Geht in eine Kirche, zündet Kerzen an!

Notfallseelsorge beim Amoklauf in München

Diakon Saur leitet die Notfallseelsorge im Münchner Erzbistum und ist seit zwei Tagen im Dauereinsatz. Er berichtet, wie gut dieses Angebot der Kirche angenommen wird und welches ganz spezielle Computerprogramm er sich wünscht.

Notfallseelsorger im Einsatz beim Olympia-Einkaufszentrum (Bild: Kiderle) © Kiderle

München – „Uns begegnet hier unsägliches Leid von Menschen, die damit fertig werden müssen, dass ein Angehöriger unter den Toten ist.“ Das berichtet Diakon Hermann Saur, der seit zwei Tagen mit nur kurzen Unterbrechungen als Notfallseelsorger in München unterwegs ist. Auch sein Team wurde von der Polizei angefordert, sobald klar war, dass bei der Schießerei in Moosach Menschen ums Leben gekommen sind.

„Wir haben es zu tun mit Menschen, die stundenlang gebangt und gehofft haben und dann doch die Todesnachricht erhalten haben.“ Saurs Team wird mit der großen Panik von Menschen konfrontiert, die Lebensgefahr gespürt haben, weil sie direkt vor Ort waren. Die Notfallseelsorge des Erzbistums, war auch an anderen Stellen, wo es hieß, dass geschossen worden sei. Auch wenn das letztlich nicht so gewesen ist, so sei diese „nicht wirkliche Todesgefahr“ nicht zu unterscheiden von realer Todesgefahr, erläutert der Krisenprofi. Sie seien dann diejenigen, die versuchten, in dieser katastrophalen Situation den Menschen Schutz, Halt und Sicherheit zu geben.

Das Angebot zur seelischen Unterstützung werde von den Betroffenen vor Ort dankbar angenommen, berichtet Saur. „Wir sind optisch erkennbar und kümmern uns um die Menschen, die hier ankommen.“ Am Samstag beispielsweise hat der Diakon mit vielen Menschen geredet, die zum Olympiaeinkaufszentrum gekommen sind, einfach nur um zu trauern. Der Notfallseelsorger berichtet von Menschen die wieder umgekehrt seien. Diese möchten nicht Internet und bei Facebook gesehen werden. „Betroffene, die hier durch die Schießerei einen Freund, einen Bekannten, einen Kollegen verloren haben, die nur ein paar Blumen ablegen wollen, die stört das alle.“ Dies sei eine Art des Ausgeliefertseines, bei der er sich manchmal ein Computerprogramm wünsche, „mit dem man alle Handys auf einmal ausschalten“ könnte.

Von Normalität will der Seelsorger noch lange nicht reden. Etwas „normaler“ würde es schon werden. Aber aufgrund der Ereignisse der letzten Wochen mache sich eine große Unsicherheit bei den Menschen breit. Es sei schon zu erwarten, dass bei den meisten Menschen nach einer gewissen Zeit eine Grundsicherheit zurückkehre, dass man es sehr wahrscheinlich überlebt, wenn man in die U-Bahn steige. Eine relative Normalität werde wohl zurückkommen.

Dies gelte natürlich nur für die Menschen, die nicht einen Angehörigen verloren hätten. „Da wird wahrscheinlich nie mehr diese Normalität zurückkehren, die vor dem Freitagabend war.“

Wer es mit seiner persönlichen Spiritualität vereinbaren könne, dem empfiehlt der Diakon auch den Gang in eine Kirche: „Setzt euch in Räume der Stille, geht in Kirchen, zündet Kerzen an. Haltet die Opfer im Gebet vor Gott. Die Welt ist, wie sie ist. Und der liebe Gott ist ein lieber Gott, weil er all diese Alpträume mit uns mitgeht und mit uns teilt. Aber er garantiert uns nicht eine Rundumversicherung, bloß weil wir eine Kerze anzünden.“ (urs, gw)