Urteil Freispruch

Richterin betont Gewissensfreiheit nach Kirchenasyl-Prozess

Solange niemand durch die Tat zu Schaden kommt, könne das Gewissen über der Rechtsordnung stehen. So begründet Richterin Patricia Finkenberger den Freispruch für den Benediktinermönch Abraham Sauer.

Kann ich mit der Gewissenfreiheit auch aktives Handeln rechtfertigen? Diese Frage stellt sich nach Prozess gegen den Benediktinermönch Abraham Sauer. © sergign - stock.adobe.com

Hamburg – Richterin Patricia Finkenberger hat ihren Freispruch im Kirchenasyl-Prozess von Kitzingen gegen Kritik verteidigt. "Mein Verständnis von Artikel 4 des Grundgesetzes ist, dass Gewissensfreiheit kein bloßes Abwehrrecht ist, sondern ein Recht auf aktives Handeln", sagte sie der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag). Die Formulierung weiche von früheren Verfassungen ab, auch von der Weimarer Verfassung: "Ich bin überzeugt, als das Grundgesetz entstanden ist, war jedem bewusst: Es reicht nicht aus, einem Menschen zu erlauben, 'nicht mitzumachen', gleichzeitig aber von ihm oder ihr aber zu erwarten, dass er oder sie tatenlos zusieht, wenn andere Unrecht tun."

Wegen Glaubens- und Gewissensfreiheit freigesprochen

Ende April hatte sich der Münsterschwarzacher Benediktinermönch Abraham Sauer vor dem Amtsgericht Kitzingen wegen Gewährung von Kirchenasyl verantworten müssen. Er wurde aufgrund der im Grundgesetz geschützten Glaubens- und Gewissensfreiheit freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, nachdem die Staatsanwaltschaft Würzburg Rechtsmittel angekündigt hatte.

Auf die Frage, warum sie den Mönch freigesprochen habe, sagte Finkenberger: "Weil er zwar gegen das Gesetz verstoßen hat, aber - für mich überzeugend dargelegt - nach seinem Gewissen nicht anders handeln konnte." Zudem habe Sauer "nicht bewusst den Konflikt mit der Rechtsordnung gesucht". Die Rechtsordnung siege allerdings "spätestens dann" über das Gewissen, wenn jemand anderes durch eine Tat zu Schaden komme, so die Richterin.

Neuer Stellenwert des Gewissens

Mehrere Rechtsprofessoren rechnen nach diesem Urteil mit einem neuen Stellenwert des Gewissens vor Gericht. "Ich denke, um die Befassung mit der Frage der Gewissensentscheidung kommt man nicht herum", sagte Finkenberger. Manchmal könnten oder müssten Werte Gesetze aushebeln, "und seit 1945 ist es allgemein bekannt: Manchmal hätten sie es müssen". Diese Frage sei zuletzt "ein bisschen in den Hintergrund geraten".

Im Bezug auf das Kirchenasyl beklagte sie, "dass es keine obergerichtliche Leitentscheidung gibt, an der sich Gerichte und Staatsanwaltschaften orientieren könnten". Diese oberen Instanzen müssten "den eigentlichen Präzedenzfall schaffen", erklärte die Richterin. Sie sehe ihr Urteil auch nicht als "Einladung" zum Kirchenasyl. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang die geltende Vereinbarung zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2015. (kna)