Pfarrverband Waldkraiburg

So kann die Seelsorge der Zukunft aussehen

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Es gibt immer weniger Priester. Die Kirche scheint zu verschwinden. Wie kann da die Seelsorge in Zukunft aussehen? Der Pfarrverband Waldkraiburg könnte als Vorbild dienen.

Ob bei Kindern oder Erwachsenen: Der Pfarrer Walter Kirchmann versucht, immer die richtige Ansprache zu finden und authentisch über den Glauben zu sprechen © Nicole Stroth

Waldkraiburg  –  Wie kann die Seelsorge der Zukunft aussehen? Der Salesianerpater Walter Kirchmann lebt sie bereits. Als Pfarrverbandsleiter will er Brücken schlagen, „dass wir in der Welt sind und die Welt bei uns“. Wer selbst aktiv wird, auf die Bedürfnisse der Menschen reagiert und nicht nur sein eigenes Kirchenprogramm abspult, wer möglichst viele miteinbezieht, der könne Gläubige und Sinnsuchende auch heute noch erreichen.

Es ist erstaunlich still – für einen Vormittag im Kindergarten. Friedlich trifft es sogar noch besser. Draußen recht ein Gärtner das Laub zusammen, drinnen sitzen neun Mädchen und Buben im Kreis und gestalten lange gelbe Pappstreifen mit bunten Utensilien, die sie sich aus verschiedenen Körben selbst aussuchen dürfen. In der Mitte brennen zwei Kerzen, im Hintergrund läuft leise Musik. Die Kinder der Gänseblümchen-Gruppe sind konzentriert bei der Sache. Genauso wie Pater Kirchmann. Er kniet auf einem orangen Sitzkissen, beobachtet, wie die Kinder ihre Sonnenstrahlen dekorieren, und hilft von Zeit zu Zeit, die Schnüre zu entwirren. Die Kinder zeigen ihm begeistert ihre Funde und er freut sich sichtlich mit ihnen. Nur ein Mädchen direkt neben ihm ist in sich gekehrt und schaut den anderen bloß zu. Pater Kirchmann reicht ihr einen Korb und motiviert sie, mitzumachen. Vorsichtig, aber dankbar greift sie nach ein paar Filzkugeln.

Kirche muss auf Menschen zugehen

Vier Kindergärten gehören zum Pfarrverband Waldkraiburg, den der Salesianerpater seit eineinhalb Jahren leitet. Ihm und seinem Seelsorgeteam ist es wichtig, regelmäßig in den Kindergärten präsent zu sein und schon den Kleinsten ein Gespür für christliche Werte zu vermitteln. „Wir können als Kirche längst nicht mehr erwarten, dass die Leute einfach zu uns kommen, sondern wir müssen zu den Leuten gehen – in die Kindergärten, Altenheime oder auch in die Politik“, erklärt der 56-Jährige. Das werde mal mehr, mal weniger gut angenommen, da ist er ganz realistisch. Aber Pater Kirchmann hat sich über die Jahre eine gesunde Gelassenheit antrainiert: „Ich mache Angebote. Wenn die Leute andocken wollen, ist das gut. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Das ist deren Entscheidung.“

Salesianer wollte nie Priester werden

Seit 2003 arbeitet Pater Kirchmann in der Pfarrseelsorge – zuerst fünf Jahre in Augsburg, anschließend zehn Jahre in Würzburg und nun ist er im Südosten Bayerns gelandet, in Waldkraiburg. Für ihn ist es schlicht: Berufung. Eine Berufung, die ihn selbst überrascht hat, denn eigentlich wollte er nie Priester werden „und Pfarrer schon gar nicht“.

Walter Kirchmann wächst in Ingolstadt als Jüngster von vier Geschwistern auf. Als er 13 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter und er kommt in ein Caritas-Kinderdorf. „Aufgrund meiner eigenen Lebensgeschichte wollte ich immer Pädagoge und Heimleiter werden. Doch dann bin ich von Gott geführt worden, davon bin ich fest überzeugt.“ Er holt sein Abitur nach, tritt in den Orden der Salesianer Don Boscos ein, studiert in Benediktbeuern Sozialpädagogik und Theologie und wird mit 34 Jahren zum Priester geweiht.

Seine erste Station danach: Buxheim. Dort ist er Erzieher und Gruppenleiter im damaligen Internat der Salesianer Don Boscos, Pfadfinderkurat und Schulseelsorger. Doch über Aushilfen in der Pfarrei merkt er: „Das ist meins.“ Seitdem wollte er nichts anderes mehr. „Ich bin nicht derjenige, der große Visionen hat, aber ich habe gewisse Prinzipien. Don Bosco hat es Assistenz genannt. Ich will bei den Leuten sein, mit ihnen Leben, Trauer, Glauben und Unglauben teilen.“

Frauen im Seelsorgeteam sind Bereicherung

Und er will dies im Team tun. Das betont er mehrmals. Ein Pfarrvikar, ebenfalls ein Salesianer Don Boscos, ein Gemeindereferent und ein nebenamtlicher Diakon kümmern sich gemeinsam mit Pater Kirchmann um drei Pfarreien und eine Kuratie – also eine Gemeinschaft von Gläubigen, die kirchenrechtlich nicht als eigenständige Pfarrei anerkannt ist.

