Kirchengeschichte

In Freising hat alles angefangen

Ein Streifzug durch die bewegte Geschichte der ersten Stadt des Erzbistums hebt deren Bedeutung für die heutige Erzdiözese München und Freising hervor.

Freising von Norden um 1820, Kreidelithogaphie. Die Bildunterschrift formuliert den vergeblichen Anspruch Freisings, Sitz des Erzbischofs und Mittelpunkt der neuen Erzdiözese zu sein. © Sammlung des Historischen Vereins Freising

Freising - Der langjährige Finanzdirektor und Domkapitular der Erzdiözese, Friedrich Fahr, hat auf besorgte oder vorwurfsvolle Anfragen, warum er sich denn der alten Bischofsstadt gegenüber in vielen Bereichen oft so großzügig verhalte, immer lapidar geantwortet: „In Freising hat alles angefangen.“ Diese schlichte Antwort des geschichtsbewussten Prälaten traf voll und ganz den Kern der Sache. Um das Jahr 715 kam Bischof Korbinian, der aus der Gegend um Arpajon bei Paris stammen soll, hierher und ließ sich mit Erlaubnis des Teilherzogs Grimoald auf dem Freisinger Burgberg nieder. Seine kirchliche Legitimation hatte Korbinian durch Papst Gregor II. erhalten.

Freising, wo der heilige Korbinian seine Missionstätigkeit in Bayern beginnen sollte, war Sitz eines Teilherzogtums der Herrscherfamilie der Agilolfinger. Ein Zerwürfnis mit Herzog Grimoald war der Grund, dass Korbinian die Herzogspfalz verließ und sich nach Mais in Südtirol zurückzog. Nach dem Tod des Herzogs rief dessen Nachfolger den Bischof 724 zurück und überließ ihm die Burg auf dem Domberg. So wurde Freising zur Korbiniansstadt. Als der Bischof um 729/730 starb, wurde er gemäß seiner Anordnung nach Mais überführt. Bischof Arbeo (764–783) ließ dann den Leib des Heiligen 768 wieder nach Freising zurückbringen.

"Liebliche Gegend"

Der von der Ebene aus weithin sichtbare Berg mit der Herzogspfalz besaß bereits eine Marienkirche und war durch seine besondere landschaftliche Lage ausgezeichnet, die der Geschichtsschreiber Bischof Otto von Freising (1138–1158) in seiner Chronik rühmt: „Der Berg liegt in einer sehr schönen, lieblichen Gegend: In die Augen fallen zahlreiche Bäche klarsten Wassers und vor allem die reißende Isar; wie von einer Warte hat man einen weiten Ausblick auf die ganze Umgebung und nach Süden zu auf die weite Ebene.“ Diese Beschreibung Bischof Ottos nennt sicherlich einen guten Grund für die Auswahl des Ortes als Sitz einer Herzogspfalz und als Zentrum für das missionarische Wirken Korbinians. Der hohe kirchliche Rang Freisings wird aber noch bestimmt durch einen weiteren Berg, später Weihenstephaner Berg genannt, auf dem Korbinian eine Stephanuskirche und ein Wohnhaus errichtete und sein sogenanntes Quellenwunder wirkte. Bis heute sind beide Berge Wahrzeichen der Stadt (siehe unten den Kupferstich von Matthäus Merian 1642), geprägt in ihrer kirchlichreligiösen Bedeutung durch das Wirken und die Bautätigkeit Korbinians.

Vier Bistümer gegründet

In der Organisation der bayerischen Kirche wurde 739 ein neues Kapitel aufgeschlagen, als Bonifatius im Auftrag des Papstes die vier Bistümer Salzburg, Regensburg, Freising und Passau gründete. Papst Gregor III. bestätigte diese Gründungen und lobte Bonifatius mit den Worten: „Gut hast du daran getan, dem Land der Bayern eine kirchliche Ordnung zu geben, Bischöfe zu weihen und vier Bistümer zu errichten.“ Seit über 1.250 Jahren wird das Land zwischen Alpen und Donau von diesen Bistümern geprägt, erster Bischof in Freising wurde der von Bonifatius geweihte Kleriker Ermbert.

Nach dieser Gründungsphase folgte eine Zeit der Konsolidierung des Freisinger Bistums. Domkloster, Domschule und Dombibliothek entstanden. Die Gläubigen unterstützten die Kirche mit zahlreichen Schenkungen, die der Notar Cozroh in einem bis heute in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrten Band niederschrieb, Kaiser und Könige stifteten wertvollen Landbesitz. Aufgrund dieser wirtschaftlichen Basis gingen von Freising wichtige Impulse für Landesausbau und Missionierung bis weit nach Südosten aus. Unter Bischof Otto (1138–1158), dem Geschichtsschreiber, bekam der Domberg die Ehrenbezeichnung „mons doctus“ (gelehrter Berg). Mit den Worten „auf dem Freisinger Bischofsstuhl die einzige Gestalt von europäischer Größe“ würdigte der Historiker Hubert Glaser den aus der Familie der Babenberger stammenden Bischof.

Kaiser hilft beim Wiederaufbau

Am Ende seiner Regierungszeit verwüstet eine Brandkatastrophe 1158 den Freisinger Dom. Mit prominenter Hilfe – Kaiser Friedrich Barbarossa unterstützte den Wiederaufbau – wurde die Kathedrale wiederhergestellt. Nicht helfen konnte Barbarossa beim Streit zwischen dem Freisinger Bischof und Herzog Heinrich dem Löwen beim Föhringer Brückenstreit, den der Herzog für München entschied, wodurch er Freising wirtschaftlich schwächte.

