Am Programmaushang des City- Kinos kann Pierre Stutz einfach nicht vorbeigehen, als er durch die Münchner Innenstadt bummelt. Und natürlich findet er noch einen Film, den er am Abend anschauen möchte: „Mit Liebe und Entschlossenheit“: „Der hat bei den Berliner Filmfestspielen einen Silbernen Bären gewonnen und der kommt bei uns in Osnabrück nicht in die Kinos!“
In der niedersächsischen Stadt wohnt Stutz seit fünf Jahren. Auch das hat mit „Liebe und Entschlossenheit“ zu tun. Davon erzählt er noch im Lauf des Spaziergangs. Zunächst aber schwärmt er vom Film, seiner großen Leidenschaft. Im Kino, da sind für den Theologen, Autor und früheren katholischen Priester die großen Fragen genauso daheim wie in der Kirche. Wenn der bald 70-Jährige „auf und hinter die Bilder“ schaut, dann findet er immer eine spirituelle Kraft darin und biblische Anspielungen sowieso: „Da wird von unschuldigen Opfern erzählt, von Schuld, Verzweiflung und Umkehr, unzählige Male das Gleichnis vom verlorenen Sohn, im Film sind so viele Heilsgeschichten zu finden.“
49 Jahre "Krieg" gegen das eigene Ich
Auf eine Heilsgeschichte blickt auch Stutz zurück, sie spielt nicht auf der Leinwand, sondern im eigenen Leben, über das er gerade ein Buch geschrieben hat: „Wie ich der wurde, den ich mag“. Darin erzählt er, „wie ich 49 Jahre Krieg gegen mich selbst geführt habe“.
Schon als Jugendlicher hatte er sich zu einem Leben in einer Ordensgemeinschaft entschlossen. Die Entscheidung ist mit der tiefen und angsterfüllten Ahnung verknüpft, „dass ich einen Mann lieben möchte“. Homosexuell zu sein, „war für mich selbst und meine Umgebung aber völlig undenkbar“. Ein Leben als Mönch oder Priester ist der scheinbar ideale Ausweg, sich damit nicht befassen zu müssen.
Rastlose Tätigkeit, um den Schmerz zu betäuben
Nach einigen Jahre verlässt Stutz die Ordensgemeinschaft, weil er erkennt, dass sie ohne Nachwuchs bleibt und erlischt. Nichts für einen jungen Mann, „der ein Glaubensfeuer in sich spürt, etwas bewegen will“. Er lässt sich in der Diözese Basel zum Priester weihen, arbeitet leidenschaftlich, äußerst erfolgreich und viel zu viel. Stutz ist ein umtriebiger und beliebter Jugendseelsorger, der im schweizerischen Neuchâtel ein offenes Kloster gründet: ehelose Männer und Frauen unter einem Dach mit Familien, miteinander auf der Suche nach einer anderen christlichen Lebensform. Gleichzeitig ist er unglücklich „bis zur Verzweiflung“, weil er weiß, dass er etwas in sich nicht annimmt, einen Schmerz spürt, den er durch rastlose Tätigkeit betäubt. Stutz spürt jedoch immer, dass er Menschen etwas geben kann und möchte. Er erinnert sich an ein Trauergespräch mit drei atheistischen Brüdern, deren tiefkatholische Mutter gestorben war. „Die haben mir gleich gesagt, dass sie den ,ganzen Zauber‘ nur wegen ihr machen und die Beerdigung höchstens zehn Minuten dauern darf.“ Nach dem Gespräch hat sie viel länger gedauert: „Die Söhne haben gespürt, dass sie in diesem Ritual einen Ort für ihre Trauer haben, dass ihnen die Tränen guttun und sie ihre Mutter würdig und liebevoll verabschiedet haben.“