Beer zu Missbrauch

Ehemaliger Münchner Generalvikar: Kirche kann nicht selbst aufklären

Der frühere Chef des Münchner Ordinariats, Peter Beer, geht mir der katholischen Kirche beim Thema Aufklärung von Missbrauch hart ins Gericht. In seiner Amtszeit im Erzbistum München und Freising musste er gegen große Widerstände kämpfen.

Peter Beer ist derzeit Professor am Institut für Anthropologie (IADC) der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. (Bild Oktober 2021) © Francesco Pistilli/KNA

Hamburg/München – Der frühere Münchner Generalvikar Peter Beer hat der katholischen Kirche ein katastrophales Zeugnis für ihre Aufklärung des Missbrauchs-Skandals ausgestellt. Der Hamburger Wochenzeitung "Zeit" sagte er: "Was ich selber erlebt habe und was man befürchtete, das ist jetzt objektiv dokumentiert. Diese Kirche kann sich nicht selbst aufklären. Das ist eine bittere Erfahrung." Beer erklärte, auch deshalb habe er vor zwei Jahren sein Amt als Generalvikar und damit zweiter Mann des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx aufgegeben. Überdies sei er durch seine Aufgabe krank geworden. Er habe in seiner Amtszeit "gegen die Täterschützer alles versucht. Aber ich konnte den Apparat letztlich kaum ändern." Das neue Gutachten belege "das Versagen von uns hohen Klerikern beim Opferschutz", nicht nur in der Vergangenheit.

Zu seiner eigenen Verantwortung für Fehler erklärte der Geistliche: "Die sind passiert, dafür bin ich verantwortlich... Punkt." Das Gutachten wirft Beer Fehlverhalten in vier Fällen vor. Zugleich bescheinigt es ihm, gegen große Widerstände im Apparat angekämpft zu haben.

Überlegenheitsgefühl der Kleriker

Auf die Frage, woher diese gekommen seien, antwortete Beer: "Aus dem Überlegenheitsgefühl, besser zu sein als der Rest der Gesellschaft. Aus der Gewöhnung daran, über andere zu urteilen, ohne je selber beurteilt zu werden. Aus der Angst, das eigene Lebenswerk werde zerstört. Aus dem Wahn, von Kirchenfeinden umzingelt zu sein. Aus gegenseitiger Erpressbarkeit und zugleich der Illusion, unangreifbar zu sein."

Beer hatte bereits 2010 ein Missbrauchs-Gutachten an die Kanzlei WSW in Auftrag gegeben, das aber nicht veröffentlicht wurde. Der Geistliche erklärte dazu, wegen der darin enthaltenen "zahllosen Namen und Daten" wäre eine Publikation "Rechtsbruch gewesen". Die im November 2010 veröffentlichte Bilanz sei aber "niederschmetternd genug" und habe ihm intern "enormen Ärger" eingebracht.

Kein Gefälligkeitsgutachten

Seine damalige Entscheidung für die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) begründete Beer so: "Die Kanzleichefin Marion Westpfahl war auch Staatsanwältin und Richterin gewesen. Und sie hatte sich mit mafiösen Zuständen in der Vatikanbank befasst, jahrelang hatte sie mit Personenschutz gelebt. Eine solche starke Frau war genau die Richtige für unser männerbündlerisches System."

Am erneuten Mandat an WSW, das zum Gutachten der vergangenen Woche führte, sei er nicht mehr beteiligt gewesen. An der "Härte des Urteils" im neuen Gutachten lasse sich erkennen, "dass dies kein Gefälligkeitsgutachten war". Wenn er noch im Amt gewesen wäre, so der einstige Generalvikar, hätte er Kardinal Marx "dringend geraten, die Studie persönlich entgegenzunehmen".

Freude an der Macht verloren

Der Priester räumte ein, Freude an Machtausübung gehabt zu haben. Das Beste sei, entscheiden zu können. "Aber wenn Sie immer wieder mit Opfern einer Machtkirche zu tun haben, verlieren Sie die Freude an der Macht." Er sei "desillusioniert" und wolle "solidarisch sein auch mit denen, die sich in der Kirche für Schwache einsetzen".

Die Kirche dürfe "nicht länger Schonraum sein für Kleriker, die Angst vorm Leben, Angst vor Sexualität, Angst vor Nähe, Angst vor Verantwortung haben. Wir müssen verstehen: Kritik ist nicht zu unserem Schaden, sondern Bedingung für einen Neuanfang." (kna)