1.300 Jahre Erzbistum München und Freising

Zum Jubiläum: Blick in Geschichte, Gegenwart und Zukunft

Im kommenden Jahr begeht die Erzdiözese "1.300 Jahre Erzbistum München und Freising". Kirchenhistoriker Roland Götz spricht im Interview über unerforschte Felder in der Bistumsgeschichte.

Roland Götz (Bildmitte) führt bei der großen Tagung zur Geschichte des Erzbistums München und Freising auch durch das Archiv der Erzdiözese. Um die historischen Dokumente zu schonen, trägt er weiße Handschuhe. © Archiv der Erzdiözese München und Freising

Im Mai hatten Archiv und Bibliothek des Erzbistums, der Verein für Diözesangeschichte und die Domberg-Akademie Freising zu einer großen Tagung über die Geschichte dieses Bistums eingeladen. Welche Felder gibt es denn, in denen zurzeit besonders geforscht wird?

Roland Götz: Die Erforschung der Bistumsgeschichte geschieht in der Regel parallel auf unterschiedlichsten Feldern. Da ist die Spannweite groß, aber ein Thema, das immer interessiert, ist die Geschichte der Kirche im Nationalsozialismus. Hier wird die Forschung durch die fortschreitende Online-Veröffentlichung der Tagebücher des Münchner Erzbischofs Kardinal Michael Faulhaber ständig mit neuem Material „gefüttert“. Dann beschäftigt die Historiker auch immer stärker die Nachkriegszeit im Erzbistum München und Freising. Seit Kurzem ist eine Doktorarbeit über Kardinal Joseph Wendel in Arbeit. Es geht aber auch zurück ins 18. Jahrhundert, zum Beispiel wird die Münchner Mystikerin Maria Anna Lindmayr ebenfalls intensiv erforscht. Demnächst werden alle wichtigen Quellen zu ihr online veröffentlicht.

Wo sehen Sie denn weiße Flecken, unerforschte Felder?

Götz: Die größten Lücken haben wir sicher im 20. Jahrhundert, wo Unterlagen erst nach und nach archivrechtlich zugänglich werden. Dann gibt es auch spezielle Themen, wie die Behördengeschichte der Bistumsverwaltung. Dieser Bereich sagt sehr viel über Machtverhältnisse, aber auch wie Seelsorge geregelt und gelebt wurde, das verspricht neue Einsichten.

Jubiläumsjahr 2024


Nächstes Jahr sind es 1.300 Jahre, dass der heilige Korbinian im Jahr 724 sein Wirken auf dem Freisinger Domberg begann. Das Jubiläumsjahr beginnt mit der Korbinianswallfahrt, die zwischen 18. und 24. November 2023 auf den Freisinger Domberg führt, und endet mit der Korbinianswallfahrt im November 2024. Das Jubiläumsjahr soll in die Regionen und Pfarreien der Erzdiözese hineinwirken und über eine historische Rückschau hinaus ein geistlicher und inhaltlicher Impuls für die Zukunft der Erzdiözese sein. Auf dem Freisinger Domberg sollen Angebote wie Wallfahrten, Andachten und Konzerte stattfinden, auch ein Tag speziell für Kinder und ihre Familien ist geplant. Ein weiterer Programmpunkt ist die bayerische Landesausstellung, die unter dem Titel „Bayern in Freising“ in Zusammenarbeit von Freistaat Bayern und Erzdiözese München und Freising von Mai bis November auf dem Freisinger Domberg stattfindet.

Warum ist das Bistum Freising für die Kirche in Bayern wichtig?

Götz: Das alte Bistum Freising war für Bayern gar nicht so wichtig. Was Wirtschaftskraft oder politischen Einfluss betrifft, war das alte Erzbistum Salzburg sicher bedeutender. Eine besondere Stellung hatte der Freisinger Bischof aber immer dadurch, dass die Hauptstadt München zu seinem Diözesangebiet zählte. Mit der kirchlichen Neuordnung 1821 und der Errichtung des Erzbistums München und Freising war klar, dass dessen Erzbischof auch eine Sprecher-Funktion für alle bayerischen Diözesen innehat.

Inwiefern stand diese Tagung auch unter dem Vorzeichen der großen bayerischen Landesausstellung und dem 1.300-jährigen Bistumsjubiläum im kommenden Jahr in Freising?

Götz: Die Tagung ist ganz gezielt auf dieses Jubiläum und die Landesausstellung hin konzipiert worden, die sich ja stark auf den heiligen Korbinian, also auf die Frühzeit des Bistums Freising und Bayerns konzentriert. In Ergänzung dazu hat die Tagung das Bistum in seiner ganzen früheren und heutigen Erstreckung in den Blick genommen, aber auch im gesamten Zeitraum seines Bestehens. Dabei sind wir von vielfältigen Originalquellen ausgegangen, die für die Bistumsgeschichte aussagekräftig sind. Auch die Themen waren sehr bunt gemischt. Es ging etwa um das heute fast vergessene Bistum Chiemsee, um Freisinger Verwaltungshandschriften aus dem Mittelalter oder die Verbindungen des Klosters Tegernsee zu einem der wichtigsten theologischen und philosophischen Denker der frühen Neuzeit, Kardinal Nikolaus Cusanus, um den früheren Umgang mit unehelichen Müttern, Ludwig Thomas Gedichte zu Kirchenthemen und die Silvesterpredigten von Kardinal Julius Döpfner. Was mir beim bevorstehenden Jubiläum ganz wichtig ist: Das gesamte Erzbistum soll eingeladen sein, sich mit seiner Geschichte zu beschäftigen. Die Geschichte soll aber immer auch Anlass sein, über Gegenwart und Zukunft nachzudenken.

Was lässt sich denn aus einem solchen historischen Gedenkjahr für die Gegenwart lernen?

Götz: Aus der Geschichte lässt sich nicht einfach eine Moral für die Zukunft ableiten. Aber es lässt sich doch erkennen, wie unterschiedlich kirchliches Leben in den vergangenen Jahrhunderten in unserer Region ausgesehen hat. Manchmal erstaunlich anders als heute: etwa bei der relativen großen Unabhängigkeit von der Zentrale in Rom, die ein Bischof damals schon aufgrund der viel geringeren Möglichkeiten zur Kommunikation hatte. Manchmal aus heutiger Sicht auch schockierend anders: etwa bei staatlich durchgesetzten religiösen Zwangsmaßnahmen. Die Menschen haben zu allen Zeiten und unter wechselnden Umständen versucht, ihren christlichen Glauben zu leben und weiterzugeben. Das macht die geschichtliche Bedingtheit kirchlichen Lebens klar. Und ebenso wie die Menschen früher haben wir die Aufgabe, die uns keiner abnehmen kann, für unsere heutige Zeit geeignete Formen zu finden. Zumal bisher für selbstverständlich gehaltene Rahmenbedingungen wegfallen werden, etwa bei der Zahl der Priester und den Finanzen.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de