Meinung
Gemeinsam gegen Corona

Ansteckende Nächstenliebe

Ein Virus wird zur Bedrohung und verlangt den Menschen alles ab. Zu schaffen - nur gemeinsam. Ein Kommentar von Susanne Holzapfel, Chefin vom Dienst der Münchner Kirchenzeitung.

Nächstenliebe Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Hoffnung - all das muss in nächste Zeit wachsen. © takasu - stock.adobe.com

Der Boden schwankt. Risse waren schon länger zu sehen, aber weil sie zuerst noch zart und weit weg erschienen sind, hat man sie nicht so recht beachtet. Viele haben darauf vertraut, dass das Fundament, auf dem ihr Leben steht, sicher und fest ist.

Heute sprechen alle ein Wort aus, das sie vor kurzer Zeit noch gar nicht kannten, so als wäre es schon immer Teil ihres Lebens: Ein Virus namens Corona, ist mit einer derartigen Wucht ins kollektive Bewusstsein eingeschlagen und hat alles ins Wanken gebracht, was zuvor für unumstößlich gehalten wurde. Die Sicherheit ist erodiert, weil mit einem Mal ein Szenario aufgetaucht ist, das man ehedem nur als Stoff von literarischen oder filmischen Dystopien gekannt hat: Ein Virus droht die Menschheit auszulöschen, so der beliebte Thriller-Plot, aber Rettung naht, weil es in erfundenen Geschichten immer Helden gibt, die die Katastrophe in letzter Sekunde verhindern.

Niemandem ist es gelungen, Corona zu verhindern, und nicht Helden, sondern ganz und gar normale Menschen müssen lernen, mit einer Bedrohung umzugehen, wie wir sie zu unseren Lebzeiten - zumindest in unseren Breiten - noch nie gehabt haben.

Altes Gelübde

Fast 400 Jahre ist es her, da wütete in vielen Teilen Europas die Pest und machte auch vor Oberammergau nicht halt. Die Menschen dort schworen, alle zehn Jahre ein Spiel vom Leiden und Sterben Christi aufzuführen, sofern niemand mehr an der Pest sterben würde. 1634 fanden die ersten Passionsspiele in Oberammergau statt und entsprechend dem Gelübde ist auch heuer ein Spieljahr. Dieses Jahr finden die Aufführungen nicht statt, weil jetzt - so viele Jahre später - eine neue Plage die Menschheit abermals dazu zwingt, auf das zu verzichten, was ihnen so lange selbstverständlich erschienen ist.

Neue Lebensbedingungen

Die Pandemie, gegen die im Augenblick an so vielen Fronten gekämpft wird, macht vor niemandem Halt. Sie betrifft alle und verlangt vielen alles ab. Wenn Schulen und Kindergärten geschlossen sind, müssen Familien von einem Tag auf den anderen neue Lebensbedingungen aus dem Boden stampfen. Die Menschen, die alleine leben und bisher gut zurecht gekommen sind, empfinden das Alleinsein mit einem Mal als beängstigend, weil soziale Kontakte in diesen Zeiten ein Brandbeschleuniger sind, der dem unkontrollierten Feuer neue Nahrung gibt, Alte und kranke Menschen brauchen plötzlich Schutz, der paradoxerweise darin besteht, sich nicht um sie zu kümmern. Nähe birgt Gefahr und muss deshalb - egal wie schmerzhaft es auch sein mag - vermieden werden.

Großes Leid

Während die einen aus Vorsicht zum Nichtstun verdammt sind und nicht wissen, wie sie die Quarantäne-Tage, in denen sie das Haus nicht verlassen dürfen, hinter sich bringen, arbeiten die anderen in Krankenhäusern und Arztpraxen bis an ihre Grenzen und weit darüber hinaus. Vom Kollabieren eines Systems ist die Rede, und wir werden sehen, ob diese dunkle Prognose sich bewahrheiten wird. Auch die Wirtschaft befindet sich auf einer Talfahrt. Wie viele kleine Unternehmen von dieser Lawine verschüttet werden, ist noch lange nicht absehbar. Sicher ist aber, dass einige auf der Strecke bleiben werden.

Und noch viel schlimmer als all das: Menschen sind gestorben und es gibt geschätzte Zahlen, die besagen, wie viele voraussichtlich noch zu Tode kommen werden. Hinter jeder einzelnen steht ein Schicksal, das in den Statistiken natürlich nicht sichtbar wird, das sich aber erahnen lässt. Das Leid wird groß sein, so viel ist jetzt bedauerlicherweise schon sicher.

Kleine Hoffnung

Entwicklungen wie diese, das waren und sind immer Haltepunkte im Lauf eines Lebens, an denen Fragen gestellt werden, denen man sonst nur zu gerne aus dem Weg geht. Angst, das wissen wir alle, mag kein guter Ratgeber sein, aber sie kann ein Weckruf sein, das Leben und sein Warum und Wie einmal zu überdenken.

Während die einen gerade jetzt Sicherheit in ihrem Glauben finden, mögen andere ins Zweifeln kommen angesichts der Frage, ob es Gott geben kann und wenn ja, warum er dieses Leid zulässt, das in kleinen Tröpfchen steckt, die schwere Krankheitsverläufe und sogar den Tod verursachen können. Im Glauben finden sich die Antworten auf diese Fragen, die jeder für sich selbst suchen und hoffentlich auch finden wird.

Solidarität mit Leben füllen

In der Verantwortung eines jeden Menschen liegt indes, wie er sich selbst in Krisenzeiten verhält. Solidarität ist ein sperriger Begriff, der jetzt mit Leben und Sinn gefüllt werden muss. Denn, soviel steht fest: Wir werden dieser Bedrohung nur gemeinsam Einhalt gebieten können. Kardinal Reinhard Marx hat es so beschrieben: "Wir sind alle miteinander verbunden und wir müssen gemeinsam alles tun, um das Ansteckungsrisiko zu vermindern, besonders für die Kranken, für die Alten, für die Schwachen."

Nächstenliebe muss die Menschen infizieren und ihre bekannten Symptome wie Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Füreinanderdasein müssen sich epidemisch ausbreiten. Nach allem, was die Wissenschaftler uns sagen, liegt in dieser Ansteckung die Hoffnung auf Heilung.

Die Autorin
Susanne Holzapfel
Münchner Kirchenzeitung
s.holzapfel@michaelsbund.de

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie