Evolutionäre Schöpfung

Gerhard Haszprunar über Naturgesetze und christlichen Glauben

In seinem Autorenbeitrag im Vorfeld der Diskussion „Evolutionäre Schöpfung: Staunen - Danken - Bewahren" zusammen mit LMU-Professor Markus Vogt erforscht Prof. Gerhard Haszprunar das scheinbare Paradoxon einer evolutionären Schöpfung, die Naturgesetze und christlichen Glauben miteinander vereint.

Kann es so was wie eine evolutionäre Schöpfung überhaupt geben? © AdobeStock/doom.ko

Auf den ersten Blick klingt es nach einem Paradoxon wie ein eckiger Kreis oder ein schwarzer Schimmel: Kann es so was wie eine evolutionäre Schöpfung überhaupt geben? Können allgemein verbindliche Naturgesetze und persönlicher christlicher Glaube zusammen gedacht werden – und wenn ja, was folgt daraus?

Es sollte keiner Diskussion mehr wert sein, dass diese Welt, ja das ganze Universum und auch wir selbst, aus einem noch immer andauernden dynamischen Entwicklungsprozess hervorgegangen sind, den man als Kosmogenese oder Evolution bezeichnet. Die Tatsache, dass in diesem Prozess auf naturgesetzlicher Basis immer wieder etwas prinzipiell Neues (wie Leben an sich oder mein eigenes Selbstbewusstsein) auftritt (sogenannte Emergenz), lässt sich gut mit der theologischen Annahme einer „Creatio continua“ (andauernde Schöpfung) verbinden. Und mit Johannes (Joh 1,1–6) darf man glauben, dass der Schöpfergott diese ganze Welt tatsächlich durchdringt und darüber hinaus existiert (sogenannter Panentheismus).

Die Welt und wir sind frei

Umstritten ist aber bis heute die Frage, ob dieser Prozess detailliert geplant war (wie das kirchliche Lehramt nach wie vor annimmt) oder eben nicht (wie es Quantenphysik, stochastische Chemie und Evolutionstheorie seit mehr als 120 Jahren belegt haben). Auch dafür gibt es aus meiner Perspektive für gläubige Menschen einen Zugang: Schon das Alte Testament kennt das Liebesgebot, und Jesus selbst hat es nochmal als höchstes aller Gebote bestätigt (Mt 22,37–40): Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben … und deinen Nächsten wie dich selbst. Nun, wahrhaft lieben kann nur ein freier Mensch, wir sind also freiwillige Wesen. Ein freier Wille braucht allerdings auch eine freie Welt, sonst erginge es uns wie König Ödipus, dessen grausames Orakel (den Vater zu ermorden und mit der Mutter zu schlafen) all seine Bemühungen zunichtemacht, seinem vorbestimmten Schicksal zu entgehen. Damit fordert aber gerade das oberste aller Gebote eine freie, nicht vorherbestimmte Welt, und wir können alles Gerede über unentrinnbare Schicksale, Prophezeiungen oder Vorbestimmungen getrost vergessen.

Das heißt im Klartext: Die Welt und wir sind tatsächlich frei, ein direkt eingreifender „Deus ex machina“ ist nicht anzunehmen – wohl aber freie Menschen, die nach Seinem Willen handeln. Wenn dem aber so ist, dann sind wir als Kinder Gottes tatsächlich auch Seine Erben, wie schon Paulus (Röm 8,17) sagt, mit Verantwortung für alles Geschaffene. Die volkstümliche Aussage, „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, hat eine tragfähige biblische wie naturwissenschaftliche Grundlage, die Antithese „der Herrgott wird’s schon richten“ hingegen nicht.

Monat der Spiritualität


Wie schon in den vergangenen Jahren hat der Sankt Michaelsbund, das katholische Medienhaus in der Erzdiözese München und Freising, auch 2023 den November zum "Monat der Spiritualität" ausgerufen. Das Motto der nächsten vier Wochen lautet: "Die Schöpfung – Danken. Staunen. Bewahren". 

