Kirchenasyl

Niederbayerische Gemeinde schützt Geflüchtete vor Abschiebung

Jedes Jahr finden hunderte Menschen Schutz im Kirchenasyl. In religiösen Räumen und Gebäuden gewähren ihnen das die katholische und evangelische Kirche und geben Geflüchteten damit die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Seit 40 Jahren gibt es die Kirchenasylbewegung in Deutschland. © parallel_dream - stock.adobe.com

Nur ein paar Quadratmeter ist das Zimmer groß, dessen Tür Waltraud Brombier-Stäudl öffnet. Ein kleiner Raum mit flauschigem Teppichboden, zwei Betten – und der Aussicht auf ein deutsches Asylverfahren. Insgesamt sechs Plätze für Kirchenasyl gibt es hier im niederbayerischen Bad Abbach. Seit rund neun Jahren kümmert sich die 60-Jährige ehrenamtlich um die Geflüchteten in einem ehemals leerstehenden Gebäude der Pfarrei St. Nikolaus. Dazu fühlt sie sich als Christin verpflichtet. „Die Kirche ist die einzige Chance dieser Menschen, nicht abgeschoben zu werden.“ 

Fast allen, die hier in Bad Abbach Unterschlupf finden, droht nach der Dublin-III-Verordnung die Abschiebung, in das europäische Land, in dem sie zuerst registriert wurden. So auch Ali (Name geändert) aus Syrien. In seiner Heimat war er eigentlich Verkäufer, erzählt der 39-Jährige, doch dann musste er zur Armee. Rund eine halbe Million Opfer hat der Bürgerkrieg seit 2011 gefordert, Ali wollte keines davon werden. „Wenn du stirbst, kümmert sich niemand um deine Familie“, sagt der zweifache Vater. Deshalb desertierte er. 

Leben in permanenter Angst 

Ende Dezember ging er zu Fuß in die Türkei und von dort aus nach Bulgarien. „Da hat uns dann die Polizei erwischt.“ Insgesamt 22 Tage war er in Polizeigewahrsam. Er berichtet von Schlägen und körperlicher Gewalt. Danach wurde Ali in ein Flüchtlingscamp geschickt, von wo aus er einen Transport nach Deutschland organisieren konnte. Seine Fingerabdrücke blieben in Bulgarien.  

Seit Januar ist Ali nun in Bayern. Er hatte die Hoffnung, dass er irgendwann auch seine Familie hierherholen könnte, doch dann kam die Polizei in die Flüchtlingsunterkunft. Ali sollte abgeschoben werden. Weil er da gerade beim Zigarettenholen war, erfährt er später von einem Zimmernachbarn von den Beamten. „Danach hatte ich nur noch Angst und hab die ganze Zeit darauf gewartet, dass die Polizei durch die Tür kommt, um mich wieder nach Bulgarien zu schicken.“ Aus Furcht, dort wieder Opfer von Gewalt durch die Polizei zu werden, suchte Ali Zuflucht im Kirchenasyl. 

Aktuell rund 430 Kirchenasyle in Deutschland

In der Unterkunft von St. Nikolaus haben teilen fast alle Alis Erfahrungen. Die meisten kamen über die Balkanroute nach Europa und wurden mit Fingerabdruck in Rumänien oder Bulgarien als asylsuchend registriert. Pro Flüchtling ist in Europa nur ein Asylantrag möglich. Wer danach nach Deutschland kommt, darf gemäß der Dublin-III-Verordnung innerhalb von sechs Monaten in das Land abgeschoben werden, in dem er zuerst registriert wurde. Verstreicht diese Frist, hat der Asylsuchende das Recht auf ein deutsches Verfahren. Alternativ kann die Bundesrepublik Asylverfahren auch aktiv zu sich ziehen, wenn bestimmte Härtefallkriterien erfüllt sind.  

