Diagnose bösartiger Hirntumor

Filmemacher Max Kronawitter schreibt über lebensbedrohliche Erkrankung

Der Filmemacher Max Kronawitter ist an einem Glioblastom erkrankt. Über seine Situation hat er ein Buch geschrieben. In der Benediktinerabtei St. Bonifaz hat er es vergangene Woche vorgestellt.

Max Kronawitter bei seiner Buchvorstellerung "Ikarus stürzt". © Kiderle

Es ist der 21. Dezember 2022: Max Kronawitter, seit gut 20 Jahren fester Autor bei uns im Blatt, schickt der Kollegin Karin Hammermaier einen Beitrag für die Rubrik „Glaube im Alltag“. Karin leitet ihn
an mich weiter, das ist ungewöhnlich. Es liegt am kurzen Zusatz von Max in seiner E-Mail: „Liebe Karin, anbei mein Text für Anfang Januar. Da mich ein Ereignis aus der Bahn geworfen hat und für mich derzeit nicht absehbar ist, ob ich wieder ins normale Leben zurückkehren kann, wäre ich Dir sehr dankbar, wenn Du ihn so, wie er ist, übernehmen würdest. Falls es Rückfragen gibt, melde Dich bitte. Ich wünsche Dir ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr. Viele Grüße von Max.“

Diagnose: bösartiger Gehirntumor

Das klingt dramatisch, findet Karin. Ich auch. Sie will „vorsichtig nachfragen“, um welches Ereignis es sich gehandelt hat. Für mich gibt es da nur drei Möglichkeiten, die jemanden veranlassen, solche Zeilen zu verfassen: entweder eine schwere Beziehungskrise und/oder Trennung vom Partner, etwas Schwerwiegendes mit den Kindern oder mit der Gesundheit. Letzteres soll sich in diesem Fall bestätigen: Max hat einen bösartigen Gehirn-
tumor. Erst am Tag vor seiner E-Mail an uns war er nach der Operation im Klinikum Großhadern entlassen worden, nachdem in einer Kernspintomografie am 5. Dezember ein Glioblastom, so der medizinische Fachausdruck, bei ihm erkannt worden war. Max hatte die Wochen zuvor immer wieder über Blitze im Gesichtsfeld geklagt. Erst am Nachmittag bringe ich es fertig, ihm eine kurze E-Mail zu schreiben: Lieber Max! Karin hat mir Deine erschütternde Krankheitsdiagnose und Umstände gerade berichtet. Ich bin sprachlos. Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Beistand von Deinen Lieben. Wir denken an Dich. In Verbundenheit!

Endlich fällt mein Blick auf den Text von Max. Er schreibt über Dietrich Bonhoeffer. „Von guten Mächten“, lautet die Überschrift, Zeilen, die Bonhoeffer einst zum Jahreswechsel im Keller des Berliner Gestapo-Gefängnisses verfasst hat. Sie fanden als Lied Eingang bis ins Gotteslob, sind beliebt in den Jahresschlussgottesdiensten. „In der Einsamkeit einer Gefängniszelle macht Bonhoeffer die Erfahrung, dass selbst seine Todesangst umfangen ist von der Geborgenheit wunderbarer Mächte. Welch tröstlicher Gedanke am Beginn eines ungewissen Jahres“, schreibt Max. Und weiter: „Was, wenn unser kleiner Kosmos ins Wanken gerät, weil Krankheit oder Tod anklopfen? ,Und reichst du uns den schweren Kelch den bittren‘, formuliert Bonhoeffer. In der Entschlossenheit, den Kelch dann ohne Zittern anzunehmen, ist er mir noch zwei Schritte voraus.“

Später werden wir auch telefonieren, ich erlebe dabei stets einen heiter-gelassenen Max, einen Max, wie ich ihn  von unseren diversen Gesprächen, von unseren legendären Kirchenzeitungs-Weihnachtsfeiern oder von gemeinsamen Terminen her kenne. Und er wird für uns, es ist sein eigener Wunsch, auch weiter Glaube-im-Alltag-Texte schreiben. Dabei ist mir klar: Über allem, was Max ab sofort verfasst, wird selbstverständlich immer der dunkle Schatten seiner lebensbedrohlichen Krankheit stehen, kein Text von ihm kann mehr ohne diesen Kontext gelesen werden.

"Ikarus stürzt" heißt das Buch von Kronawitter

Ich ahne jedoch nicht, dass er, der stets emsig Kreative, zu diesem Zeitpunkt schon beschlossen hat, ein Buch über sich und seine existenzielle Situation zu schreiben. Dass der 61-Jährige, der ja auch Theologe ist, nie seinen Lebensmut und seine -freude, seinen Witz und den hintergründigen Humor und, ja, auch seinen Glauben verlieren wird, ist zu großen Teilen diesem Projekt zu verdanken – vielleicht sein größtes Werk in seinem Schaffen als Schöpfer von über 200 Dokumentarfilmen, viele davon preisgekrönt, sowie als theologischer Autor.

Mit einer bewundernswerten Disziplin, der nie endenden Unterstützung seiner Frau Heike und seiner drei Kinder Lucia, Marie und David sowie der Anteilnahme und dem Zuspruch vieler Freunde und Kollegen hat er es geschafft: „Ikarus stürzt“ lautet der Titel, des jetzt im Herder-Verlag erschienenen Buches. Die Max’ Firma heißt „Ikarus-Film“. Die alte griechische Sagengestalt des Ikarus, der zusammenmit seinem Vater, dem genialen Baumeister Dädalus, der Gefangenschaft des Tyrannen Minos auf Kreta mit selbst gebauten Flügeln entflieht, der der Sonne zu nahe kommt und schließlich ins Meer abstürzt, dieser Ikarus hat Max von Jugend auf so fasziniert, dass er 1989 bei der Gründung seiner Firma diesen Namen gab. Fällt jetzt also auch Max ins todbringende Bodenlose?

