Resilienz und Glaube

Gott als Leidensgenosse

Menschen, die schwere Schicksalsschläge treffen, gehen damit häufig ganz anders um, als ihr Umfeld das erwartet: Sie bleiben hoffnungsvoll, optimistisch und resilient. Der Glaube kann dabei eine große Stütze sein.

Caroline Heckmann und Pater Andreas Batlogg müssen mit schweren Krankheiten leben. Ihr Glaube hilft ihnen dabei. © privat, Bodmer/MM

Caroline Heckmann ist 26 Jahre alt und studiert Soziale Arbeit. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, sieht man der jungen Frau nicht an. Vor zehn Jahren hatte sie einen Unfall, der eine schwere neurologische Erkrankung zur Folge hatte. Mehrere Monate saß sie im Rollstuhl, über ein Jahr lang war sie pflegebedürftig, konnte nicht allein essen oder auf die Toilette gehen und war bei den kleinsten Bewegungsabläufen auf Hilfe angewiesen. „Für eine 16-Jährige ist das echt uncool“, sagt sie heute trocken. Aufgrund ihrer Erkrankung musste sie außerdem an eine Schule für Körperbehinderte wechseln.

Nach Schicksalsschlag stellen sich die Fragen nach dem "Warum?"

Doch Heckmann übersteht die Krankheit und kann den Rollstuhl hinter sich lassen. Nur eine Gehbehinderung bleibt. Doch ein paar Jahre später, kurz nach ihrem Abitur, kommt die nächste Schockdiagnose: Heckmann hat Blasenkrebs. Später kommen noch eine Autoimmunerkrankung und eine Vorstufe von Blutkrebs dazu. Ein Schicksal, mit dem die junge Frau umzugehen lernen muss und das Fragen aufwirft: „Warum ich? Warum so eine drastische Art von Leiden? Warum in dem Alter?“ Eigentlich hätte sie sich in dieser Zeit mit anderen Fragen herumschlagen wollen: Wo geht der nächste Urlaub hin? Was will ich studieren? „In der Schule wird man immer nur darauf vorbereitet, Pläne für sein Leben zu machen“, sagt die Studentin, „und ich habe mir dann die Frage gestellt: Bin ich dann überhaupt noch da?“

Das "Theodizee-Problem": Warum lässt Gott Leid zu?

Hilfe und Unterstützung findet die junge Frau in ihrer Familie und im Glauben. Doch wie kann der Gott, an den die überzeugte Katholikin seit ihrer Kindheit glaubt, das zulassen? Und wieso gibt es überhaupt derartiges Leid, wenn Gott gut und allmächtig ist? Fragen, die in der Philosophie das „Theodizee-Problem“ genannt werden und auf die es keine eindeutige Antwort gibt, erklärt der Jesuit Andreas Batlogg: „Die Gegenfrage ist immer: Wie liefe es denn anders?“ Wer glaubt, dass Menschen freie Wesen sind und keine Marionetten eines Gottes, muss auch akzeptieren, dass es Unglück, Katastrophen und Krankheit gibt. „Auch Christen bleibt es nicht erspart, sich dem zu stellen.“

Diese theologische Antwort auf die Theodizee-Frage tröstet aber nur bedingt, wenn man selbst betroffen ist. Das musste auch Batlogg feststellen. Mit Mitte 50 wird bei ihm bei einer Routineuntersuchung Darmkrebs diagnostiziert. „Das hat mich damals umgehauen.“ Sein Leben ändert sich von einem Tag auf den anderen radikal. Die Behandlung beginnt sofort. „Der Arzt hat mir gesagt: Sagen Sie fürs nächste Jahr alle Termine ab.“ Für den aktiven Autor, der gerade zu diesem Zeitpunkt an einem Buch schreibt, unvorstellbar. Doch mit jedem Tag wird Batlogg sein Schicksal bewusster. Die Krankensalbung hat er schon unzählige Male als Seelsorger gespendet. Vor der Operation empfängt er sie nun selbst. „Da ist mir klar geworden: Andreas, das überlebst du vielleicht nicht.“

