Patron der Rosserer

Die Geschichte des Georgiritts

Seit vielen Jahrhunderten findet um den Gedenktag des heiligen Georg, den 23. April, ein Ritt von Tittmoning nach Kirchheim statt – früher direkt am Georgstag, heute am darauffolgenden Sonntag. Besonders erfreulich ist, dass heuer nach der Zwangspause der Pandemie am Sonntag, 30. April, wieder ein Ritt stattfindet.

Georgiritt 1931 auf dem Stadtplatz in Tittmoning © Pfarrarchiv St. Laurentius

Bis in die Zeit der Aufklärung ist in den Pfarrakten alljährlich von einem equitatus cum cruce, einem „Ritt mit einem Kreuz“, am Georgstag zu lesen. Die Aufklärungszeit hat in unserer Gegend leider in Person oder durch Unterstützung der Salzburger Bischöfe viele alte Bräuche verboten. Fürsterzbischof Colloredo (1732 – 1812) war hier treibende Kraft. Ihm war es ein Dorn im Auge, dass so viele Leute zum Georgiritt nach Tittmoning und Kirchheim kamen, wo diese doch lieber zu Hause bleiben und ihrer Arbeit nachgehen sollten! 1790 wurde der jahrhundertelang gepflegte Brauch verboten.

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entsann man sich wieder der alten Bräuche. Der damalige Bezirkstierarzt Ludwig Brixner wurde 1921 zum Wiederbegründer des Georgirittes. Brixner stammte aus St. Georgen bei Traunstein, wo ein Ritt bereits seit drei- bis vierhundert Jahren Bestand hatte. Nach einer Umfrage bei den ältesten Frauen und Männern der Umgebung stellte sich heraus, dass sich niemand mehr an einen Ritt in Tittmoning erinnern konnte. Schließlich wurde man doch fündig: Ein Bauer, der Ziererbauer von Asten, wusste aus Erzählungen seines Urgroßvaters von einem Ritt und er erinnerte sich auch, dass der Reiterbauer von Asten die alte Standarte mit Abbildung des heiligen Georg besaß, welche früher beim Ritt mitgetragen wurde.

Größter Schatz: eine Reliquie des heiligen Georg

Bis heute besitzt die Kirchheimer Filialkirche St. Georg selbst eine schöne alte Georgsstandarte und eine kunstvolle Georgi-Tragefigur, die alljährlich beim Ritt mitgeführt wird. Der größte Schatz der Kirchheimer Kirche aber ist eine Reliquie des heiligen Georg: ein rund zehn Zentimeter langer Röhrenknochen des Heiligen, nach kirchlichem Siegel als echt bezeichnet. Diese Reliquie kann in einem Schrein im rechten Seitenaltar bewundert werden. In einem Inventarverzeichnis von 1930 der Kirche sind auch noch „etla“ Votivbilder aufgeführt, welche zum Dank an den heiligen Georg gestiftet wurden. Leider hat sich nur eines davon erhalten, es hängt heute in der dortigen Sakristei.

Votivbilder, die mit Pferden zu tun haben, hängen auch in der Ponlachkirche. Unfälle, oft auch mit tödlichem Ausgang, waren bei der Arbeit mit Pferden nicht selten. Andererseits ging man auch wallfahrten, wenn ein Pferd krank war. Denn es konnte für einen kleinen Bauern den Ruin bedeuten, wenn ihm sein Pferd einging. Aus diesem Grund wurde der heilige Georg der Patron für alle „Rosserer“. Als römischer Soldat war er auf sein Pferd angewiesen und wird auch meistens mit ihm dargestellt.

Aufzeichnungen erzählen den Ablauf

Wie so ein Georgiritt aussah und ablief, verrät eine Aufzeichnung im Pfarrarchiv aus dem Jahr 1921: „In Rüstung und Lanze führt der Heilige Georg den Zug an. Mit der Reliquie des Heiligen geschmückt, reitet der Ortsgeistliche hoch zu Ross im Zuge mit, gefolgt von der übrigen Geistlichkeit. Die Ministranten hatten einen Platz auf einem der Festwägen einzunehmen. Alle Vereine ziehen spielend durch die Stadttore herein auf den Stadtplatz. Besonders schön anzusehen sind die Bergknappen aus dem nahen St. Radegund mit ihren bunten Uniformen. Punkt 14 Uhr beginnen die Glocken der Stiftskirche zu läuten, die Fanfarenbläser geben das Signal, der Zug setzt sich in Bewegung. Neben den zahlreichen Reitern sehen wir auch festlich geschmückte Wägen mit kunstvoll nachgebildeten Kirchen, unter anderem das Georgskirchlein von Kirchheim und die Ponlachkirche von Tittmoning.

