Dabei fand er trotz aller rhetorischen Launigkeit auch mahnende Worte: Er habe zuletzt, etwa in der Debatte um die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen, die Stimme der Kirche vermisst. Zudem schrieb der Ministerpräsident den anwesenden Christinnen und Christen ins Stammbuch, sie sollten sich auch in Zeiten der Krise nicht zurückziehen, sondern in die Offensive gehen. Die Kirche müsse die frohe Botschaft, die sie predige, auch verkörpern; aktuell passten die Haltung und die Ausstrahlung der Kirche nicht zu dem, wofür sie eigentlich stehe. „Wer jammert, bekommt keinen Besuch“, sagte Söder und dachte mit einem Augenzwinkern laut darüber nach, was für ein Schock es für beide Seiten sein müsse, wenn es zu einer Begegnung zwischen Jesus und heutigen Kirchengremien käme.
Frauen in der Kirche endlich wertschätzen
Ernstere Töne klangen bei der Rede des Diözesanratsvorsitzenden Professor Hans Tremmel an, der sich mit Blick auf die Zukunft der Kirche mahnend äußerte. Er wolle, dass sie vorne mitmarschiere, wenn es um Gleichberechtigung und um gerechte Strukturen gehe, und warnte davor, die Charismen und Kompetenzen der Frauen zu ignorieren. Das Publikum quittierte diesen Hinweis ebenso mit spontanem Beifall wie Tremmels Plädoyer für Kirchenreformen, die ohne Angst vor einer möglichen Kirchenspaltung erarbeitet werden müssten, weil sonst wegen des massenhaften Austritts von Gläubigen sowieso eine Kirchenspaltung der anderen Art drohe.
Trotz des schmerzhaften Versagens der Kirche und der nicht schönzuredenden Skandale erinnerte Tremmel aber auch an das viele Gute, das im kirchlichen Bereich nach wie vor allerorts getan werde. Er schloss seine Ansprache – seine letzte in diesem Rahmen, da der Diözesanratsvorsitzende zu den nächsten Wahlen nicht mehr antritt – mit einem klaren Plädoyer für gelebte christliche Freude und weiterhin unermüdliches Engagement.
Christliche Zukunftsvision
Es folgte die Rede von Kardinal Reinhard Marx, der in Anspielung auf den aktuell viel diskutierten Begriff der Zeitenwende für die Kirche die Notwendigkeit eines Prozesses „der Einigung und des Neuaufbruchs“ beschwor. Für eine gute Zukunft müssten „das ganze Feld des Menschen“ und insbesondere die Schwachen und Schutzbedürftigen in den Blick genommen werden. Dabei gelte es „nicht zu polarisieren, sondern neu zu versammeln“ und Ausschau zu halten „nach den Charismen und Begabungen aller Männer und Frauen“. Das Erzbistum München und Freising solle wie die Kirche allgemein „Zeichen der Einheit für alle Menschen, nicht nur für die Christen und uns Katholiken“ sein und nicht „Zeichen der Zerrissenheit und Instrument des Gegeneinanders“, sagte der Erzbischof.
Für die Zukunft stelle sich gesellschaftlich wie kirchlich die Frage nach dem Wohin: „Was sind die Programme für die Zukunft?“, fragte Marx. Militärische Hochrüstung könne, auch wenn sie angesichts des russischen Angriffskriegs zwischenzeitlich notwendig sei, langfristig nicht die Antwort sein. Vielmehr brauche es „ein Zukunftsbild der Menschheitsfamilie“, zu dem die Kirche besonders beitragen und „Hoffnungszeichen setzen“ müsse. Dabei sei die Frage zu klären, wie Religion heute, in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft aussehen könne, so Marx. Nur eine Anpassung einiger Strukturen könne nicht der Weg sein, sondern es gelte herauszufinden, „wie wollen wir heute von Gott sprechen?“, so Marx.
Aufklärung, Transparenz und Prävention in Sachen Missbrauch
Ein Instrument dazu sei der Synodale Weg. Synodal bedeute in diesem Zusammenhang nicht endlose Diskussionen, sondern Suche nach dem Willen Gottes, Freude daran, Eucharistie zu feiern und zu „lauschen, was das Geheimnis Gottes uns heute zu sagen hat“. Wenn das geschehe, könne auch der Gefahr begegnet werden, dass Religion instrumentalisiert und „zu einer Sache der Ideologie, der kulturellen Identität und des Nationalismus“ gemacht werde.