Ergänzt wird das Seelsorgeteam seit einem guten halben Jahr von einer Gemeindeassistentin. Für Pater Kirchmann eine große Bereicherung: „Eine Frau verändert den Männerhaufen. Außerdem ist es wichtig, dass sich Mädchen und Frauen in der Gemeinde abgebildet fühlen.“ Sandra Großmann sieht das genauso. „Ich fühle mich wohl hier. Allerdings finde ich es ganz normal, dass auch Frauen im Seelsorgeteam mit dabei sind“, ergänzt sie. „Die Herausforderungen sind für uns alle dieselben – ob Mann oder Frau, Priester oder Laie.“

Viele Nationen leben in Waldkraiburg

Und Herausforderungen gibt es viele. Die Stadt Waldkraiburg vereint viele Nationen – Polen, Italiener, Kroaten, Rumänen, Deutsche mit Migrationshintergrund. Da prallen auch in der Kirche verschiedene Traditionen aufeinander. 11.500 Katholiken zählen insgesamt zum Pfarrverband. Der Gottesdienstbesuch liegt allerdings nur zwischen drei und zehn Prozent. „Wir haben in unserer Pfarrei Christkönig 52 Erstkommunionkinder“, führt Pater Kirchmann ein Beispiel an. „Von diesen 52 Familien gehen etwa zwei regelmäßig zum Gottesdienst. Und wenn ich die anderen Eltern frage, warum sie wollen, dass ihre Kinder die Erstkommunion empfangen, antworten sie: ‚Weil’s dazugehört.‘“ Noch nicht einmal von Werten sei da die Rede. Dies zu verstehen und vor allem anzunehmen, verlange ihm als Seelsorger viel ab.

Menschen einladen mitzumachen

Doch Pater Kirchmann ist niemand, der deswegen resignieren würde. Stattdessen versucht er, möglichst viele einzubinden. „Das musste ich im Laufe der Zeit erst lernen“, gibt er zu. „Wir Pfarrer sind in der Gefahr, Pfarrherren sein zu wollen. Doch wir müssen nicht immer die erste Rolle spielen und im Vordergrund stehen. Nimm die Leute lieber mit, lass die Ministranten mal was vorlesen, nimm dich nicht zu wichtig.“ Eine Haltung, die Doris Legler-Kelmendi sehr schätzt. Die 51-jährige Mutter von zwei Kindern bereitet gemeinsam mit Pater Kirchmann und einer weiteren Ehrenamtlichen die monatlichen Familiengottesdienste vor. „Der Walter ist einfach authentisch. Er spielt mit den Kindern, hört den Menschen zu und spricht ihre Sprache – auch im Gottesdienst.“ Er war es auch, der sie dazu gebracht hat, sich in der Gemeinde zu engagieren: „Er lädt die Menschen ein und will keine Vorschriften machen. Das hat mich berührt. Ich bin als Christin katholisch geboren und habe gemerkt, ich komme davon nicht weg. Auch wenn ich es aufgrund der Krisen in der Kirche manchmal gerne versucht hätte. Aber der Glaube ist für mich so wichtig, dass ich ihn mit anderen teilen möchte.“

Ehrenamtliche: Verbindung zwischen Kirche und Welt

Für Pater Kirchmann sind die Ehrenamtlichen in seiner Gemeinde wertvolle Scharniere, die Kirche und Welt miteinander verbinden. Und sie rücken auch sein eigenes Bild immer wieder zurecht. „Wir sind nicht immer einer Meinung“, erklärt Doris Legler-Kelmendi. „Aber wenn wir beiden Mütter im Vorbereitungsteam sagen, dass das so und so in Familien nicht läuft, wie er es sich vorstellt, nimmt er das an. Das finde ich schön, dass solche Diskussionen Platz haben.“

Warum auch nicht? Pater Kirchmann muss sich nicht mehr beweisen, er ist angekommen. Das verrät seine ganze Haltung. Er wirkt ausgeglichen, in sich ruhend und sehr reflektiert. Die vielen Jahre in der Seelsorge haben ihn geprägt – im positiven Sinn, denn er hat sich immer wieder neu auf Veränderungen eingelassen.

Auf die eigenen Reserven schauen

Er weiß um seine Stärken, kennt aber auch seine Grenzen. „Wenn du nur gibst, ist irgendwann der Akku leer. Auch als Seelsorger oder Seelsorgerin darfst du die eigenen Bedürfnisse nicht hintanstellen. Ich brauche zum Beispiel meinen Mittagsschlaf, sonst werde ich grantig“, sagt er lachend. Ebenfalls Kraft gibt ihm seine Mitbrüdergemeinschaft in Aschau am Inn. Pater Kirchmann sieht darin einen großen Vorteil zu einem Diözesanpriester. „Diese Mitbrüdergemeinschaft ist mein Zuhause. Im Moment wohnen hier 13 Salesianer Don Boscos, mit denen ich mich austauschen kann, über die ich mich natürlich manchmal auch ärgere, aber sie sind es, die mir das Gefühl geben: Da bin ich daheim.“

Außerdem helfen die Mitbrüder, wenn nötig, aus und übernehmen zur Entlastung von Pater Kirchmann den einen oder anderen Gottesdienst. So fühlt er sich gestärkt, um für andere da zu sein: „Es ist mir geschenkt, ein Herz für die Menschen zu haben. Für mich ist es egal, ob das ein Trauernder ist, ein Drogenabhängiger oder ein Kind im Kindergarten.“

Mit der Gänseblümchen-Gruppe überlegt er heute, wie man seinen Eltern eine Freude machen kann. „Worüber freut sich denn deine Mama? Wenn du ihr zum Beispiel ein Bild malst?“, fragt er ein Mädchen mit blonden langen Haaren. „Nein, sie freut sich, wenn ich keinen Schmarrn mache“, entgegnet es ernst und versteht wahrscheinlich nicht, warum Pater Kirchmann in ein herzliches Lachen ausbricht. (Nicole Stroth, Redakteurin bei Don Bosco Medien)