Meinung
Amoklauf in München

Verstörte Stadt

Viele Kollegen der Redaktionen des Sankt Michaelsbundes haben den Amoklauf in München und die Situation in der Landeshauptstadt miterlebt. Alois Bierl, Leiter der Radioredaktion des Sankt Michaelsbundes, war im Münchner Stadtmuseum...

Alois Bierl ist Leiter der Radioredaktion des Sankt Michaelsbundes (Bild: Sankt Michaelsbund/KSchmid) © Sankt Michaelsbund/KSchmid

München – Der Mann taumelt durch den Innenhof des Münchner Stadtmuseums, hat einen Weinkrampf und schreit. Drei Männer hat er gesehen, die am Stachus mit Maschinengewehren in die Menge gezielt haben und Blut. Er wirkt vollkommen glaubwürdig. Auch viele andere Männer, Frauen und Familien flüchten sich auf das Areal des Stadtmuseums am Jakobsplatz im Herzen der Stadt. Viele weinen und schluchzen. Fast alle wollen Schüsse gehört haben und sind in Panik durch die Fußgängerzone gerannt. Erst später wird klar, es gibt nur einen Schützen und der ist kilometerweit weg und zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon tot.

Der Schock und die Angst haben eine Parallelwirklichkeit ausgelöst, die mit den Fakten nichts zu hat. Ich bin aus dem Kino des Stadtmuseums in den Hof gegangen, weil mich meine Tochter während der Vorstellung angerufen hat. Bereits kurz zuvor habe ich auf mein Smartphone geschaut, weil eine Nachrichten-App einen Anschlag in München meldete. Charlotte fragt, ob ich denn in Sicherheit sei, weil es an mehreren Stellen der Stadt „knallt“. Über dem Stadtmuseum kreisen Polizei-Hubschrauber, das Aufsichtspersonal schließt das Hoftor zu. Ich tue, was man als Journalist so macht, rufe bei Radiosendern an, schildere meine Eindrücke, setze Twitternachrichten ab und natürlich telefoniere ich mit Angehörigen und Kollegen.

Nach gut zwei Stunden habe nicht nur ich vom Warten genug. Zusammen mit einem Mann, den ich noch nie gesehen habe, gehe ich in Richtung Isar. Es sind kaum Leute unterwegs, einige wollen ein Taxi anhalten, aber die dürfen keine Fahrgäste aufnehmen und fahren vorbei. Die öffentlichen Verkehrsmittel haben längst ihren Betrieb eingestellt. Es regnet. Unter einem Brückenbogen haben sich dutzende Menschen zusammengedrängt, die sehr still sind und in ihre Mobiltelefone tippen. Mein Begleiter ist an seiner Wohnung angekommen und ich gehe allein weiter. Wenn ich jemandem begegne, dann schauen wir uns verstohlen und misstrauisch an. An diesem Abend hat München sein Lächeln verloren.

Es ist schon dunkel, dennoch schrauben am Mariahilfplatz noch ein paar Schausteller für die Auer Dult an ihrem Fahrgeschäft herum und montieren ein Feuerwehrauto auf der Drehscheibe. Ich bleibe kurz stehen und schaue zu: „Für jeden von uns ist da oben ein Wecker gestellt“, sagt ein Mann, der einen Hammer in der Hand hält. „Aber wenn sie zu mir kommen, nehme ich noch einen mit“, und er droht mit seinem Werkzeug.

Ein paar hundert Meter weiter steht eine Gruppe von Polizisten. Als ich sie nach Neuigkeiten frage, antworten sie mir unerwartet freundlich, dass es nichts Neues gibt. Sie sind angespannt aber ruhig und geben mir ein gutes Gefühl für den Rest meines Weges mit. In etlichen Wirtshäusern und Cafés, an denen ich vorübergehe, ist die Musik ausgeschaltet oder leiser gestellt. Überall laufen die Fernsehapparate, vor denen die wenigen Gäste diskutieren. Nicht laut, sondern sehr verhalten und ratlos.

Auf dem letzten Abschnitt meines Heimwegs gehen immer mehr Lichter hinter den Fenstern aus. München legt sich an diesem Abend verstört und mit Tränen in den Augen zu Bett. Alois Bierl