Meinung
Amoklauf in München

Der Morgen danach

Viele Kollegen der Redaktionen des Sankt Michaelsbundes haben den Amoklauf in München und die Situation in der Landeshauptstadt miterlebt. Auch Susanne Holzapfel, CvD der Münchner Kirchenzeitung...

Susanne Holzapfel ist Redakteurin und Chefin vom Dienst bei der Münchner Kirchenzeitung (Bild: Sankt Michaelsbund) © Sankt Michaelsbund

München – Der Morgen danach: Es ist 6.30 Uhr. Ruhiger und friedlicher könnte es nicht sein auf den Straßen in München. Erst in der Hanauer-Straße sehe ich, was ich gestern Abend stundenlang im Fernsehen gesehen habe. Absperrbänder, Polizeiautos, Übertragungswagen, Fotografen, Journalisten, Mikrofone und ... und nichts. Die Stimmung ist ein bisschen wie nach einem Open-Air-Konzert, wenn die letzte Band die Bühne längst verlassen hat und nur ein paar Unermüdliche nicht nach Hause gehen wollen und noch immer Richtung Bühne schauen. Bühne, das ist in diesem Fall das Olympia Einkaufszentrum, das gestern eine derart traurige Bekanntheit erlangt hat. Die Autokennzeichen (Italien, Spanien, Niederlande) machen klar, dass dieser Schauplatz seit heute Nacht weltweit so bekannt geworden ist wie zuletzt die Strandpromenade von Nizza oder der Pariser Musikclub Bataclan. OEZ ist von nun an das Synonym für eine Horrornacht, wie sie München so wohl noch nie erlebt hat.

Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen war ich weit weg vom Geschehen. Zuhause, rund 80 Kilometer von München-Moosach entfernt. Für mich hatte das Wochenende begonnen und so war ich gedanklich schon bei den anstehenden Gartenarbeiten und dem Einkaufszettel für die Samstags-Tour. Nur noch ein kurzer Blick aufs iPad. Die erste Meldung gegen 18 Uhr: Schießerei im OEZ. Nicht mehr. Zur Sicherheit habe ich den Fernseher angemacht, nicht wissend, dass ich die nächsten Stunden meinen Platz davor nicht mehr verlassen würde. Lange war unklar, was genau sich wo ereignet hatte. Ein Täter oder drei? Das OEZ als einziger Tatort oder doch Schüsse am Stachus, am Isartor? Waren alle Menschen aus dem Einkaufszentrum evakuiert worden? War der Täter noch in der Nähe oder längst geflohen? Terror oder Amok? Die Berichterstatter mühten sich redlich, konnten aber nur die wenigsten Fragen wirklich seriös beantworten. Alles war möglich, und die Fernsehbilder aus allen Teilen Münchens machten unmissverständlich klar: Da steht eine ganze Stadt unter Schockstarre. Angst und Gefahr waren mit Händen zu greifen.

Wieder und wieder wurden dieselben Meldungen verlesen, Reporter wiederholten in Endlosschleife ihre Eindrücke und dazwischen immer wieder das wackelige Handy-Video, auf dem Schüsse zu hören und um ihr Leben rennende Menschen zu sehen waren. Der Schütze nur eine Kontur mit beiden Händen an seiner Waffe. Kein Film, sondern das Leben, wie es in Echtzeit ablief. Schauerlich. Und während ich da saß, quasi fest getackert an den Bildschirm, fielen mir meine Freunde und Kollegen ein, die in München wohnen. Die waren längst zu Hause, mussten es einfach sein. Sie waren in Sicherheit und saßen wie ich vor dem Fernseher, Augenzeugen wie ich, aber eben nicht live, sondern televisionär. Alles andere: Undenkbar!

In der Tat: Alle sind wohl behalten, Gott sei Dank. Und auch ich konnte denen, die mich anriefen, sagen, dass ich weit weg war, als ganz München den Atem anhielt. Susanne Holzapfel