Dank der herzoglichen Unterstützung und der von den Wittelsbachern erlassenen Religionsmandate im 16. Jahrhundert ging die Reformation nahezu spurlos am Bistum Freising vorbei. In der Zeit zwischen 1565 und 1763 war der Freisinger Bischofsstuhl fast nur von Wittelbachern besetzt. Zwei große Ausnahmen: Während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges regierte Veit Adam von Gepeckh (1618– 1651). Er restaurierte den Dom und stiftete den Hochaltar mit dem Bild von Peter Paul Rubens. Von 1695/96 bis 1727 war Johann Franz von Eckher Fürst bischof, er rief die Gebrüder Asam zur Domrestaurierung nach Freising. Zum tausendjährigen Bistumsjubiläum 1724 ließ er den Bistumsgründer Korbinian im Dom glanzvoll herausstellen, und mit der von Kurfürst Max Emanuel gestifteten Korbiniansglocke wurde das große Jubiläum eingeläutet.

Lange Sedisvakanz

Nicht einmal 80 Jahre sollte das Fürstbistum Freising noch bestehen, bis die Säkularisation dem kleinen geistlichen Staat ein Ende bereitete. 1802 besetzten bayerische Soldaten Freising, der letzte Fürstbischof Joseph Konrad von Schroffenberg (1790–1803) starb im folgenden Jahr in Berchtesgaden. Damit begann die Sedisvakanz des Bischofsstuhls, die über 18 Jahre dauern sollte. Das Bistum Freising wurde nach dem Tod des Fürstbischofs von ehemaligen Domkapitularen und ranghohen Geistlichen der ehemaligen Freisinger Stifte verwaltet.

Da mit der Säkularisation die alte Reichskirche untergegangen war, handelte der bayerische Staat mit dem Vatikan ein Konkordat aus, das für alle bayerischen Diözesen galt und 1817 unterzeichnet wurde. Für Freising war besonders der Artikel II des Konkordats wichtig, in dem es hieß: „Der bischöfliche Sitz von Freising wird nach München verlegt und zum Metropolitan-Sitze erhoben. Sein Sprengel bleibt der dermalige Umfang der Freisinger Diöces, und die Vorsteher dieser Kirche werden den Namen eines Erzbischofs zu München und Freising führen.“ Alle Proteste der Freisinger gegen diese Änderung blieben aussichts- und wirkungslos. Ende Oktober 1821 wurden die Mitglieder des neuen Domkapitels in ihr Amt eingeführt und am 1. November erhielt der neue Erzbischof, Lothar Anselm von Gebsattel (1821–1846), die Bischofsweihe. In den folgenden Tagen legte er den Gehorsams- und Treueid gegenüber dem König ab und ergriff Besitz von seiner Diözese München und Freising.

Schock der Säkularisation 

Die Degradierung zur Provinzstadt, der Bruch der geschichtlichen Kontinuität, der Verlust des Bischofssitzes und auch die wirtschaftlichen Einbußen trafen Freising schwer. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich Freising vom Schock der Säkularisation einigermaßen erholt hatte. Die Stadt bekam ein neues Profil als Sitz des Klerikal- und Knabenseminars, als Hochschulund Schulstadt, als Garnisonsstandort, als Ort der „ältesten Brauerei der Welt“, als Stadt, in der die Schlüter-Traktoren und Brauereimaschinen hergestellt wurden. Aber vieles war nicht von bleibender Dauer. Ein schmerzlicher Verlust waren die Schließungen der kirchlichen Seminare und der Philosophisch-theologischen Hochschule in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in jüngster Zeit die Aufgabe der Dombibliothek, die Kasernen wurden zu Wohnvierteln, die Schlüter-Fabrik zu einem Einkaufszentrum.

Auf der positiven Seite ist zu vermerken, dass der Staat die Hochschuleinrichtungen in Weihenstephan beständig ausbaut, die Erzdiözese sehr viel Geld für die Renovierung des Doms und der Neustifter Kirche sowie für die Sanierung des Diözesanmuseums ausgibt. An vergangene Zeiten erinnern die Freisinger Straßenschilder mit den Namen vieler Fürstbischöfe, Künstler, welche die Kirche in die Stadt geholt hat, und Historiker wie des Benediktiners Karl Meichelbeck. Allgegenwärtig ist der Münchner Großflughafen als „Jobmotor“. Der Historiker Hubert Glaser hat es so ausgedrückt: „Der historische Kern von Freising überlebt als eine Traditionsinsel, die – mühsam befestigt, dennoch wehrlos und abbröckelnd – in der Brandung des ökonomischen Fortschritts steht.“ (Günther Lehrmann, der Autor ist Vorsitzender des Historischen Vereins Freising)

Podcast-Tipp

12 Momente aus 200 Jahren

Dieser Podcast erzählt 2021 monatlich von Menschen, Orten und Dingen aus der Geschichte des Erzbistums München und Freising, das 1821 errichtet wurde. Damit kamen Veränderungen, die noch heute nachwirken.

Im Münchner Dom erinnert heute noch eine Marmortafel mit goldenem Schriftzug an die Neuordnung der bayerischen Bistümer. 1821 wurde sie vollzogen. Nirgendwo führte sie zu so umwälzenden Veränderungen wie in Oberbayern, die heute noch fortwirken. Ein Podcast über Zollschranken gleich hinter der Münchner Stadtgrenze, der Suche nach einer neuen Kathedrale, starke Katholikinnen und Bauboom in den 1950er Jahren.

> zur Sendung