So vieles gibt es in der Schöpfung, für das wir danken können und möchten, Teil davon sein zu dürfen. Und in allen Zeiten – vom Alten Testament herkommend bis heute – ist es der Auftrag des Menschen, die Schöpfung, derer Teil er ist, zu bewahren. Dabei denken wir sofort an den Umweltschutz, aber Schöpfungsbewahrung ist vielschichtig: Auch wer sich für ein menschwürdiges Leben von Menschen mit Behinderung einsetzt, wer Wissen und Kultur, Werte und Traditionen weitergibt, arbeitet an der Bewahrung der Schöpfung mit.

Hier finden Sie alle Termine und Möglichkeiten der Anmeldung zum Monat der Spiritualität.

Damit kommen wir zum unangenehmen Teil der Annahme einer evolutionären Schöpfung, den Konsequenzen: Wir tragen gerade als Christen mit all unseren Talenten (das heißt Vermögen im doppelten Wortsinn) tatsächlich die Verantwortung für diese Welt. Das betrifft unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber genauso wie unsere Einstellung zu Klima und Umwelt. Nicht umsonst hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ (2015) auf den engen Zusammenhang der ökologischen mit der sozialen Frage hingewiesen. Dabei geht es nicht um die Rückkehr zur Steinzeit oder um ein Leben „im Einklang mit der Natur“. Letzteres gab es weder in der Vergangenheit (schon die Römer haben den gesamten Apennin entwaldet), noch existiert es heute bei sogenannten Naturvölkern (amazonische Ureinwohner sind Brandroder), sondern es waren und sind stets nur sehr wenige Menschen auf sehr viel Natur, und die Natur hat es (meist) ausgehalten. Nein, es geht darum, die Verantwortung für Mitmenschen und Umwelt endlich anzunehmen und umzusetzen. Die biblische Aufforderung „macht euch die Erde untertan“ (Gen 1,28) ist oft als Auftrag zur Ausbeutung missverstanden worden: Ein antikes Herrschergeschlecht hatte als Hauptaufgabe aber nicht das Herrschen und Steuereinheben, sondern seine Untertanen über Generationen hinweg vor Unheil jeder Art zu beschützen – wir sollen und müssen zu dieser ursprünglichen Bedeutung zurückkehren. Wie kann das geschehen?

Niemand kann alles – aber keiner kann nichts

Leider hat „Laudato si“ das Grundproblem Bevölkerungsexplosion nicht angesprochen. Deren (dringend notwendige!) nachhaltige Bekämpfung hat nichts mit abgeworfenen Kondomen oder kostenfreien Antibaby-Pillen zu tun, sondern erfordert (unabhängig von Geographie und Kultur) vor allem ein globales Bildungsprogramm, insbesondere für Mädchen und junge Frauen. Während die Bekämpfung der Erderwärmung ein (für jede Politik sehr unattraktives) mittelfristiges Globalproblem darstellt, kann ein wirksamer Stopp der Biodiversitätsverluste (politikfreundlich) häufig durch relativ rasch wirksame lokale Maßnahmen auf allen Gebäuden und Grünflächen gewährleistet werden.

Dazu kann das biblische Gleichnis von den Talenten helfen: Das Vermögen (Wohlstand wie Können) jedes einzelnen Menschen ist unterschiedlich, und es gibt keinen konkreten Befehl der Durchführung: Aber wehe denjenigen, die aus Angst vor Fehlern meinen, gar nichts tun zu müssen oder zu können: Niemand kann alles – aber keiner kann nichts, lautet die Devise.

„Evolutionäre Schöpfung“ ist also mehr als ein Versuch, naturwissenschaftliche und theologische Betrachtungsweisen in einer Synthese zu vereinen. Sie ist zugleich die Aufforderung, Verantwortung für diese Schöpfung zu übernehmen und es künftig besser zu machen. (Gerhard Haszprunar. Der Autor ist Vorsitzender des Dachauer Forums und war Professor für Zoologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Direktor der Zoologischen Staatssammlung München sowie General- direktor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.)

Professor Gerhard Haszprunar diskutiert am Montag, 27. November, mit dem Münchner Sozialethiker Professor Markus Vogt über dieses Thema. Es moderiert Dr. Thomas Steinherr vom Michaelsbund. Das Gespräch findet von 19 bis 21 Uhr im Erchana-Saal des Ludwig-Thoma-Hauses Dachau (Augsburger Straße 23) statt. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Um Spenden wird gebeten.