Klimawandel

LMU gründet Münchener Zentrum für Nachhaltigkeit

Die Ludwig-Maximilians-Universität hat am Montagabend ihr neues Münchener Zentrum für Nachhaltigkeit vorgestellt. Zur Eröffnungsveranstaltung in der Großen Aula der Universität waren prominente Speaker geladen, darunter der Astrophysiker Harald Lesch und der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin.

Prof. Markus Vogt bei der Begrüßung zur MZN-Gründungsveranstaltung in der Großen Aula der LMU © SMB/Ebelsheiser

Das Münchener Zentrum für Nachhaltigkeit (MZN) soll laut LMU interdisziplinäre Forschung, Lehre und den Wissenstransfer zu Nachhaltigkeit bündeln. „Es ist ein wissenschaftszentriertes Zentrum, an der Katholisch-Theologischen Fakultät aufgehängt, mit einem interdisziplinären Auftrag, sehr stark auch in der Geographie verankert. Wir wollen interdisziplinär zu den Fragen der Nachhaltigkeit forschen, also zu Fragen des Klimawandels und der Biodiversität. Ein besonderer Schwerpunkt ist für mich auch die ethische Frage dabei, aber immer mit naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Grundlagen", erklärt MZN-Sprecher Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik am Department für katholische Theologie der LMU, gegenüber mk online. Da Nachhaltigkeitsprobleme „Querschnittsprobleme“ seien, könne man diese nur interdisziplinär bearbeiten. Mit dem Zentrum wolle man dem Thema mehr Sichtbarkeit verschaffen, das Profil der eigenen Institution als Verantwortungsträger für Nachhaltigkeit schärfen, und die vorhandenen Kompetenzen zusammenführen, die zurzeit noch „etwas zersplittert“ seien.  

„Na weil es noch keins gab“, antwortet LMU-Professor Harald Lesch auf die Frage von mk online, warum es das Münchener Zentrum für Nachhaltigkeit braucht. Wenngleich die LMU sich die Frage gefallen lassen muss, weshalb sie erst jetzt auf die Idee kam, mit der Gründung des MZN ihre Kompetenzen in Sachen Nachhaltigkeit über Fachgrenzen hinweg zu bündeln. Vogt gibt diesbezüglich einen „gewissen Nachholbedarf“ bei der LMU zu, sich in diesem Bereich zu institutionalisieren. Auch Prof. Julia Pongratz, Klimaforscherin der LMU, sagt auf Nachfrage: „Es wäre auch vor zehn Jahren schon der richtige Zeitpunkt für das Zentrum gewesen, aber jetzt ist es drängender denn je.“

Thema des Abends: Akzeptanz von Klimapolitik

Das Interesse an der Gründungsveranstaltung, die unter dem ethisch-politischen Schlüsselthema „Akzeptanz von Klimapolitik“ steht, ist an diesem Abend groß. Nachdem die LMU die Veranstaltung ursprünglich in einem kleineren Rahmen geplant hatte, musste die Uni sie aufgrund der großen Nachfrage, in die nun gut gefüllte Große Aula verlegen. Nach der Begrüßung durch Markus Vogt inklusive eindringlicher Warnung („Wir laufen in eine Falle kollektiver Selbstschädigung“) übernimmt Prof. Henrike Rau vom Department für Geografie von der LMU das Wort und stellt das MZN vor. Dabei spricht sie über die Zielsetzungen des Zentrums. Demnach bestehen diese darin, den wissenschaftlichen Austausch auch über die Grenzen der LMU hinweg zu fördern, konkrete Forschungsprojekte zu starten und die Ergebnisse dieser Projekte innovativ und breit zu kommunizieren, sowie das Thema Nachhaltigkeit in die wissenschaftliche Lehre zu integrieren, unter anderem durch die Einführung eines Nebenfachs Nachhaltigkeit und der Initiierung von Vorlesungsreihen. 

Als nächstes ist Lesch mit seinem Impulsvortrag an der Reihe und liefert ein Feuerwerk der pointierten Aussagen. Dabei nimmt er gegenüber Politik und Gesellschaft kein Blatt vor den Mund. „Diese Gesellschaft hat den Schlag nicht gehört, obwohl wir seit Jahren getrommelt haben.“ Er kritisiert die Verdrängungsmechanismen, die dafür sorgten, dass die Flugzahlen immer mehr steigen, in Skigebieten Schneekanonen aufgestellt werden, und Atomkraft propagiert werde, ohne eine Lösung bei der Endlagerung zu haben. Die Verantwortung dafür sieht Lesch aber auch bei der Wissenschaft und ihrer Kommunikation: „Wir sind nicht in der Lage, Inhalte so zu kommunizieren, dass sie ankommen“. Er erinnert an das alte Motto des Nachrichtenmagazins SPIEGEL („Sagen, was ist“), das in der Wissenschaft zu wenig beachtet wurde. Sein Vortrag trägt den Titel „Glaubwürdigkeitslücke“, die darin besteht, „dass es immer noch viele Leute auch in entscheidenden Stellen gibt, die entweder nicht glauben, dass es den Klimawandel gibt, oder nicht, dass wir etwas dagegen tun könnten“, erklärt Lesch. Das Ziel müsse sein, diese Glaubwürdigkeitslücke zu schließen. Der Fernsehmoderator schließt seinen Vortrag mit einem Appell an das Publikum: „Halten Sie sich nicht zurück. Seien Sie nicht so leise!“ Dem „Bullshit“, der in alltäglichen Diskussionen über das Klima kursiere, müsse aktiv begegnet werden. 

