Zum Tod vor 50 Jahren

Der Münchner Weihbischof mit dem Decknamen "Novacasa"

Konspirateur, KZ-Häftling, Kriegsverbrecher-Anwalt - der vor 50 Jahren in hohem Ansehen verstorbene Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler war vieles in seinem Leben. Und gibt damit bis heute Rätsel auf.

Porträt von Johannes Baptist Neuhäusler (Aufnahmedatum und Aufnahmeort unbekannt) © KNA-Bild/KNA

Johannes Neuhäusler (1888-1973) zählt zu den markantesten Gestalten der katholischen Kirche in Deutschland vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Personenlexikon "Who is Who" verzeichnet ihn als "einen der Führer des katholischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus". Warum aber hat sich der hoch angesehene Prälat nach dem Krieg, zum Teil im Verbund mit Altnazis, für SS-Massenmörder eingesetzt? Solche und andere Fragen beschäftigen Historiker. Sein Nachlass im Archiv des Erzbistums München und Freising ist noch bis 2034 gesperrt, daher gibt es nur vorläufige Antworten.

Neuhäusler stammt aus einer kinderreichen Bauernfamilie im Dachauer Land. Früh zeichnet sich sein Berufsweg ab: Über das Erzbischöfliche Seminar Scheyern und das Gymnasium in Freising führt sein Weg ins Priesterseminar Georgianum nach München, 1913 wird er geweiht. Tatkraft und Organisationstalent beweist der junge Geistliche bei der Sorge für Familien gefallener Soldaten, ab 1925 beim Aufbau des Bayerischen Pilgerbüros. Ein Jahr später begleitet er Kardinal Michael von Faulhaber bei einer Reise in die USA.

Bischof informiert den Vatikan mit Wissen über die Nazis

1932 holt ihn sein Erzbischof ins Domkapitel und vertraut ihm bald eine spezielle Mission an: Anfang Februar 1933, Adolf Hitler ist gerade zum Reichskanzler gewählt, wird Neuhäusler Faulhabers kirchenpolitischer Referent. Offiziell fungiert er als Kontaktstelle zum NS-Staat. Fällt ein Priester den Behörden negativ auf, ist Neuhäuslers Verhandlungsgeschick gefragt. Ebenso, wenn staatliche Stellen gegen das Reichskonkordat verstoßen. Beides passiert oft. Heikler ist der zweite, inoffizielle Teil seiner Aufgabe: Beschaffung und Weitergabe von Informationen zum Kampf der Nazis gegen die Kirche. Mit geheimdienstlichen Methoden zieht Neuhäusler eine Nachrichtenzentrale auf. Dadurch wird Faulhaber nach dem Urteil des Historikers Walter Ziegler "zum wohl bestinformierten deutschen Kirchenführer" in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Über ein System von Kurieren sorgt Neuhäusler dafür, dass mehrere hundert Berichte den Vatikan erreichen. Zu seinen wichtigsten Mittelsmännern zählt der Rechtsanwalt und spätere CSU-Gründungsvorsitzende Josef Müller ("Ochsensepp"). Müller ist zugleich zentraler Verbindungsmann des militärischen deutschen Widerstands nach Rom. Neuhäusler erhält einen Decknamen. In Briefwechseln zwischen Faulhaber und Papst Pius XII. heißt er "Novacasa", neues Haus auf Latein. 1941 fliegt Neuhäusler auf. Beim Einmarsch der Wehrmacht in Holland finden sich Berichte von ihm in einem katholischen Büro in Breda. Der Domkapitular wird von der Gestapo verhaftet, misshandelt und in Konzentrationslagern inhaftiert, erst in Sachsenhausen, dann in Dachau. Dieses Schicksal trägt ihm nach dem Krieg eine hohe moralische Reputation ein. Neuhäusler weiß sie zu nutzen, auch für Zwecke, die heute irritieren.

Neuhäusler unterstützt Hilfsorganisation für Täter des NS-Regimes

Mit anderen hochrangigen Kirchenmännern, darunter der Kölner Kardinal Josef Frings und der erste Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Theophil Wurm, beginnt Neuhäusler die Ahndung von Kriegsverbrechen durch die westlichen Besatzungsmächte zu diskreditieren. Die Kirchenmänner wenden sich gegen eine "Siegerjustiz", schüren Zweifel an den Aussagen von Belastungszeugen, drängen bis hinauf in höchste Stellen der US-Militärverwaltung auf eine Abmilderung der Urteile. Durchaus mit Erfolg.

1949 zählt der inzwischen zum Weihbischof Beförderte zu den Gründungsmitgliedern eines kirchlichen Vereins, der sich später "Stille Hilfe" nennt. Der formulierte Vereinszweck klingt nach Barmherzigkeit. Dem Saarbrücker Historiker Thomas Forstner zufolge geht es aber um etwas anderes: Die Fürsorge gilt nicht den eigentlichen Opfern des NS-Regimes, sondern den Tätern.

Bis 1969 habe Neuhäusler einen regelrechten "Kreuzzug" geführt, schreibt der US-Historiker Mark Edward Ruff, "wohlwissend, dass viele der Verurteilten keine Reue zeigten". Die Beweggründe dafür sind immer noch unklar. Gekränkter Nationalstolz, Antikommunismus, moralische Überlegenheitsgefühle, Schluss-Strich-Mentalität werden als Motive erwogen. Neuhäusler selbst rechtfertigte sich mit den Worten, er habe "Schlechtes mit Gutem vergelten" wollen. So kamen viele Täter vorzeitig frei. Danach "verhalfen ihnen diverse NS-Seilschaften zu unauffällig-auskömmlichen Existenzen in der jungen Bundesrepublik", wie der Aachener Militärhistoriker Jens Westemeier herausgefunden hat. (kna)