Bischöfe des Erzbistums München und Freising

Karl August Graf von Reisach: Kämpfer gegen die Aufklärung

Von 1846 bis 1856 war Karl August Graf von Reisach Münchner Erzbischof. Die Priesterausbildung war ihm ein besonderes Anliegen. Er strukturierte sie komplett neu.

Karl August Graf von Reisach war der zweite Erzbischof von München und Freising. © wikipedia

Karl August Graf von Reisach wurde am 6. Juli 1800 in Roth bei Nürnberg geboren. Nach einem Jurastudium trat er am 24. Oktober 1824 in das wiedereröffnete Collegium Germanicum in Rom ein.  1828 wurde er zum Priester geweiht und zum Doktor der Theologie promoviert, 1830 zum Rektor am Kolleg der Propaganda Fide (Collegio Urbano) ernannt.

Reisach stand beim Präfekten der Propagandakongregation, Kardinal Mauro Cappellari, der 1831 als Gregor XVI. den päpstlichen Stuhl bestieg, in hohem Ansehen. Im selben Jahr wurde er von diesem als Konsultor der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten berufen. So war er mit vielen Angelegenheiten dieser Kongregation befasst; vor allem die Verurteilung etlicher Reformschriften in Südwestdeutschland fiel in seine Amtsperiode; er arbeitete seine Gutachten in eine anonyme Schrift um, die unter dem Pseudonym Athanasius Sincerus Philalethes mit dem Titel „Was haben wir von den Reformatoren zu Offenburg, St. Gallen und anderen religiösen Stimmführern des katholischen Deutschlands unserer Tage zu halten?“ 1835 in Mainz erschien. Diese Schrift kann als Schlüssel der Theologie Reisachs bezeichnet werden: er verstand sich als Athanasius redivivus und Kämpfer gegen die Aufklärung.

Priesterbildung als geschlossenes System

Die Einmischung des Staates in die Klerusbildung empfand Reisach als Eingriff in das ureigene Recht der Kirche. König Ludwig I. versuchte Reisach in einer konservativen Phase seiner Politik für die Erneuerungsbewegung des bayerischen Katholizismus zu gewinnen. 1835 lehnte Reisach das Angebot auf den Eichstätter Bischofsstuhl noch ab. Als aber ein Jahr später derselbe Bischofsstuhl vakant war, nahm er an. Die Bischofsweihe erfolgte durch Papst Gregor XVI. am 17. Juli in der Basilika S. Maria Maggiore in Rom. Die Inthronisation in Eichstätt fand am 13. März 1837 statt.

Mit Reisach gelangte der erste Germaniker neuen Stils im 19. Jahrhundert auf einen deutschen Bischofsstuhl. Aufgrund seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Innenminister Karl von Abel (1837-1847) gelang es dem neuen Eichstätter Bischof relativ mühelos, erstaunliche Breschen in das Staatskirchentum zu schlagen. Zu seinem zentralen Anliegen wurde die Neugestaltung der Priesterbildung als ein geschlossenes System. Im Frühjahr 1841 war Reisach auf Empfehlung Minister Abels gegen den Willen des Erzbischofs Lothar Anselm Freiherrn von Gebsattel dem Heiligen Stuhl als Koadjutor für den erzbischöflichen Stuhl von München und Freising nominiert worden. Sein Amtsantritt nach dem Tode Gebsattels erfolgte am 1. Oktober 1846, die Inthronisation in München am 25. Januar 1847.

Reisach als Gegner der Universitätstheologie

1848 traf sich in Würzburg erstmals die deutsche Bischofskonferenz. Zusammen mit Internuntius Carlo Sacconi lehnte Reisach zunächst eine Beteiligung an der Zusammenkunft ab, ließ sich aber dann doch dazu bewegen, als Beobachter der Kurie an dem Treffen teilzunehmen. Er berichtete laufend über die Vorgänge nach Rom. Für 1850 berief der Erzbischof die bayerische Bischofskonferenz nach Freising ein. Vor allem das Modell der Klerusbildung, das Reisach in Eichstätt eingeführt hatte, sollte nun normativ werden. Der Münchener Kirchenhistoriker Ignaz Döllinger, der als einer der theologischen Berater teilnahm, erhob dagegen vehement Einspruch. Seit dieser Zeit galt Döllinger als Gegner der „guten Richtung“ und wurde in Rom angeschwärzt. Reisach warf ihm vor, er plädiere für eine „Universitätsdiktatur“ der Theologieprofessoren, die sich der Aufsicht der Bischöfe entziehen wollten, und sein Generalvikar Windischmann sekundierte, dass die meisten deutschen Theologieprofessoren faktisch außerhalb der Kirche stünden.

Beobachter kirchenpolitischer Vorgänge in Deutschland

Reisach betrieb mit Vehemenz für die Erzdiözese München und Freising eine Klerusanstalt analog dem Eichstätter Muster. Seine Abberufung, die 1848 noch gescheitert war, war nun programmiert. Er wurde am 17. Dezember 1855 zum Kardinalspriester mit Sitz in Rom ernannt.

