wohl Glück nennen darf. Sie war seit mehr als dreißig Jahren einen Weg des spirituellen und persönlichen Wachstums gegangen durch Abbrüche und Neuaufbrüche, durch schmerzliche und beglückende Erfahrungen hindurch.

Es gibt eine Instanz in uns, die mehr weiß als mein Ich und stärker ist als die dunklen Strömungen. Sie bewirkt, dass Krisen zu Wendezeiten werden, wenn man sich ihrer Führung überlässt. In der Mystik spricht man vom Seelengrund oder vom Seelenfunken, in der Tiefenpsychologie vom Selbst, vom Archetyp des Gottesbildes, dem Gefäß der Gnade Gottes. Es entspricht dem, was in der Heiligen Schrift mit dem „Herz“ gemeint ist. Es ist jene Instanz, welche die hilfreichen Einfälle liefert, die Freude an Gott und am Dasein, das Gespür, wer bei der Wahl des Partners zu einem passt, und bewirkt, dass die Liebe gelingt. Es ist die Kraft aus der Tiefe der Seele, über die wir nicht verfügen, die aber uns ergreift, was als numinose oder religiöse Erfahrung bezeichnet wird. Sie ist nach C. G. Jung „der Schatz einer großen Sache, die jedem, der sie hat, zu einer Quelle von Leben, Sinn und Schönheit wird und die der Welt und der Menschheit einen neuen Glanz gibt“. (Pater Guido Kreppold, Kapuziner, Priester und Diplom-Psychologe)