Seit Inkrafttreten der Verordnung nutzen die Kirchen in Deutschland das Kirchenasyl vermehrt dazu, Geflüchteten solche Härtefallprüfungen zu ermöglichen. So sollen alle Rechtsmittel für ein faires Asylverfahren ausgeschöpft werden können, ohne in einer Unterkunft in der permanenten Furcht vor der Abschiebung leben zu müssen. Das sorgte dafür, dass sich mit der Einführung von Dublin-III 2014 die gewährten Kirchenasyle im Vergleich zum Vorjahr verfünffachten und auch in den Folgejahren kontinuierlich stiegen. 2018 verzeichnete die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ den Höchststand: 1325 Kirchenasyle für insgesamt 2136 Personen. Aktuell gibt es rund 430 Kirchenasyle in denen mehr als 600 Menschen geschützt werden. 

Hilfe in der rechtlichen Grauzone 

Der rechtliche Rahmen für das Kirchenasyl ist jedoch seit Jahren umstritten. „Sie finden im Prinzip kein Gesetz oder keine Verordnung, wo das geregelt ist“, erklärt Bettina Nickel, Juristin und als stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros Bayern für die Kirchenasyle im Freistaat zuständig. So ist die Tradition des Kirchenasyls zwar seit der Antike bekannt – damals standen Menschen in religiösen Gebäuden und Tempeln unter dem Schutz der Götter und waren so dem weltlichen Zugriff entzogen – dennoch bewegte es sich in der Bundesrepublik lange in einer Grauzone. Als Auslöser für die moderne Kirchenasylbewegung in Deutschland gilt der Selbstmord des politischen Flüchtlings Cemal Kemal Altun am 30. August 1983. Er Stürzte sich während der Verhandlung über seine Auslieferung an die türkische Militärregierung aus dem Fenster des Berliner Oberverwaltungsgerichts. Der Suizid bewegte die Berliner Heilig-Kreuz-Gemeinde dazu, anderen Flüchtlingen Kirchenasyl zu gewähren – unabhängig von einer rechtlichen Grundlage. 

Kirchenasyl und staatlich gewährtes Asyl sind nicht das gleiche 

Mit dem rapiden Anstieg der Flüchtlingszahlen und dem Inkrafttreten der Dublin-III-Verordnung einigten sich die Kirchen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge  (BAMF) 2015 auf einen Kompromiss: das „Dossierverfahren“. Demnach erkennt der Staat den kirchlichen Schutzraum an, wenn die Kirchen im Gegenzug die besonderen Härten, die dafür sprechen, dass der Geflüchtete unabhängig vom europäischen Erstankunftsland ein deutsches Asylverfahren bekommen sollte, in einem Dossier festhalten. „Das Monopol Asyl zu gewähren, bleibt beim Staat“, beton Nickel.  

Drohen Geflüchteten wie Ali durch die Abschiebung gesundheitliche, psychische oder soziale Schäden, kann das Kirchenasyl so dazu beitragen, dass die Geflüchteten eine Chance auf ein deutsches Asylverfahren bekommen. Entweder indem das Dossierverfahren erfolgreich beendet wird oder während des laufenden Verfahrens die Abschiebefrist von sechs Monaten abläuft.  

Eine Chance auf ein besseres Leben 

Kirchenasyl kann grundsätzlich jede Pfarrei bieten, die die geeigneten Räumlichkeiten hat. Das bayerische Oberlandesgericht stellte darüber hinaus fest, dass sich nicht strafbar macht, wer Kirchenasyl gewährt und sich dabei an die Absprachen mit dem BAMF hält. Nickel würde sich wünschen, dass es das Kirchenasyl gar nicht mehr bräuchte, doch auch am 40. Jubiläum der Kirchenasylbewegung in Deutschland dürfte es bis dahin noch ein langer Weg sein. „Solange es Flüchtlinge gibt, wird es auch das Kirchenasyl in der ein oder anderen Form brauchen.“ Nickel sieht hier die Politik in der Pflicht. Es brauche auf europäischer Ebene ein Rechtssystem, das für eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten innerhalb der europäischen Union sorgt und den Interessen der Flüchtlinge gerecht wird.  

Bis dahin wird Waltraud-Brombier-Stäudl weitermachen. Hunderte Geflüchteten hat sie so in den letzten neun Jahren zu einem deutschen Asylverfahren verholfen, fast alle waren erfolgreich, sagt die 60-Jährige. Das will sie auch Ali und den anderen, die aktuell im Kirchenasyl in Bad Abbach leben, ermöglichen. „Hier haben sie die Chance etwas zu erreichen - und sie schaffen das auch!“ 

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de