Franziskus von Bettinger

Erzbischof mit sozialer Ader

Der Münchner Kardinal Franziskus von Bettinger hatte stets ein offenes Ohr für die Sorgen der "kleinen" Leute. Seine Amtszeit von 1909 bis 1917 wurde aber auch von der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mitbestimmt.

Kardinal Franziskus von Bettinger © Wikipedia/gemeinfrei

München - Einen bodenständigen Charakter soll sich Kardinal Franziskus von Bettinger auch als Erzbischof von München und Freising bewahrt haben, da sind sich die Historiker einig. Als Beispiel dient etwa folgende Geschichte: So sollen die ersten Schritte Bettingers in der bayerischen Landeshauptstadt nicht – wie es das Protokoll erforderte – zum bayerischen Prinzregenten Luitpold geführt haben, sondern geradewegs in den Franziskanerkeller, wo er das Münchner Bier probierte. Er sei ein Freund eines guten Tropfens gewesen, der den Wein der Pfälzer Heimat bevorzugte, sich aber auch das bayerische Bier schmecken ließ, so beschreibt es der Kirchenhistoriker Hans-Jörg Nesner in dem Buch „Das Erzbistum München und Freising im 19. und 20. Jahrhundert“.

Kein Gelehrter

Der Erzbischof stand nicht gerne im Rampenlicht, ihm habe „akademisches Parlieren“ genauso missfallen wie die höfische Etikette oder kirchenpolitische Auseinandersetzungen. Die Hauptverdienste des „Vollblutpraktikers“ hätten im Bereich der Verwaltung und Seelsorge gelegen, so Nesner. Dort führte Bettinger aufgrund seines Pflichtbewusstseins ein strenges, gut organisiertes Regiment, verband dies aber mit seiner frohen pfälzischen Art. Beim altbyerischen Klerus kam der Erzbischof mit seinem Gemüt gut an, vielleicht auch, weil er nicht als Gelehrter auftrat, sondern als ein Geistlicher, der in der Pfarrseelsorge tief verwurzelt war.

Geboren wurde Karl Franz Bettinger am 17. September 1850 im pfälzischen Landstuhl in der Diözese Speyer. Er entstammte einer kleinbürgerlichen, kinderreichen Familie, geistliche Freunde seiner Eltern ermöglichten ihm die Aufnahme in das Bischöfliche Knabenkonvikt Speyer. Nach einem glänzenden Abiturzeugnis studierte er Philosophie und Theologie in Speyer, Innsbruck und Würzburg. Den Wert der Gemeinschaft erfuhr er in mehreren katholischen Studentenverbindungen.

Dompfarrer in Speyer

Im August 1873 wurde Bettinger im Dom zu Speyer zum Priester geweiht. Er hatte wenig Interesse an einer geistlichen Karriere und konzentrierte sich auf seine Tätigkeiten als Landpfarrer, Schulinspektor und Religionslehrer. Dabei erwarb er sich Kompetenzen in der Seelsorge und Verwaltung, so dass auch der Speyerer Bischof auf ihn aufmerksam wurde und ihn 1895 ins Domkapitel holte. Bald wurde er zum Dompfarrer gewählt, später, 1909, erfolgte noch die Ernennung zum Domdekan. Da galt Bettinger längst als einer der einflussreichsten und angesehensten Priester im Bistum Speyer, das auch heute noch Teil der Freisinger Bischofskonferenz ist.

Dennoch war es eine Überraschung, dass Prinzregent Luitpold von Bayern nach dem Tod des Münchner Erzbischofs Franz Joseph von Stein Bettinger als dessen Nachfolger auf dem Stuhl des heiligen Korbinian nominierte. Bettingers anfänglicher Widerstand gegen die Berufung wurde mit dem Hinweis, er hätte bei Ablehnung die Verantwortung „für eine ungünstige Lösung der Münchner Erzbischofsfrage“ zu tragen, gebrochen, erläutert Hans-Jörg Nesner.

Förderung der Vereine

So wurde Franz Bettinger an Mariä Himmelfahrt 1909 im Münchner Liebfrauendom zum Bischof geweiht. Auch wenn sich das liberale Bürgertum und die Arbeiterschaft – besonders in der bayerischen Landeshauptstadt – langsam vom religiösen Leben entfernte, stand die katholische Kirche damals in religiösen, moralischen und politisch-weltanschaulichen Fragen bei der Bevölkerung noch in hohem Ansehen. Bettingers Augenmerk als Oberhirte lag vor allem auf der Stadt- und Jugendseelsorge, dem Kirchenbau und der Schaffung neuer Pfarreien sowie auf der Förderung und Pflege des kirchlichen Vereinswesens.

Laut Nesner habe Bettinger, der kurz nach seinem Amtsantritt in den Adelsstand erhoben wurde, immer ein offenes Ohr für die Nöte der „kleinen“ Leute gehabt. „Die Mithilfe an der Lösung der sozialen Frage betrachtete er einerseits als Pflicht der Kirche, andererseits erkannte er in der Wirksamkeit der sozialen Vereine ein subsidiäres Mittel der Seelsorge“, erläutert der Kirchenhistoriker. Bettinger war es auch, der Pater Rupert Mayer, welcher später als „Apostel Münchens“ verehrt wurde, in die bayerische Landeshauptstadt holte.

1910 wurde dem Erzbischof erstmals ein Weihbischof zur Seite gestellt. Weihbischof Johann Baptist Neudecker übernahm in der Folge fast alle Firmungen im Münchner Stadtgebiet, die Firmreisen ins idyllische bayerische Oberland gab der Erzbischof jedoch nicht ab.

Papstmacher

1914 wurde Bettinger von Papst Pius X. die Kardinalswürde zugesprochen. Nach dem Tod des Pontifex im gleichen Jahr reiste der Münchner Erzbischof zum Konklave nach Rom. Dort saß er neben dem Erzbischof von Bologna, Giacomo della Chiesa, der schließlich zum Papst gewählt wurde und sich Benedikt XV. nannte. Ganz unbescheiden habe Bettinger die Wahl wie folgt kommentiert: „Wir haben den Papst gemacht und der Papst weiß es.“

Zu diesem Zeitpunkt war freilich schon die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts über Europa hereingebrochen – der Erste Weltkrieg. Auch in Bayern wurde die Religion der Verteidigung des Vaterlandes untergeordnet, eine Ideologisierung seiner Predigten durch die Verbindung von Glaube und Krieg sei bei Bettinger unverkennbar gewesen, so Hans-Jörg Nesner.

Reise an die Front

Während des Krieges fungierte der Münchner Erzbischof auch als bayerischer Feldpropst. Dabei galt es die seelsorgliche Betreuung der Soldaten zu organisieren, Geistliche wurden auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten benötigt. Im Herbst 1916 reiste Bettinger für knapp drei Wochen an die Westfront. Dort feierte er Gottesdienste mit den Truppen, besuchte Krankenlager und Militärfriedhöfe. Sein Mantra als Feldpropst lautete: „Trösten, mahnen und ermuntern.“

Eine geplante Fahrt an die Ostfront konnte der Kardinal nicht mehr antreten. Bereits seit einigen Jahren plagten ihn Herzbeschwerden. Am 12. April 1917 verstarb er nach einer Herzattacke im Erzbischöflichen Palais in München. Heute erinnert im Liebfrauendom ein Epitaph aus rotem Marmor an Franziskus von Bettinger. Es gilt als das einzige bedeutende künstlerische Zeugnis jener Epoche in der Frauenkirche.