Unterstützte Kommunikation

Eine Sprache für Menschen, die nicht sprechen können

Wer sich aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung nicht verbal äußern kann, hat trotzdem etwas zu sagen. Unterstützte Kommunikation hilft bei der Verständigung: Mit Bildkarten, Sprachcomputern und "liebevoller Aufdringlichkeit".

Unterstützte Kommunikation umfasst viele unterschiedliche Methoden und Techniken, die Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung eine Möglichkeit geben sollen, sich mit ihrem Umfeld zu verständigen. (Symbolbild) © stock.adobe.com - Halfpoint

Wenn Mario spricht, dann verstehen ihn nur Menschen, die ihn richtig gut kennen. Anstelle von Wörtern nutzt der junge Mann unartikulierte Laute. Mario hat eine schwere Mehrfachbehinderung – körperlich und geistig. Dass er heute einkaufen war, kann er aber trotzdem erzählen, mithilfe von Heilerziehungspfleger Florian Grünig und Bildkarten. Einen ganzen Kasten mit rund 60 laminierten Kärtchen hat er dafür auf dem Tisch verteilt. Darauf zu sehen sind Piktogramme, Symbole und kleine Bilder. Sie sind quasi Marios Vokabular: Eine Schubkarre mit Holzscheiten bedeutet zum Beispiel „anpacken“, ein grüner Bus ist die „Ausflugskarte“, weiß Grünig. Er ist ausgebildeter Assistent für Unterstützte Kommunikation (UK) in der Förderstätte des Monsignore Bleyer Hauses in Pasing. Rund 30 Menschen sind in den insgesamt vier Fördergruppen der Einrichtung des Katholischen Jugendsozialwerks München (KJSW) beschäftigt.

Keine Menschen zweiter Klasse

„Jeder Mensch hat das Recht, in Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu leisten“, betont Förderstättenleiter Stefan Baumgartner. Dieses Anliegen auch dann sicherzustellen, wenn die Behinderten nicht sprechen können, ist eine besondere Herausforderung. Die Gefahr ist groß, dass sie sich „wie Menschen zweiter Klasse“ fühlen, weiß Baumgartner. Denn auch sie haben einen eigenen Willen, Wünsche und etwas zu sagen, werden aber häufig nicht verstanden. „Vielmehr stoßen geistig Behinderte mit ihrer Art sich zu äußern gerade in der Öffentlichkeit häufig auf Ablehnung“, sagt Baumgartner. Wer sich in einen solchen behinderten Menschen hineinversetzen will, kann sich einfach einmal vorstellen, in einem fremden Land in unbekannter Sprache an einer Quizshow teilnehmen zu müssen. Im Monsignore Bleyer Haus wissen sie: Wer nicht verstanden wird, leidet darunter. Wem die Sprache fehlt, muss ohne das wahrscheinlich wichtigste Werkzeug des Menschen auskommen, mit dem andere kommunizieren, ihren eigenen Willen ausdrücken und Einfluss auf ihre Umwelt nehmen können. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, brachte es der Kommunikationswisenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick auf den Punkt. Unterstützte Kommunikation hilft dabei, dass man dabei auch ohne Worte verstanden wird.

Geräte, Techniken und viel Erfahrung

UK umfasst viele unterschiedliche Methoden und Techniken, die Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung eine Möglichkeit geben sollen, sich mit ihrem Umfeld zu verständigen. Ein prominentes Beispiel für angewandte UK, war der Sprachcomputer von Steven Hawking. Mit dessen Hilfe konnte der Astrophysiker bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse beitragen, obwohl es ihm aufgrund seiner ALS-Erkrankung nicht mehr möglich war, zu sprechen. Ein ähnliches Gerät nutzt im Monsignore Bleyer Haus auch die 41-jährige Chris. Sie kann Arme und Beine nicht bewegen und leidet unter starken Spastiken. Mit einem augengesteuerten Tablet – einem sogenannten „Talker“ – kann sie dennoch sprechen. „Ich habe Durst“, teilt Chris UK-Assistent Grünig so mit einer Augenbewegung mit. Die in Bereiche wie „Wohnen“, „Bad“ oder „Über mich“ gegliederte Benutzeroberfläche hat Chris selbst gestaltet. Ein Großteil der Kommunikation läuft dabei über Schlagworte, erklärt Grünig. Aber auch ohne Talker verstehen er und Chris einander. „Wenn sie mir da sagen will, dass sie Durst hat, stellt sie mit den Augen eine Verbindung zwischen mir, ihr und dem Wasserglas auf dem Tisch her.“

