Andacht in Eichenau

Missbrauchsbetroffener Kick: Jahrelang hat mich niemand gehört

Richard Kick sitzt in der Eichenauer Kirche „Zu den Heiligen Schutzengeln“. Beschützt wurde er hier nicht. Als Kind hat er an diesem Ort immer wieder Missbrauch erfahren.

Während der Andacht sitzt Kick vor dem Altar, auf seiner einen Seite Kardinal Reinhard Marx, auf der anderen Pfarrer Kilian Semel, der selbst Missbrauchsopfer ist und die Stabstelle Seelsorge und Beratung für Betroffene von Missbrauch und Gewalt leitet. © SMB/Schmid

Eichenau – „Ich bin nach Jahrzehnten wieder hier in dieser Kirche, in der ich als Kind gerne war, gerne den Altardienst verrichtet habe. Mein Puls geht schnell und ich hoffe, dass ich gut durch den Abend komme“, erklärt Richard Kick angespannt und nachdenklich vor der Andacht mit Kardinal Marx in der Eichenauer Kirche „Zu den Heiligen Schutzengeln“. Einen Schutzengel hatte der damals Achtjährige Richard nicht, als vor fast 60 Jahre der Missbrauch durch einen Kaplan hier immer und immer wieder geschah. Begonnen im Zeltlager, danach auch nach Feierlichkeiten und Gottesdiensten, sogar in der Sakristei - vier Jahre lang wurde Richard Kick vom damaligen Kaplan Georg Pitzl schwerst sexuell missbraucht.

Während der Andacht sitzt Kick vor dem Altar, auf seiner einen Seite Kardinal Reinhard Marx, auf der anderen Pfarrer Kilian Semel, der selbst Missbrauchsopfer ist und die Stabstelle Seelsorge und Beratung für Betroffene von Missbrauch und Gewalt leitet.  Dieser eröffnet den Gottesdienst nach einer kurzen Begrüßung durch Ortspfarrer Joseph Nanduri. Anschließend trägt Richard Kick einen kurzen Text vor „Wir brauchen…“ heißt er und er drückt aus, was viele Betroffene fühlen. Sie brauchen Menschen, die ihr Weinen und Schreien hören, die das Unrecht beim Namen nennen, die an ihrer Seite stehen.

Familie gab Richard Kick Sinn in den schwierigen Jahrzehnten

Die Menschen, die Kick zur Seite stehen und seit langem gestanden haben sitzen in der ersten Reihe der Eichenauer Kirche. Kicks Frau, mit der er seit 43 Jahren verheiratet ist, und sein mittlerweile 30-jähriger Sohn. „Sie hätten ihm Sinn gegeben im Leben in alle den schwierigen Jahrzehnten“, sagt er. Richard Kick geht während der Andacht zu ihnen und die drei liegen sich weinend in den Armen. Ebenfalls gekommen ist Helmut Bader aus Maithenbeth, auch er Missbrauchsopfer eines Geistlichen und mittlerweile ein enger Vertrauter Kicks. Andere, die dasselbe durchgemacht haben sitzen verstreut in der Kirche. Und viele Gemeindemitglieder, der Pfarrgemeinderat, Freunde – Menschen, die Kick aus dem Ort kennen, aber lange nicht wussten, was ihm widerfahren war.

Vertrauen ins Ordinariat muss wachsen

2010, als die Missbrauchsskandale der Kirche in Deutschland in die Öffentlichkeit gelangten, brach Kick sein Schweigen, beschloss, dass das, was er lange in sich getragen hatte, aus ihm herausmuss. Im Ort wollte er damals noch unerkannt bleiben, aber er setzte sich mit dem Ordinariat in Verbindung.  Richard Kick findet während der Andacht sehr klare Worte, schont dabei auch den neben ihm sitzenden Kardinal nicht. Jahrelang habe niemand ihn gehört, er sei nicht einmal zu einem Gespräch eingeladen worden. Erst 2021 habe man mit ihm gesprochen, begonnen ihn ernst zu nehmen – zwei Jahre, in denen das Vertrauensverhältnis langsam gewachsen sei – wenn auch, das merkt man jedem von Kicks Worten an – von wirklichem Vertrauen kann man noch nicht sprechen. Dahin wird es noch ein langer Weg sein – so das überhaupt möglich ist.

Kick: Gemeinschaft mit anderen Betroffenen wichtig

Kick ist der Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum. Er weiß, dass es vielen Betroffenen nicht leicht fällt über das Geschehene zu reden. „Aber es ist so wichtig, dass die Menschen, die Gesellschaft mitbekommt, jetzt spätestens, was passiert ist“, erklärt er. Auch deshalb hat er sich durchgerungen, diese Andacht in der Kirche in Eichenau mit dem Kardinal zusammen zu halten. Die Gemeinschaft mit den anderen Betroffenen sei ihm wichtig, sagt er weiter, man stütze sich gegenseitig, gebe sich Kraft den Weg weiterzugehen, den man gestartet, begonnen habe, hin zur Aufklärung und hin dazu die Kirchenoberen dazu zu bringen ihnen endlich zu helfen und zu unterstützen in der Form, in der sie es nötig hätten. Und da wünsche er sich noch deutlich mehr.

Seinen Glauben hat Kick, der 2014 aus der Kirche ausgetreten ist, trotz dem Geschehenen nie verloren. „Mein Glaube und die Zuversicht, dass es weitergeht, war immer da“, sagt der der Betroffene. Im Anschluss an die Andacht treffen sich Betroffene, Kardinal Marx, Generalvikar Christoph Klingan, Amtschefin Dr. Stephanie Herrmann und Gottesdienstbesucher zu einer Gesprächsrunde im Pfarrheim – ohne Kameras und Mikros.

Die Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch des Erzbistum München und Freising ist von Montag bis Freitag jeweils von 9-12 Uhr und außerdem am Dienstag und Mittwoch jeweils von 16-19 Uhr unter 089/2137-77000 zu erreichen.