Aktion der Reformgruppe Maria 2.0

Wie einst Luther: Frauen schlagen Thesen an die Kirchentür

Zugang für alle Menschen zu Weiheämtern, Bekämpfung von sexualisierter Gewalt oder auch die Aufhebung des Pflichtzölibats: Diese und weitere Forderungen hängen nun gut sichtbar am Eingang der Kirche Sankt Rupert in München.

Annemarie Auer, Elisabeth Stanggassinger, Anna Eichlinger (v.l.) wollen das sich Kirche verändert und haben die Thesen an der Kirchentür von Sankt Rupert angebracht. © SMB/Sichla

München – Damit das Plakat in Din-A3-Format auch gerade hängt, wird kurz justiert. Dann kommt zwar kein Hammer, aber dicke Klebestreifen zum Einsatz. Mit einem beherzten Drücken von Gemeindereferentin Elisabeth Stanggassinger hängen dann nach kurzer Zeit sieben Thesen an der Kirchentür Sankt Rupert im Pfarrverband München-Westend. Jeder, der nun die Kirche betritt, geht an den Thesen der Reformgruppe Maria 2.0 vorbei. Sie mahnt eine geschlechtergerechte Kirche mit dem Zugang für alle Menschen zu allen Ämtern an, ebenso wie die Aufklärung, Verfolgung und Bekämpfung der Ursachen von sexualisierter Gewalt. Darüber hinaus wird eine wertschätzende Haltung gegenüber selbstbestimmter, achtsamer Sexualität eingefordert sowie die Aufhebung des Pflichtzölibats.

Kirche muss sich verändern

Der Augustinermönch und Theologe Martin Luther veröffentlichte am 31. Oktober 1517 in Wittenberg 95 Thesen, um die katholische Kirche zu reformieren. Die Parallele zur heutigen Aktion sei bewusst gewählt, sagt Gemeindereferentin Elisabeth Stanggassinger, auch wenn sie nicht von einer Kirchenspaltung ausgehe. Sie empfindet eine andere Spaltung weitaus dramatischer: „Zwischen ein paar wenigen, die noch in die Kirche gehen und dem Rest, der nicht mehr geht.“ Stanggassinger engagiert sich in der Reformgruppe Maria 2.0 in München. Im Gespräch ist ihre Leidenschaft und ihr Kampfgeist zu spüren: „Wenn diese Kirche sich nicht von Grund auf ändert, kann sie nicht bestehen.“

Thesenanschlag ist sichtbares Zeichen

Stanggassinger ist besonders die These zur geschlechtergerechten Kirche wichtig, denn so wie es aktuell sei, „davon fühlt sich niemand angezogen“. Da sei „total daneben“. Annemarie Auer kann diesen Eindruck nur bestätigen. Sie ist Mutter von vier Kindern und in der Gemeinde aktiv. Es sei immer schwieriger, den Kindern die Position d­er Kirche zu erklären, „da die Kinder eine ganz andere Lebenswirklichkeit haben“. Auch die Künstlerin und Pfarrgemeinderatsmitglied Anna Eichlinger ist zum Thesenanschlag gekommen. Sie findet die Aktion von Maria 2.0 wichtig, „weil auch sichtbar werden soll, dass nicht alle, die noch in der Kirche sind, so denken, wie die Amtskirche sich darstellt“.

Aufgeben ist keine Option

Alle drei Frauen wünschen sich eine Veränderung in der Kirche. Die katholische Kirche zu verlassen, kommt für sie nicht in Frage. Für sie ist die Kirche eine Heimat, in die sie hineingewachsen sind. Doch was ist, wenn es in naher Zukunft keine Veränderungen geben wird? Elisabeth Stanggassinger hat darauf eine klare Antwort: „Ich will nicht aufgeben!“. Und mit dem Nachdruck, mit dem sie das sagt, ist ihr sofort abzunehmen, dass sie nicht aufhört zu kämpfen. Sie und die anderen Frauen aus dem Pfarrverband sind damit nicht allein: Am Wochenende vor der virtuellen Vollversammlung der Deutschen Bischöfe (23. bis 25. Februar 2021) werden in ganz Deutschland Frauen und Männer die Thesen der Reformgruppe Maria 2.0 an Kirchentüren schlagen.

Die Thesen im Überblick

1.    Heute garantieren die Menschenrechte und das Grundgesetz allen Menschen gleiche Rechte – nur die katholische Kirche ignoriert das. Mannsein begründet heute Sonderrechte in der Kirche. Unsere Kirche ist eine gerechte Kirche, in der alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben und damit Zugang zu allen Ämtern.

2.    Klerikalismus ist eines der Grundprobleme der katholischen Kirche und fördert den Machtmissbrauch mit all seinen menschenunwürdigen Facetten. Unsere Kirche ist partizipativ.  Alle haben gemeinsam Verantwortung am Sendungsauftrag, Macht wird geteilt.

3.    Schon viel zu lange gilt die katholische Kirche als ein Tatort sexueller Gewalt. Kirchliche Machthaber halten Informationen zu solchen Gewaltverbrechen unter Verschluss und stehlen sich aus der Verantwortung. Unsere Kirche ist glaubwürdig, geprägt durch respektvollen Umgang und Transparenz. Taten sexualisierter Gewalt werden umfassend aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Die Ursachen werden konsequent bekämpft.
 
4.    Die von der katholischen Kirche offiziell gelehrte Sexualmoral ist lebensfremd und diskriminierend. Sie orientiert sich nicht am christlichen Menschenbild und wird von der Mehrheit der Gläubigen nicht mehr ernst genommen. Unsere Kirche ist bunt. Sie zeigt eine wertschätzende Haltung und Anerkennung gegenüber selbstbestimmter, achtsamer Sexualität und Partnerschaft.  

5.    Die Zölibatsverpflichtung hindert Menschen daran, ihrer Berufung zu folgen. Wer diese Pflicht nicht einhalten kann, lebt oft hinter einer Scheinfassade und wird in existentielle Krisen gestürzt. Unserer Kirche ist lebensnah; in ihr ist die zölibatäre Lebensform keine Voraussetzung für die Ausübung eines Weiheamtes.

6.    Prunk, dubiose Finanztransaktionen und persönliche Bereicherung kirchlicher Entscheidungsträger haben das Vertrauen in die Kirche tiefgreifend erschüttert und schwinden lassen. Unsere Kirche wirtschaftet verantwortungsvoll und nachhaltig. Sie verwaltet das ihr anvertraute Vermögen nach christlichen Prinzipien.

7.    Die Kirchenleitung hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Sie schafft es nicht, sich überzeugend Gehör zu verschaffen und sich im Sinne des Evangeliums für eine gerechte Welt einzusetzen.  Unsere Kirche ist relevant für Menschen, Gesellschaft und Umwelt. Unser Auftrag ist die Botschaft Jesu Christi. Wir handeln danach und stellen uns dem gesellschaftlichen Diskurs

Die Autorin
Katharina Sichla
Teamleiterin mk online
k.sichla@michaelsbund.de

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Frauen und Kirche