Die neue Stellung sicherte ihm einen noch größeren Wirkungskreis. Bereits 1856 wurde er in die Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten und zugleich in die Kongregation des Index, zur Prüfung der Bischöfe, des Ritus und der Propaganda berufen. Wachsam begleitete er die aktuellen kirchenpolitischen Vorgänge in Deutschland. So erreichte er eine Verurteilung der Münchener Gelehrtenversammlung 1863, die unter Führung von Döllinger noch einmal eine Vermittlung zwischen der neuscholastischen Richtung Mainzer Provenienz und der historisch-kritischen Theologie in den Bereich des Möglichen gerückt hatte.

Die Erzdiözese München und Freising gedenkt heuer der 1821 erfolgten Neuordnung der bayerischen Bistümer nach der Säkularisation von 1803 und begeht damit ihr 200-jähriges Bestehen. Das Bistum Freising wurde damals zum Erzbistum München und Freising und veränderte sich so weitreichend in seiner geografischen Ausdehnung und organisatorischen Struktur. Zum Jubiläum gibt es eine Online-Ausstellung zum geschichtlichen Hintergrund.

Ein Jahr später unterstützte Reisach vehement den Versuch des Bischofs von Speyer, Nikolaus Weis, ein kirchliches Lyzeum zu errichten, und sah darin die Chance, sein Eichstätter Modell endlich auf andere Diözesen ausdehnen zu können. Die bayerische Regierung vereitelte im Jahr 1864 diesen Versuch in Speyer durch polizeiliche Schließung der Anstalt. Der Speyerer Seminarkonflikt wurde zu keinem zweiten „Kölner Ereignis“. Döllinger gab diesen Zusammenhängen in seiner Schrift „Die Speyerische Seminarfrage und der Syllabus“ beredten Ausdruck. Er wandte sich gegen die Absicht der Bischöfe, Männer auf theologische Lehrstühle zu berufen, die mit anderen Aufgaben beschäftigt seien und nur nebenbei Theologie dozierten. Daraus könne nur „eine aus dem Stegreife notdürftig zusammengestoppelte Winkelschule werden, eine Art theologischer Strohhütte, zu welcher der Bischof das Material nimmt, wie es ihm gerade vor den Füßen liegt“. Der Syllabus liefere zudem eine bequeme Handhabe, missliebige Professoren einfach zu entlassen.

Reisach forderte kirchliche Geschlossenheit

Döllinger ging es nicht um eine theologische Wissenschaft als Selbstzweck, sondern um ein pastorales Anliegen: um die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Welt der Gebildeten. Die streng kirchliche Richtung, die vor allem Reisach vertrat, konnte mit solcher Offenheit und Dialogfähigkeit gegenüber der modernen Welt immer weniger anfangen und forderte eine kirchliche Geschlossenheit, die zum uneinnehmbaren Bollwerk werden sollte. Die Forderung der Seminarausbildung des Klerus anstelle des Besuchs der Universität war ein Baustein dieses sich immer mehr abschließenden Systems.

Podcast-Tipp

12 Momente aus 200 Jahren Erzbistum

Dieser Podcast erzählt 2021 monatlich von  Menschen, Orten und Dingen aus der Geschichte des Erzbistums München und Freising, das 1821 errichtet wurde. Damit kamen Veränderungen, die noch heute nachwirken.

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Der Dogmatiker Joseph Kleutgen, dessen „Philosophie der Vorzeit“ Reisach ins Italienische übersetzte, schrieb am 12. Dezember 1865: „Jene deutschen Gelehrten, welche die ihnen vom Oberhaupte der Kirche selbst gegebenen Lehren nicht benutzen wollen, sind gewiß sehr zu beklagen…Wahrlich, wer noch nicht begreift, dass es zwischen Rom und den ungläubigen Freidenkern ebensowenig als zwischen Christus und Luzifer eine Mitte gibt, der versteht nichts von unserer Zeit. Mit dem halben Wesen ist es aus“. Derselbe Kleutgen – er wurde wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt- war nicht nur für die Verurteilung der Münchener Gelehrenversammlung durch das Breve „Tuas libenter“ verantwortlich, in dem das „ordentliche Lehramt“ erfunden wurde, sondern auch für die Texte des 1. Vatikanischen Konzils. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat seine Rolle in dem Kirchenkrimi „Die Nonnen von Sant`Ambrogio“ aufgedeckt.

Der Seherin von Altötting verfallen

Reisach konnte die ihm von Papst Pius IX. zugedachte Position als erster Konzilspräsident nicht mehr bekleiden, da er am 22. Dezember 1869 im Redemptoristenkloster Contamine-sur-Arve (Savoyen) starb. Heute kann man mit Fug und Recht sagen: er war wie sein Generalvikar einem eigenartigen Mystizismus um die Seherin Louise Beck in Altötting verfallen; die Seherin von Altötting und ihre „Höhere Leitung“ wurden von den Redemptoristen für ihre kirchenpolitischen Ziele bis hin zur versuchten Indizierung von Johann Michael Sailer instrumentalisiert. Die Spuren wollte Reisach durch Vernichtung von Akten verwischen. Er war der Miterfinder des „ordentlichen Lehramts“, mit dem die Universitätstheologie des 19. Jahrhunderts domestiziert werden sollte. An diesem römischen Verdikt laboriert sie bis heute. (Erich Garhammer war von 2000 bis zu seiner Emeritierung 2017 Professor für Katholische Theologie an der Universität Würzburg)