Gotteserfahrung in Zeit der Krankheit

Doch es ist nicht nur die unmittelbare Konfrontation mit dem Tod, die Batlogg in dieser Zeit kennenlernt. Auch die Kontrolle über sein Leben und den eigenen Körper zu verlieren, ist eine herausfordernde Erfahrung für den Ordensmann. „Mit dem ersten Tag der Bestrahlung war ich inkontinent und musste Windeln tragen wie ein Baby, das war für mich schwer zu akzeptieren.“ Mit seinem Schicksal hat er zwar nicht gehadert, aber er habe „intellektuell verhandelt“, erinnert er sich heute. Und zwar mit Gott. Die Theodizeeerfahrung wird zum Lackmustest für Batloggs Glauben. In eine Krise gerät der Geistliche aber nicht. Stattdessen erlebt er in ihr sogar eine Gotteserfahrung. Als er einem befreundeten syrisch-orthodoxen Arzt von seiner Erkrankung erzählt, antwortet dieser: „Abuna (Pater), ich bin für dich da.“ „Das hat mich an den Gottesnamen Emanuel erinnert: Gott für uns.“ Aus diesen wenigen Worten schöpft Batlogg Kraft und Zuversicht in der Zeit seiner Behandlung. Sie entsprechen auch dem Wappenspruch seines Ordens: Jesum Habemus Socium (JHS) – Wir haben Jesus als Gefährten.

Warum es das Leid gibt, ist aber nur die eine Frage. Die andere: Wie halten Menschen, die so viele Schicksalsschläge treffen, ihre Situation aus, ohne zu verzweifeln? Und warum bleiben Betroffene trotz ihrer Lage optimistisch und sehen in ihrem Schicksal sogar eine Herausforderung, die sie motiviert? In der Psychologie wird dieses Phänomen „Resilienz“ genannt. Zu Deutsch: die Fähigkeit, sich nicht unterkriegen zu lassen. Gerade unter gläubigen und jungen Menschen ist sie stärker verbreitet. Zu diesem Ergebnis kam 2021 die Studie „Junge Deutsche“. In der Wissenschaft werden dafür vor allem zwei Faktoren als Ursachen vermutet: Zum einen die Glaubensgemeinschaft, die einem das Gefühl gibt, nicht allein zu sein. Zum anderen die Suche nach einem Sinn im eigenen Schicksal und folglich ein konstruktives Reflektieren der eigenen Lage.

Beten hilft dabei Schmerz abzugeben

Für Heckmann ist es das christliche Gottesbild, aus dem sie Kraft schöpft. Jesus leidet und stirbt am Kreuz. In Gott einen Leidensgenossen zu haben, der sie versteht, ist für die junge Frau tröstlich und der Grund, warum sie regelmäßig betet. Auf diese Art und Weise könne sie Schmerz und Verantwortung abgeben. „Das allein bringt große Entspannung.“ Wie wichtig eine gesunde Psyche für den körperlichen Heilungsprozess sein kann, ist in der Medizin unumstritten. „Wegbeten kann man Krankheiten aber nicht“, betont Batlogg. Das Gebet könne vielmehr dabei helfen, einen Ansprechpartner zu haben, wenn man sich allein fühlt oder es tatsächlich ist. Diese Erfahrung hat er während eines MRTs gemacht. In solchen Dialogen mit Gott sei es auch durchaus erlaubt, mit dem eigenen Schicksal zu hadern. „Klagen erleichtert, befreit und ist notwendig.“ Jeder habe darüber hinaus das Recht, Leid zu empfinden, „auch die Reichen und die Schönen“, sagt der Jesuit.

Wir-Gefühl ist gute Basis für Resilienz

Batlogg hat seine Krebserkrankung überlebt. Seine Erfahrungen hat er in Buch „Durchkreuzt“ verarbeitet. Damit will er anderen Menschen Mut machen und ihnen zeigen, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein sind. Auch Heckmann hat erfahren, dass das Wir-Gefühl ein gutes Fundament für die eigene Resilienz ist. Obwohl sie immer noch mit ihren gesundheitlichen Problemen ringt, blickt sie so sogar positiv auf einige Phasen ihrer Krankheiten zurück, wie zum Beispiel ihre Zeit auf einer Schule für Menschen mit körperlicher Behinderung. „Da habe ich gemerkt, dass ich nicht allein bin, dass es viele Menschen gibt, die irgendwo Hilfe brauchen, und es nicht schlimm ist, um Hilfe zu bitten.“

Buchtipp

Batlogg, Andreas R.: Durchkreuzt - Mein Leben mit der Diagnose Krebs

Wie ein Ordensmann und Priester mit der Diagnose Krebs umgeht. Eine berührende Krankheitsgeschichte, die erzählt, was letztlich Halt gibt.

19.95 € inkl. MwSt.

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Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de