Ankunft in der Ewigen Stadt

Missbrauchsbetroffene bringen ihre gebrochenen Herzen nach Rom

In zehn Tagen von München nach Rom - mit dem Fahrrad. Neun Missbrauchsbetroffene und ihre Begleiter wollten damit ein Zeichen setzen. Nun sind sie in der Ewigen Stadt angekommen: Mit schwerem Gepäck und Plänen.

Ankunft der Teilnehmer der Rad-Pilgertour von Missbrauchsbetroffenen mit dem Fahrrad von München nach Rom. © KNA

Um 15.01 Uhr haben sie es geschafft: Neun Missbrauchsbetroffene und ihre Begleiter sind am Dienstag in Rom angekommen. Auf dem Fahrrad haben sie 715 Kilometer in zehn Etappen und ebensovielen Tagen zurückgelegt. Am 6. Mai waren sie in München zu ihrer Radpilgerreise in die Ewige Stadt aufgebrochen. Mit dabei haben sie schweres Gepäck: Ihre Erfahrungen als Opfer von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Aber auch physisch war ihr Gepäck nicht leicht. Große Steine haben sie auf ihrem Weg mitgenommen und nach Rom transportiert.

Ankunft in Rom mit Steinen im Gepäck

Auf den schweren Brocken stehen ihre Gedanken: Wut, Scham, Wertlos, Traurig, Machtstruktur, Würdelos oder Suizid. Auf einen grauen Stein sind zwei schwarze Kreuze gezeichnet, daneben stehen die Namen Wolfgang und Thomas. Die Steine finden nun ihren Platz im Garten des römischen Begegnungszentrums der Erzdiözese München und Freising. Neben einer Nachbildung der Münchner Mariensäule. Dem Platz, an dem die Gruppe gestartet war.

Empfangen wurden die Radpilgernden vom Münchner Generalvikar Christoph Klingan und der Amtschefin des Erzbischöflichen Ordinariats, Stephanie Herrmann. Beide hatten die Gruppe schon in München verabschiedet. Weiter waren Vertreter der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl vor Ort.

Offene Gespräche über Missbrauch

Die kleine Gruppe steht sichtlich aufgelöst an einem Kreisverkehr auf einem Hügel in Rom. Vor ihnen erstreckt sich das Panorama der Stadt, inklusive Vatikan. Wie viele seiner Mitfahrenden weint auch Herbert Fuchs. Überhaupt sei kein Tag der Reise ohne Tränen vergangen, nicht nur vom Fahrtwind, erzählt er. Dass er einmal so offen über das Thema Missbrauch sprechen könnte, hätte er nicht gedacht. Aus Scham habe er etwa 50 Jahre über den an ihm begangenen Missbrauch geschwiegen. Das dürfe anderen Betroffenen nicht genauso ergehen, fordert Fuchs. Ihnen müsse Mut gemacht werden. Darum seien sie hier.

Organisiert wurde die Pilgerfahrt unter dem Motto "Wir brechen auf! Kirche, bist du dabei?" von Dietmar Achleitner, Richard Kick und Kilian Semel vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising. Außerdem beteiligt war Robert Köhler von der Initiative "Wir-wissen-Bescheid.de" des Vereins "Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer".

Kunstwerk "Heart" für Papst Franziskus

Gesehen und gehört werden, das sei das Ziel ihrer Tour gewesen, so Kick. Und das hätten sie erreicht: Immer wieder seien Menschen solidarisch ein Stück "mitgeradelt". Oft sei die Gruppe angesprochen worden, in Deutschland wie auch in Österreich und Italien. Zwischenzeitlich sei der Weg auch mal schlammig gewesen, eben wie im echten Leben, erzählt Kick. Es sei mitunter sehr emotional geworden, aber habe Spaß gemacht.

Leicht zu übersehen ist die Gruppe nicht. Auf ihrem Begleitfahrzeug prangt in Grün das Motto ihrer Tour, auch auf Italienisch. Die Fahrenden selbst tragen T-Shirts mit einem besonderen Herzen. Es ist ein Bild von Michael Pendrys Kunstwerk "Heart", einem eigentlich dreidimensionalen Herzen, das gitterartig aus Metallstangen zusammengesetzt ist. Eine kleine Version des im Original sechs mal sechs Meter großen Kunstwerks haben die Pilgernden aus München mitgebracht. Es soll Papst Franziskus überreicht werden.

Brief mit Forderungen an die Kirche

Denn obwohl ihre Fahrt lang war: Ausruhen können und möchten sich die Teilnehmenden noch nicht. Am Mittwoch nehmen sie an der Generalaudienz mit dem katholischen Kirchenoberhaupt teil. Am Ende ist eine kurze persönliche Begegnung geplant. Neben dem Herz möchten die Missbrauchsbetroffenen dem Papst auch einen Brief überreichen. Darin finden sich Forderungen an die Kirche zum Umgang mit sexuellem Missbrauch - etwa einen konkreten Zeitplan für ihr Handeln. Am Donnerstag ist zudem ein Treffen mit Kinderschutzexperte Hans Zollner und einigen seiner Studierenden geplant. Der Jesuit leitet das Institut zum Schutz vor Missbrauch an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

Sie seien nur wenige von unvorstellbar vielen Menschen mit dem gleichen Schicksal, erzählt der Missbrauchsbetroffene Herbert Fuchs. Nun brächten sie ihre gebrochenen, verletzten Herzen nach Rom. (kna)