Ehrenamt

Wenn man allein beerdigt wird

Jedes Jahr werden in München hunderte Menschen „von Amts wegen“ beerdigt – meist ohne Trauergemeinde. Eine kleine Gruppe Freiwilliger gibt Verstorbenen ohne Angehörige ehrenamtlich das letzte Geleit.

Jedes Jahr werden in München hunderte Menschen „von Amts wegen“ beerdigt. Eine Trauergemeinde gibt es meistens nicht. © Christian Rothe - stock.adobe.com

Die Sakristei-Tür der Aussegnungshalle öffnet sich. Der Mesner trägt ein Kreuz herein, es folgt ein junger Priester. Nur zwei Gäste sind ansonsten gekommen. Zu Orgelmusik vom Band versammeln sich die vier um eine schlichte dunkle Urne auf einem mit schwarzem Samt behangen Sockel. Es ist die Trauerfeier für Johann Martin Schießl. Gekannt hat ihn keiner der Anwesenden. Und trotzdem ist Rita Rost gekommen. „Ich finde, es sollte kein Mensch ohne irgendeine Begleitung eingegraben werden“, sagt die Seniorin. Sie empfindet es als christliche Pflicht einen Menschen zu begleiten, der keine Angehörigen mehr hat. Trotzdem ist sie meist allein, wenn sie bei solchen Trauerfeiern ist. „Ab und zu kommt noch irgendein Nachbar oder Verwandter.“ Doch das ist eher die Ausnahme.

Außer Namen und Alter ist kaum etwas bekannt

Die 86-Jährige ist beim Projekt „Letztes Geleit“ aktiv. Eine Gruppe aus rund fünfzehn Frauen und Männern, die ehrenamtlich als Trauergäste an Beerdigungen teilnehmen. Ausgegangen war die Initiative vor einiger Zeit von der Pfarrei St. Ludwig. Gibt es keine Angehörigen, die sich um eine Bestattung kümmern, führen die Städtischen Friedhöfe eine BvA durch: Eine „Bestattung von Amts wegen“. Rund viermal pro Woche kommt das in München vor, weiß Heidrun Oberleitner-Reitinger. Die Pastoralreferentin leitet den Katholischen Bestattungsdienst im Erzbistum München und Freising. Letztes Jahr hat sie bei 215 katholischen BvAs dafür gesorgt, dass ein Seelsorger anwesend war. Außer Namen, Lebensdaten und manchmal noch den Beruf ist über viele Verstorbene kaum etwas bekannt. „Trotzdem werden sie genauso wie alle anderen mit einer Trauerfeier verabschiedet.“

Wer keine Angehörigen hat, kann mit einer Bestattungsvorsorge schon zu Lebzeiten die Wünsche für die eigene Beerdigung festhalten. Doch auch wenn das nicht geschieht oder das nötige Geld fehlt, steht jedem Menschen ein gewisser Mindeststandart für eine Beerdigung zu. „Das heißt: ein einfacher Holzsarg, schlichter Blumenschmuck und eine Trauerfeier mit Musik“, erklärt Oberleitner-Reitinger. Die Bestattung erfolgt in der Regel als Feuerbestattung. Beigesetzt wird der Verstorbene dann in einem Urnengrab oder einer Gitternische.

Verstorbene kommen aus er Mitte der Gesellschaft

Einen Anspruch auf Trauergäste – abgesehen von Seelsorger und Mesner – hat aber niemand. Trotzdem liegt neben der Urne von Johann Martin Schießl noch eine Sonnenblume. Mitgebracht hat sie Anton Pfeffer, der sich ebenfalls beim „letzten Geleit“ engagiert. Verstorbenen eine besondere Blume mitzubringen, ist sein ganz eigenes Ritual: Eine persönliche Geste für einen Unbekannten. „Es gibt keinen Sinn ohne Form“, findet der pensionierte Kunstlehrer. „Es braucht deshalb nicht nur Worte und Gedanken, sondern auch eine äußere Form, wie eine Blume als Abschiedsgruß.“

In Pfeffers Familie konnten sich alle Verstorbenen immer darauf verlassen, ein letztes Geleit zu bekommen. Aus Dankbarkeit dafür begleitet er seit einiger Zeit die Bestattungen von Menschen ohne Angehörige. Am meisten hat ihn dabei überrascht, dass es jeden treffen kann: Bäckermeister, gestorben mit 54. Bauingenieur, gestorben mit 65. „Da geht man doch davon aus, dass eine Familie oder Freunde gibt? Ich bin völlig überrascht, dass das Problem, einsam zu sein und keine Angehörigen zu haben, so in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.“

Einsam, aber nicht ganz allein

Nach knapp 20 Minuten schließt sich der blaue Vorhang vor der Urne von Johann Martin Schießl. In das Grab überführt wird sie zu einem späteren Zeitpunkt, ohne Gäste. Hauptsache bei der Trauerfeier war jemand da, findet Rita Rost. In den nächsten Tagen wird sie noch viel an den Verstorbenen denken und für ihn beten. Aber sie nimmt auch immer ein bisschen Erleichterung mit, wenn sie von einem ehrenamtlichen letzten Geleit zurück nach Hause kommt: Wieder musste ihretwegen ein Mensch seinen letzten Weg nicht allein gehen. „Das ist der Grund, warum ich mitgehe und deshalb hoffe ich auch, dass ich eines Tages nicht allein zu Grabe getragen werde.“

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de