Pilgerwanderung von München nach Freising

Von Dom zu Dom

46 Kilometer, 55.000 Schritte und neun Stunden: Redakteur Joachim Burghardt ist vom Münchner Liebfrauendom zum heiligen Korbinian nach Freising gepilgert. Auf seinem Weg ist ihm nicht nur der Lärm der Großstadt besonders aufgefallen, er hat auch Spannendes über das Pilgern selbst gelernt.

Das Ziel der Pilgerwanderung: Der Freisinger Domberg © Satzl

München/Freising - Als Schüler des Dom-Gymnasiums bin ich mehr als 2.000 Mal den Freisinger Domberg hinaufgestiegen. Als Pilger noch nie. Das soll sich heute ändern: Zu Fuß von München nach Freising, von Dom zu Dom – so sieht mein Plan aus. Dabei will ich nicht die kürzeste Route nehmen, sondern unterwegs ein bisschen „irrlichtern“ und einige Abstecher zu Orten des Glaubens einlegen. Indem sich unzählige Schritte, Bilder und Gedanken zu einer Linie fügen, soll ein persönlicher Pilgerweg entstehen. In der Krypta des Freisinger Mariendoms soll er enden.

Mein Weg beginnt vor verschlossenen Toren: Der Münchner Liebfrauendom ist so früh am Tag (halb acht Uhr morgens) noch nicht geöffnet. Noch ein Blick himmelwärts zu den berühmten Doppeltürmen, dann suche ich das Weite. Müllfahrzeuge und Lastwagen, Bagger und Straßenbahnen, Hupen und Sirenen hüllen die Innenstadt in Lärm, und ich bin froh, als ich an der Ludwigsbrücke erstmals die Isar und damit einen Ausweg aus dem morgendlichen Verkehrsinferno sehe. München dröhnt! Kommt mir heute alles besonders laut vor, weil ich ausnahmsweise mal nicht selbst Teil dieses Betriebs bin, sondern als Pilger meine Umgebung mit größerer Empfindlichkeit wahrnehme?

Beeindruckendes Juwel

Fünf Kirchen und Kapellen besuche ich nun kurz hintereinander und pendle dabei zwischen der Isar und ihrem rechten Hochufer hin und her: zuerst St. Nikolai in Haidhausen, dann St. Georg in Bogenhausen mit seinem einzigartig schönen Friedhof voller prominenter Namen, hierauf St. Lorenz und St. Emmeram in Oberföhring, schließlich mit St. Valentin in Unterföhring ein besonders beeindruckendes Juwel. Von einem Gemälde auf der Empore schaut mahnend der heilige Korbinian herab – ja, bis Freising ist es noch weit!

Auch in den einladenden äußeren Stadtvierteln Münchens fällt mir auf, wie laut es ist. Wann immer ich aus dem Auwald in ein Wohngebiet hinaufgehe, übertönen bald Rasenmäher, Kreissägen und andere motorisierte Maschinen das Vogelgezwitscher. Und immer wieder sind die Kirchengebäude die einzigen Ruhe-Oasen, die Zuflucht bieten. Mehrmals steige ich zwischendurch hinab zur Isar, folge den Uferpfaden und lasse mich von der unwiderstehlichen Kraft dieses Stroms wieder ein Stück mitziehen. Er strebt nach Freising, weiter nach Landshut, zur Donau, über Wien und Belgrad zum Schwarzen Meer und weiter ins Mittelmeer und in den Atlantischen Ozean, bevor er sich über die ganze Welt verströmt. Das darf man – wann, wenn nicht heute? – ruhig einmal zu Ende denken.

Zwischenhoch in Fröttmaning

Beim Isarsteg Unterföhring wechsle ich die Seiten und habe das Flussrauschen ab jetzt zu meiner Rechten. Vorbei an der Freimann-Moschee, der ältesten Moschee Bayerns, steige ich auf den Fröttmaninger Berg und kann von dort beide Dome erspähen: den Münchner im Süden, den Freisinger – oje! – noch unermesslich weit entfernt im Norden. Nach diesem „Zwischenhoch“ fesselt sofort wieder die Nähe meine Aufmerksamkeit: Die alte Fröttmaninger Heilig-Kreuz-Kirche liegt versteckt in einem kleinen Wäldchen, einsam und verschlossen, aber ihre dicken mittelalterlichen Mauern strahlen heitere Unerschütterlichkeit aus, während unmittelbar daneben, auf der Autobahn, Europas Fernverkehr vorbeidonnert. Kurios!

Der Freisinger Domberg


Der Freisinger Domberg war einst das kulturelle und geistige Zentrum Altbayerns. Nach der Säkularisation, dem Verlust des Bischofssitzes sowie der Verlegung des Priesterseminars und der Philosophisch-theologischen Hochschule nach München ist heute nicht mehr ganz so viel Gelehrsamkeit übrig, doch noch immer ist der Domberg mit dem Mariendom, dem Kardinal-Döpfner-Haus, dem Diözesanmuseum, der Domberg-Akademie und dem Dom-Gymnasium ein außergewöhnlicher Ort.

Das Pilgern vereinfacht die Dinge

Es ist Mittag geworden, die Juni-Sonne brennt vom Himmel. Garching heißt mein nächstes Etappenziel, und der wunderschöne Innenraum der Kirche St. Katharina schenkt mir Stille und kühlen Schatten. Ist es allzu irdisch und banal, wenn ich Gotteshäuser für die körperlichen Annehmlichkeiten einer Rast rühme? Wären einer Pilgerfahrt nicht theologische Exkurse, hochgeistige Erkenntnisse, himmelstürmende Gebete eher angemessen? Die Wahrheit ist: Das Pilgern vereinfacht die Dinge, reduziert sie auf das Wesentliche. Eine ruhige Minute im erquickenden Schatten kann dabei so erfüllend sein, dass alles Weitere überflüssig wird. Das Pilgern macht einen klein und bescheiden – und je kleiner man unterwegs wird, umso kleiner werden übrigens auch die Probleme und Verstrickungen des Alltags. Auf dem Friedhof unterhalte ich mich mit einer Steinmetzin, die gerade einen verblassten Namen auf einem Grabstein nachmalt – es bleibt das einzige Gespräch der gesamten Wanderung.

Als Nächstes durchquere ich das Forschungszentrum Garching mit seinen futuristischen Gebäuden und der weit außerhalb Münchens gelegenen U-Bahn-Station – auch dies ein kurioser Ort. Der Andachtsraum „Spiritum“, in dem ich gern eine „inspirierende“ Pause eingelegt hätte, ist leider verschlossen.

Gleich nebenan tauche ich wieder in den Dschungel der Isar-Auwälder ein – und kenne jetzt nur noch eine Richtung: nordwärts, ohne Umwege nach Freising!

Radiobeitrag: Pilgern von Dom zu Dom

Wie in Trance

Obwohl noch immer 20 Kilometer zu gehen sind, ist der Rest schnell erzählt: ein monotoner, rhythmischer Marsch am Fluss entlang, ein rasch aufziehendes Sommergewitter, ein nicht enden wollender Weg, stärker werdender Regen, aber auch wachsende innere Freude. Und als ich dann endlich den Freisinger Domberg hinaufsteige, geht nach 46 Kilometern, 55.000 Schritten und neun Stunden plötzlich alles ganz schnell zu Ende: Ich betrete den menschenleeren Dom, begebe mich wie in Trance hinab in die lautlose Krypta und gehe vor dem goldenen Korbiniansschrein auf die Knie.

Der Redakteur
Joachim Burghardt
Münchner Kirchenzeitung
j.burghardt@michaelsbund.de