„Sind wir bereit, für das Klima weniger Fleisch zu essen?“ 

Auf Lesch folgt Klimaforscherin Pongratz. Hier kommen erstmals auch Klima-Nerds auf ihre Kosten. Auf den gezeigten Folien wimmelt es nur vor Kurven, Daten und Fakten. Die primäre Botschaft der vielen Zahlen lautet: Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten und Treibhausgasneutralität zu erreichen, ist nicht nur eine drastische Emissionsreduktion notwendig, sondern auch die Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre, durch unterschiedliche Methoden, beispielsweise durch Aufforstung. „Ich glaube, dass wir unter 2 Grad bleiben könnten, wenn wir uns jetzt wirklich anstrengen. 1,5 Grad scheint inzwischen außerhalb der Reichweite zu sein. […] Aber das soll uns nicht entmutigen, jedes Zehntelgrad zählt“, antwortet Pongratz auf die Frage von mk online, ob das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, noch realistisch sei. In ihrem Vortrag fordert sie außerdem eine ehrlichere gesellschaftliche Debatte: „Sind wir bereit, für das Klima weniger Fleisch zu essen?“ 

Nach dem politischen Impuls von Lesch folgt Nida-Rümelin mit einem philosophischen Blick auf das Thema des Abends. Nach einer ausführlichen Einleitung, mit einer Klärung des Nachhaltigkeitsbegriffs, über die Französische Revolution bis hin zur UN-Menschenrechtscharta, gelingt es ihm endlich, den Bogen zurück zum Thema des Abends zu spannen: „Normative Prinzipien von Menschenrechten und Demokratie gelten nicht nur synchron, sondern auch diachron. […] Wir haben synchron und diachron eine Verpflichtung.“ Das heißt für das Thema Nachhaltigkeit: Man muss beim Klimawandel nicht nur das eigene Wohl, sondern auch das der nachkommenden Generationen im Blick haben. Obwohl global weitgehende Einigkeit über Klimaziele herrsche, bestünden große Interessenkonflikte, vor allem zwischen Industrienationen, die maßgeblich für den Anstieg der CO₂ -Emissionen verantwortlich waren, und Ländern des globalen Südens, die darunter am meisten zu leiden haben, so der Co-Vorsitzende des Deutschen Ethikrats.  

Hoffnungsvolle Signale und eine kontroverse Debatte

Was den Experten in Bezug auf die Entschärfung der Klimakrise noch Hoffnung macht? Pongratz sieht Fortschritte in vielen Ländern bei der Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen, identifiziert ein großes globales Bemühen und positive Signale. Lesch machen Projekte wie das Programm „Klimaschule Bayern“ des Bayerischen Kultus- sowie Umweltministeriums Hoffnung, bei dem Schulen im Freistaat über Klimaschutzmaßnahmen ihre Treibhausgasemissionen reduzieren (beispielsweise das Erzbischöfliche Edith-Stein Gymnasium). Dadurch werde bei Kindern und Jugendlichen sehr früh Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit geschaffen, lobt er. 

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion im Anschluss an die Vorträge kommt es nur an einer Stelle zum Dissens. Nida-Rümelin appelliert an Perspektivenvielfalt in der Debatte rund ums Klima und verweist auf die Corona-Pandemie, bei der beim Thema Schulschließungen mit verheerenden Folgen zu sehr auf Virologen gehört wurde, anstatt Warnungen von anderen Experten zu berücksichtigen. Lesch widerspricht, der Vergleich hinkt aus seiner Sicht: „Corona hat uns kalt erwischt – den Klimawandel kennen wir dagegen schon viel länger.“ Nachdem Nida-Rümelin Zurückhaltung bei der Einmischung der Wissenschaft in aktive Politik anmahnt, erwidert Lesch: „Ich will ja nicht, dass Wissenschaft politisch wird, aber auch nicht, dass Politik völlig unwissenschaftlich ist“. 

Der Autor
Wanja Ebelsheiser
Volontär beim Sankt Michaelsbund
w.ebelsheiser@michaelsbund.de