Folge von Stress

Burnon: Leben am Belastungslimit

Das zu viel Stress zum Burnout führen kann, ist inzwischen bekannt. Neben dieser akuten Form der Erschöpfungsdepression beobachten Experten außerdem eine chronische Variante – den Burnon.

Burnon-Betroffene leben permanent am Limit. Eine akute Erschöpfungsdepression droht. © aapsky - stock.adobe.com

Mensch gegen Säbelzahntiger – die älteren werden sich erinnern – das war ein ungleicher Kampf. Wer gegen die Raubkatze nicht als Verlierer dastehen wollte, musste über sich hinauswachsen: schneller, stärker, schlauer. Zu all dem ist der Mensch unter Druck, englisch „Stress“, in der Lage. Er ist deshalb nichts grundsätzlich Schlechtes, weiß Isabelle Überall, Psychotherapeutin bei der Ehe-, Familien und Lebensberatung im Erzbistum München und Freising. „Kurzzeitiger Stress hilft, sich besonders gut zu konzentrieren und leistungsfähiger zu werden.“ Diesem sogenannten Eu-Stress (gr. Vorsilbe eu = gut) sollte aber immer eine Phase der Erholung folgen. „Sonst wird es zu langandauerndem chronischem Stress und der hat den gegenteiligen Effekt.“  

Chronisch nahe am Zusammenbruch

Darunter leidet in Deutschland jeder vierte. Das fand eine Studie der Techniker Krankenkasse 2021 heraus. Wer dem Druck nicht mehr gewachsen ist, läuft Gefahr zu zerbrechen und auszubrennen. Im Schatten des Burnouts hat sich außerdem eine neue Stressfolge entwickelt: der „Burnon“. Bert te Wildt ist Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen und schätzt, dass sich Burnon als eine Folge des gesellschaftlichen Bewusstseins für Burnout entwickelt hat. Betroffene erkennen demnach die Grenze zum Burnout und überschreiten sie bewusst nicht. Stattdessen leben sie permanent am Limit. Anstelle einer akuten Erschöpfungsdepression droht eine chronische. Der Zusammenbruch bleibt aus, dennoch leiden Patienten unter ähnlichen Symptomen wie beim Burnout.

Auch wer „funktioniert“ kann leiden

Neben schmerzenden Gelenken, Bluthochdruck und Kopfschmerzen gehört beispielsweise auch Tinitus und Schlafstörungen zu den körperlichen Folgen, die die extreme Anspannung auslösen kann. Trotzdem versuchen Burnonbetroffenen oft, ihren Zustand zu verschleiern. Sie verstecken ihre lavierte Depression hinter einem Lächeln. „Sie sagen zu anderen, alles sei toll und sie lieben ihre Arbeit“, so te Wildt, „und ertappen sich in anderen Momenten bei dem Gedanken, dass es gar nicht so schlimm wäre, wenn die nächste Autofahrt an einem Baum endet.“ Betroffenen sind vergleichbar belastet wie akute Burnout-Patienten. Weil sie trotz ihres Leidens weiterhin funktionieren, suchen sie sich aber häufig keine Hilfe.

Jobs mit verstärkten zwischenmenschlichen Beziehungen sind besonders gefährdet

Viele Wege können in einen Burnon führen. Arbeitssucht („Workoholism“) gehört zu den häufigsten, beobachtet te Wildt. Wie bei anderen Verhaltensstörungen, zum Beispiel Spielsucht, sind es häufig Familie und Freund, die zuerst merken, wenn das Leben der Betroffenen aus dem Gleichgewicht gerät.  Besonders gefährdet sind laut te Wildt Berufsgruppen mit viel Verantwortung oder viel Beziehungsarbeit, wie etwa Erzieher, Polizisten, Lehrer oder Personalverantwortliche. Wer sich mit seinem Beruf identifiziert, dem gelingt es außerdem weniger gut, ihn vom Privaten zu trennen. Diese Problematik habe sich durch die Folgen der Coronapandemie und vermehrtes Homeoffice weiter verschärft, sagt Psychotherapeutin Überall. Neben individuellen Faktoren wie Perfektionismus und der mangelnden Fähigkeit die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu akzeptieren können auch gesellschaftlicher Leistungsdruck und mangelnde Wertschätzung in der Arbeit das Burnonrisiko erhöhen.

Echte Entspannung statt Freizeitstress

Wer dem Burnon begegnen will, braucht einen Weg aus dem Hamsterrad, sagt Überall. Beim Burnout geschieht das, wenn die Betroffenen zusammenbrechen. Diese dramatisch Entschleunigung können Burnon-Patienten freiwillig wählen. Runterkommen, abschalten und an einer gesunden Work-Live-Balance arbeiten. Zum Beispiel mit Meditation oder Sport. „Aber alles ohne Erfolgsdruck“, betont Überall. Weil Burnonpatienten sich in Freizeitaktivitäten häufig dem selben Leistungsdruck wie in der Arbeit aussetzen, statt sich wirklich zu entspannen, setzt man in der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen auch auf tier- und naturgestützte Therapie. Kunst und Tanz können ebenfalls entspannen, weil sie den Wetteifer der Betroffenen weniger stark triggern. 

Zeit für das, was wirklich wichtig ist

„Außerdem sollten Betroffene, ihre Mindset zu überdenken“, rät Überall. Der Anspruch, immer alles schaffen zu müssen, gehört für die Psychotherapeutin genauso zu den ungesunden Glaubenssätzen, wie der reine Fokus auf die Außenwirkung: Hauptsache die anderen sehen, dass ich funktioniere. Wichtig ist stattdessen, den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen wieder den Platz einräumen, den sie wirklich brauchen. Dabei kann eine Übung helfen, sagt te Wildt: „Schreiben Sie auf, welche Lebensbereiche Ihnen prozentual am wichtigsten sind und notieren Sie darunter, wie viel Zeit Sie Ihnen tatsächlich widmen.“ Für viele sei dieser Test ein echter Augenöffner, wenn sie sehen, dass das Verhältnis aus Wichtigkeit und Zeit überhaupt nicht übereinstimmt. Grundsätzlich gilt dabei: Nur wer das Problem angehen will, hat auch eine Chance auf Erfolg. Und selbst, wenn noch keine akute Symptomatik vorliegt, sollte man bei Stress für Ausgleich und Entspannung sorgen. Damit lässt sich Burnout und Burnon im Zweifel vorbeugen.

 

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de