Geschichte des Erzbistums München und Freising

Ein Benediktiner als Bischof

Der dritte Oberhirte des noch jungen Erzbistums München und Freising kam aus dem Kloster. Gregor von Scherr musste wider Willen eine Rolle in den gewaltigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen seiner Zeit spielen

Gregor von Scherr war der dritte Bischof des Erzbistums München und Freising. © Archiv EOM

München – Gregor Scherr lehnte entschieden ab. König Maximilian II. wollte ihn 1855 auf den vakanten Augsburger Bischofstuhl lotsen. Die bayerischen Monarchen hatten damals ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Besetzung der Oberhirten in ihrem Land. Der damals 51jährige Scherr lehnte jedoch ab, es fehle ihm an der ausreichenden theologischen Qualifikation. So gibt Anton Landersdorfer das Gespräch zwischen dem Geistlichen und dem Landesherrn in seiner Biografie über Gregor von Scherr wieder. Das „von“ in seinem Namen trug er erst ab 1856, als ihn der König dann doch überredete, den freigewordenen Bischofsstuhl der jungen Erzdiözese München und Freising einzunehmen und adelte. Ein solches Prädikat gehörte damals einfach zum Standard der hohen Geistlichkeit. Maximilian II. wollte nach den unruhigen Jahren unter Erzbischof Karl August von Reisach für mehr Ruhe im Staat-Kirche-Verhältnis sorgen und einen kompromissfähigen Kirchenführer in seiner Landeshauptstadt haben. Der für spiritistische Phänomene empfängliche und bedingungslos romtreue Reisach kämpfte für eine größere Unabhängigkeit er Kirche. Nicht nur ihm war es Dorn im Auge, dass der Landesherr etwa allen kirchlichen Erlasse zustimmen musste.

Duldsamer Seelsorger statt Hardliner

Der König hatte seine Zustimmung die ursprünglich im Konkordat von 1817 festgelegten Freiheiten der bayerischen Diözesen wiederherzustellen, an die Bedingung geknüpft, den Hardliner Reisach an die Kurie nach Rom zu berufen. Der hatte die bayerischen Royals wiederholt vor den Kopf gestoßen. Bei dem zum Ritter erhobenen Erzbischof von Scherr war das nicht zu erwarten. Er was bereits die zweite Namensänderung in seinem Leben. Sein ursprünglicher Vorname lautet Leonhard Andreas. So hatten ihn seine Eltern im oberpfälzischen Neunburg vorm Wald taufen lassen. Dort betrieben sie die Gastwirtschaft „Zum Rössl“ in der ihr Sohn zusammen mit seinen drei Schwestern aufwuchs. In der Schule war er wohl nicht der fleißigste und kränkelte oft, weshalb er öfter die Schule wechselte. Bestimmend für den jungen Scherr war die Begegnung mit dem Regensburger Bischof, Schriftsteller und geistlichen Lehrer Johann Michael Sailer, der großen Lichtgestalt der vielfach erschütterten bayerischen Kirche. Sailer strebte eine menschenfreundliche Seelsorge und verinnerlichte Religiosität an, inspirierte die deutschen Romantiker und galt vielen Zeitgenossen als Heiliger. Es muss Scherr geschmerzt haben, dass die Schriften des verehrten Vorbilds von der Inquisition, der heutigen Glaubenskongregation, als ketzerisch verdächtigt wurden. Seiler förderte eine moderne Pädagogik und setzte sich für die Neugründung aufgelöster Klöster ein.

Startheologe Döllinger

Das inspirierte offenbar auch Scherr, der als geweihter Diözesanpriester mit 28 Jahren in das gerade wieder errichtete Kloster Metten eintrat. Dort nahm er den Ordensnamen Gregor an und brachte es bis zum Abt. Besonders pflegte er die Bildungstradition der altehrwürdigen Abtei an der Donau. Als neu ernannter Erzbischof von München und Freising wandte er sich vor allem seelsorgerische Aufgaben zu und förderte die Volksmissionen. Seinen Klerus verpflichtete Erzbischof von Scherr zu verpflichtenden Weiterbildungen auf sogenannten Pastoralkonferenzen, zu denen er vier Mal im Jahr einlud. Mit dem Priester und Professor Ignaz von Döllinger lehrte damals einer der weltweit bedeutendsten Kirchenhistoriker in München, zu dessen Schülern unter anderem die katholischen Sozialreformer Wilhelm von Ketteler und Adolph Kolping zählten. Ursprünglich ein ultramontaner, also streng romtreuer Theologe, wandte sich er sich vehement gegen die Tendenz die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen zum Dogma zu erheben. Auch Gregor von Scherr war wie zahlreiche deutsche Bischöfe ein Gegner entsprechender Bestrebungen. Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil gehörte er allerdings zu einer Minderheit, blieb deshalb der Schlussabstimmung fern und reiste vor der Verkündigung des neuen Unfehlbarkeitsdogmas ab.

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Die von Papst Pius IX. scharf betriebene Abkehr der Kirche von der Moderne widersprach Scherrs Haltung grundsätzlich, die von Bischof Sailers Weltzugewandtheit geprägt war. Es gehört zu Scherrs Tragik, dass er als Erzbischof gegen seine eigenen Überzeugungen handeln musste. In München konzentrierte sich der intellektuelle und praktische Widerstand gegen das Unfehlbarkeitsdogma um Ignaz von Döllinger. Sie führte zur Abspaltung der altkatholischen Kirche, der Döllinger selbst nie angehörte, der sich aber weigerte die Infallibilität des Papstes anzuerkennen. Gregor von Scherr war als Erzbischof dazu gezwungen, den weltbekannten Gelehrten zu exkommunizieren, den er nicht zum Einlenken bewegen konnte. Aus heutiger Sicht liegt deshalb ein Schatten über diesen auf Ausgleich bedachten und seelsorgerlich verdienten Oberhirten. 1877 starb Gregor von Scherr. Er liegt in der Gruft des Münchner Doms begraben, den er im neugotischen Stil umgestalten ließ. Das lag im Trend der Zeit. Es mag aber auch in Scherrs Sehnsucht nach einer einigen und die gesamte Kultur prägenden Kirche begründet liegen, wie es sie in der idealisierenden Vorstellung des 19. Jahrhunderts im Mittelalter gegeben hat. 

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de