Schwierigkeiten, Knowhow festzuhalten

Neben Hilfsmitteln wie dem Talker oder den Bildkarten ist Erfahrung das wichtigste Instrument in der Unterstützten Kommunikation. „Versuchen, ausprobieren und liebevolle Aufdringlichkeit sind der Duden der Unterstützten Kommunikation“, fasst Förderstättenleiter Baumgartner zusammen. Jeder Förderstättenbeschäftigte spricht eine eigene Sprache. Dank seiner Erfahrung weiß UK-Assistent Grünig, was die jeweilige Bildkarte oder das jeweilige Verhalten bedeuten. Erfahrungen und Instinkt mit den Kollegen zu teilen, ist jedoch schwierig. Das weiß auch Thomas Bacher, Leiter einer Rosenheimer Einrichtung des Katholischen Jugendsozialwerks: „Oftmals ist es so, dass ein Mitarbeiter einen Weg zu einem Bewohner erschließt, den ein anderer Mitarbeiter nicht gehen kann.“ Bacher hofft daher darauf, UK in Zukunft stärker vereinheitlichen und Erfahrungen unter Mitarbeitern leichter austauschen zu können.

Forschungsprojekt arbeitet an "Bewohner-Wiki"

An diesem Ziel arbeitet das KJSW derzeit gemeinsam mit Studenten der Informatik und der Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Rosenheim. Im Rahmen des vom bayerischen Wissenschaftsministerium unterstützten Studienkollegs digi.prosa entwickeln die Studenten dabei ein Tool, das den Mitarbeitern und Bewohnern zunächst dabei helfen soll, Kommunikationserfahrungen miteinander in einer digitalen Fallakte festzuhalten. „Eine Art Bewohner-Wiki, in dem neben einfachen Informationen über Vorlieben oder Tabus auch Bilder, Videos und Tonaufnahmen gesammelt werden können“, erklärt Stefanie Neumaier, die das Projekt an der TH Rosenheim als wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet. So könnte man in Zukunft verhindern, dass zum Beispiel im Falle eines Stellenwechsels das persönliche Knowhow eines Mitarbeiters verloren geht.

Angemessener Aufwand

„UK ist deshalb so wichtig, weil mit ihr Lebensqualität geschaffen wird“, betont Grünig. Sie bietet Menschen mit Behinderung eine Möglichkeit, ihre Persönlichkeit mit Wünschen und Gefühlen auszudrücken. „Zugleich baut es Spannungen ab, wenn auch ein Mensch mit geistiger Behinderung einmal zum Ausdruck bringen kann, dass er gerade einen Scheißtag hatte.“ Der 29-Jährige ist daher froh, dass UK in den KJSW-Einrichtungen so großgeschrieben wird. „Es ist unser Auftrag, die Menschen zu befähigen, selbstwirksam zu sein.“ Unterstützte Kommunikation hilft genau dabei: Menschen mit einer Behinderung empowern.

Podcast-Tipp

Total Sozial

Ob Wohnungslosigkeit, Integration oder Leben im Alter: Die sozialen Verbände im Erzbistum setzen die Botschaft des Evangeliums in aktive Hilfe um. Sie helfen mit die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Wir sprechen mit ihnen darüber.

> zur Sendung

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de