Wir sehen auf den Festwägen Szenen aus dem Leben der Bauernheiligen und die Darstellung alter Volksbräuche: der dängelnde Bauer, das Butterausrühren und das Spinnen am Spinnrad. Die einzelnen Ortschaften werden von ihrem Ortspfarrer angeführt: Asten, Kay, St. Radegund, Tarsdorf, Ostermiething. Die Prominenz sowie das Festkomitee haben die Ehre, in geschmückten Kutschen im Zug mitzufahren.“ Insgesamt waren im Jahr 1921 dabei: 231 Pferde mit Reitern und auf den Festwägen 274 Personen sowie viele Fußgruppen.

Großer Festtag

Bis 1914 wird in den Pfarrakten auch von der Georgi-Brotspende berichtet. Der Georgitag war schon immer ein großer Festtag für Kirchheim. An diesem Tag mussten die Bauern auch den Zehent (die Steuer) an ihren Grundherren abliefern. War der Grundherr gut gestimmt und mit der Arbeit der Bauern zufrieden, wurden die Zehentpflichtigen bewirtet. So entstand in Kirchheim die Georgi-Brotspende.

So steht in den Pfarrakten vermerkt: „Am Tag vor Georgi muss der Zechprobst (heute würde man sagen: der Kirchenpfleger) um das Brot fahren. Um 14 Uhr wird die Litanei in der Kirchheimer Kirche gesungen. Anschließend Brotweihe und Verteilung des geweihten Brotes. Die armen Leute, die bei der Brotspende berücksichtigt werden wollten, hatten die Litanei zu besuchen und würdig mitzubeten. Das geweihte Brot wird in das kleine Gottesackerhaus (Leichenhaus, heute die Seitenkapelle) getragen und verteilt.“ Brot, das übrig geblieben ist, wird an Mesner, Ministranten und Sänger verteilt. Im Jahr 1902 wurden 238 Laib Brot an die Armen verschenkt.

Geharnischter Ritter St. Georg

1933 konnte wegen der schwierigen Zeitverhältnisse kein Ritt abgehalten werden. 1937 wurde eine neue Standarte geweiht. Das Fahnenbild war nach einem Entwurf von Professor Hans Döllgast aus München entworfen und von den Schwestern der Taubstummenanstalt Dillingen gestickt worden. „Es zeigt in der Mitte St. Georg, der geharnischte Ritter auf einem Schimmel auf blumiger Aue, im Hintergrund die altehrwürdige Burg Tittmoning und das Ziel des Georgirittes, das Kirchlein von Kirchheim“, beschrieb eine Schwester das Bild.

Eine Notiz im Pfarrarchiv besagt, dass sich 1945 amerikanische Besatzungssoldaten vier Sattel geliehen, diese allerdings nie zurückgegeben haben. Ebenso wurden 1945 die Rüstung und die Lanze für den Georg beschlagnahmt. Beides wurde als „Waffe“ deklariert. Der Eislbauer in Kirchheim war damals der Zeugwart und hätte beinahe sein Leben gelassen, als er die Herausgabe von Rüstung und Lanze an die Amerikaner verweigerte. 1947 konnte der Ritt wieder im gewohnten Umfeld stattfinden.

Brauchtum erhalten

Um den Ritt finanzieren zu können, wurde 1921 sogar extra der Bierpfennig erhöht. Seit 1947 werden die bis heute üblichen Abzeichen verkauft. Stiftsdekan Ludwig Schiela schrieb 1948 folgenden Satz auf: „Allgemein ist bei der Bevölkerung die Bereitschaft zu erkennen, gerne jedes Jahr mitzutun, um dieses schöne Brauchtum unserer Heimat zu erhalten und zu pflegen, gerade in einer Zeit, in der Maschine und Motor so sehr unser Leben beeinflussen.“

Leider wurden in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Pferde rar auf den Höfen. Der Traktor verdrängte die Pferde. Mitglieder des Georgivereins gingen Wochen vorher schon auf „Werbung“ zu Bauern, die noch Pferde im Stall stehen hatten. Der Weg der Werber führte auch ins benachbarte Österreich. In St. Radegund, Tarsdorf und Ehersdorf hielten einige Bauern noch lange Zeit ein bis zwei Pferde oder fütterten den alten Nutztieren das Gnadenbrot als Dank für ihre Mühen.

Bis heute sind die Mitglieder des Georgivereins bemüht, dieses wunderschöne alte Brauchtum zu erhalten. Ihnen allen sei an dieser Stelle ein herzliches Vergelt’s Gott gesagt. Der schönste Dank ist sicherlich der, wenn sich möglichst viele am Georgiritt beteiligen, die Häuser schmücken, die Straßen säumen und ihn nicht als selbstverständlich abtun. St. Georg, schütz die Pferde und schütze Hof und Haus! (Rainer Zimmermann, Pfarrsekretär und Mesner in Tittmoning-St. Laurentius)