Mit Diktiergerät "konserviert" Kronawitter seine Erinnerungen

Nein, sagt Abt Johannes Eckert bei der Buchvorstellung vergangene Woche im Saal der Benediktinerabtei St. Bonifaz. Wie kaum ein Zweiter im Saal ist Eckert mit Max und seiner Familie seit vielen Jahren verbunden, ist einer der engsten Freunde. Eckert besuchte ihn auch im Krankenhaus, schon am zweiten Tag nach der OP. „Es ist ein Abend wie das Wetter, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht“, erklärt er in seiner Begrüßung den rund 130 erschienenen Freunden und Weggefährten des Autors, und spielt damit einerseits auf das Glatteis in der Früh und das wenige Stunden darauf folgende Tauwetter an, anderseits auch auf die Lebenssituation von Max. An diesem Abend werde deutlich, dass menschliches Leben grenzwertig sei, dass aber zugleich immer ein Schimmer aufleuchte, „dass dieses Leben vielleicht doch ins Grenzenlose reicht“. Ja, es sei der Abend einer Krisensituation, „wo Ikarus stürzt, aber nicht abstürzt“, so Abt Johannes.

Entstanden ist das 272 Seiten zählende Buch innerhalb von neun Monaten anhand von Aufzeichnungen, die Kronawitter bereits wenige Tage nach seiner OP begonnen hatte in sein Diktiergerät zu sprechen. Sein Sehvermögen ist seit der OP stark eingeschränkt, bis heute leidet er unter großen kognitiven Defiziten, die Fähigkeit zu lesen ging ihm verloren. Erinnerungslücken tun sich von einem Moment auf den anderen auf, einfachste Tätigkeiten stellen ihn mitunter vor schier unlösbare Aufgaben. „Hirnamputiert“ bezeichnet er sich selbst – es ist kaum zu ermessen, was der einst so versierte Filmemacher damit so salopp zum Ausdruck bringt: absolute Hilflosigkeit, der Verlust der Eigenständigkeit, eines Teils von ihm selbst, seiner Identität. Dank des Diktiergeräts rettet er seine Erinnerungen, „konserviert“ seine Gedanken und Gefühle in Echtzeit, „ohne den Filter des Vergessens“. Das Diktiergerät wird ihm „zum treuen Begleiter“, es dient ihm zur täglichen Supervision in der Ausnahmesituation.

"Wir warten auf das Wunder"

Vier langjährige Kollegen, Sprecherinnen und Sprecher beim Bayerischen Rundfunk, die über die Jahre die Texte seiner Filme einsprachen, lesen an diesem Abend Passagen aus dem Buch vor. Der gekonnte Vortrag berührt und verdichtet das, was in den tagebuchartigen Kapiteln wie im Brennglas einer filmischen Nahaufnahme verdichtet ist: die absolute Grenzerfahrung, die einem Mensch widerfährt, der durch Krankheit aus allen gewohnten Bahnen geworfen wird. Rettungsanker sind dem gestürzten Ikarus Kronawitter seine Familie und die Protagonisten seiner Filme der vergangenen 30 Jahre: Er verbindet das eigene Schicksal mit dem der Akteure seiner Dokumentationen. Etwa mit der 13-jährigen Wenke, die an einem Gehirntumor, den sie „Hugo“ nannte, sterben musste und der er die Trauerrede hielt. Oder mit dem schwerstbehinderten Ferdi, der trotz aller Einschränkungen „1.000 Jahre“ leben wollte, weil er unbezähmbare Lebenslust spürte und versprühte. Sie alle werden nun zu Lehrmeistern für Max, der dank ihnen lernt, mit dem eigenen Schicksal umzugehen. „Immer wieder habe ich mit meinen Filmen versucht, das Tabu um die Themen Sterben und Tod zu durchbrechen und die Auseinandersetzung mit ihnen anzustoßen. Ist das die Vorbereitung auf mein jetziges Schicksal gewesen?“, überlegt er.

„Mein Tumor, meine Filme und mein neues Leben auf Zeit“ lautet der Buchuntertitel. Wie viel Zeit Max noch bleibt, weiß niemand. Ein Jahr, zwei, zehn? „Wir warten auf das Wunder, das große, das mich wieder ganz gesund macht, aber auch auf die vielen kleinen, die sich täglich um uns herum ereignen“, lautet der Schluss. Unsere guten Wünsche begleiten dich, Max!

Buchtipp

Max Kronawitter: Ikarus stürzt

Der Filmemacher Max Kronawitter erhält eine schockierende Diagnose: In seinem Gehirn ist ein lebensbedrohlicher Tumor gewachsen. Viele Jahre hat er Menschen in außergewöhnlichen Lebenssituationen mit der Kamera begleitet und auch das Sterben und den Tod dokumentiert. Nun steht er plötzlich auf der anderen Seite. Und er stellt fest: Durch viele seiner Fragen und Gefühle ist er mit den Menschen, die er begleitet hat, schon hindurchgegangen. In seinem Buch verbindet er das eigene Schicksal mit den Geschichten der Protagonisten aus seinen Reportagen. Entstanden ist ein Dokument über eine existenzielle Lebenssituation, über den Alltag nach einer Hirn-OP und über Fragen nach dem Tod und über das, was im Leben Sinn gibt. Und auch hier beweist Max Kronawitter ein feines Gespür für Perspektiven, Atmosphäre und Stimmungen und behält seine Zuversicht und seinen Humor.

24 € inkl. MwSt.

Hier bestellen

Der Autor
Florian Ertl
Münchner Kirchenzeitung
f.ertl@michaelsbund.de