Mission: Armut entfliehen

Escape-Room mit sozialer Botschaft

In Escape-Rooms versuchen die Spieler, Rätsel zu lösen, Geheimfächer zu öffnen und Schlüssel zu finden, um so aus einem Raum zu entkommen. Die Szenarien reichen von Maya-Pyramiden bis zum Banktresor. In München konnte man nun einen Raum zu einem hochrealistischen Thema spielen und versuchen, der Armut zu entfliehen.

Die Teilnehmenden versuchen das Armut-Rätsel zu lösen. © SMB/Bauer

Wir betreten eine schlichte Einzimmerwohnung: Weiße Küchenzeile, ein Esstisch, Bett und Kleiderschrank. Dazwischen stehen zwei Schulranzen. Ein Laptop flimmert auf einem Schreibtisch. An den Wänden hängen Billi Eilish-Plakate. Unsere Mission: Escape Poverty – der Armut entfliehen. Wir sind eine sechsköpfige Gruppe. „Ihr seid die Nachbarn einer Familie, die vor der Zwangsräumung steht“, hat uns Spielleiterin Julia Stipsits ein paar Minuten zuvor erklärt. Wir sollen der Familie dabei helfen, einen Antrag für soziale Beratung beim Amt zu stellen und zuvor alle benötigten Unterlagen in der Wohnung zu sammeln.

Klingt ein bisschen bürokratisch, aber eigentlich nach einer machbaren Aufgabe. Eine Stunde haben wir dafür Zeit, alle Unterlagen sind irgendwo im Raum versteckt. Unter dem Bett finden wir mehrere Kisten mit Zahlenschlössern. Das erste Rätsel ist schnell gelöst und in einer Kiste finden wir einen schwarzen Ordner. „Die Zwangsräumung findet morgen statt“, liest Mitspieler Markus vor. Das müssen wir verhindern! Dafür brauchen wir Unterlagen zur Wohnung, Nachweise über das aktuelle Vermögen, aktuelle Einkünfte, Kontokarte, aktuelle Einkunftsbelege – eine schier endlose Litanei an Dokumenten müssen wir laut Räumungsbescheid finden. Uns wird klar: Ganz so einfach wird es nicht, den Beratungsantrag zusammenzustellen. Aber genau darum geht es bei diesem Escaperoom. „Die Spieler sollen einen Eindruck davon bekommen, welche Konsequenzen Armut hat und welche Herausforderungen arme Menschen bewältigen müssen“, erklärt Spielleiterin Stipsits.

Armut gibt es auch im reichen München

„Mission: Escape Poverty“ kommt eigentlich aus Wien. Es ist eine Kooperation eines Escape-Room-Anbieters mit einer Künstlerin und einer sozialen Hilfsorganisation. In München kann man den Raum im Rahmen des „Radikal Jung-Festivals“ des Volkstheaters spielen. Auch in der bayerischen Landeshauptstadt ist Armut ein großes Problem: Das Einkommen von mehr als eine Viertel Million Münchner liegt aktuell unterhalb der Armutsschwelle. Das ist fast jeder sechste.

Mit jedem Rätsel, das wir lösen, mit jeder Kiste die wir öffnen, erfahren wir mehr über die Familie, der wir helfen sollen. Alles Daten, die wir für das Antragsformular brauchen, das wir Stück für Stück ausfüllen. Zwei Schulkinder wohnen im Haushalt, die Mutter ist alleinerziehend. Ein klassischer Fall: In München gelten fast 40 Prozent der Alleinerziehenden als arm. In keiner anderen Familienkonstellation ist dieser Anteil so groß. Doch wer einmal arm ist, bleibt das in den meisten Fällen auch, das zeigt der aktuelle Armutsbericht der Bundesregierung. Ein Rennen gegen die Zeit. Und auch uns im Escape-Room sitzt das Amt im Nacken.

Im Nebenraum wartet die ungehaltene Sachbearbeiterin

Unseren Antrag zur Sozialberatung haben wir nach rund einer halben Stunde beisammen. Im Nachbarraum wartet die nächste Herausforderung in Form einer ungehaltenen Beamtin, gespielt von Spielleiterin Julia. Sie fordert die nächsten Unterlagen von uns: „Vier Mappen, nicht mehr und nicht weniger!“ Rund ein Drittel unserer gesamten Spielzeit brauchen wir, um uns zu sechst durch die Dokumente zu wühlen und sie so zusammenzustellen, dass zwar alles abgeben wird, aber nichts doppelt vorhanden ist. Dann haben wir es geschafft. Gerade noch – in der Sekunde als unsere Ordner auf den Schreibtisch von Beamtin Julia fallen, klingelt der Timer. Die Stunde ist rum.

Es ist zwar nur ein Spiel, trotzdem steht allen Gruppenmitgliedern die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Als Alleinerziehende so etwas im Alltag zu machen, wenn dabei die Wohnung auf dem Spiel steht, ist unmöglich“, kommentiert eine Mitspielerin. Spaß hatten wir dennoch alle. Auch Spielleiterin Julia: „Es ist erschreckend lustig, die garstige Beamtin zu spielen aber genauso erschreckend ist auch, wie sehr sich die Leute wirklich vor mir fürchten.“ Ein realistisches Szenario, das als Spiel unterhaltsam ist. Im echten Leben will aber keiner von uns solche Herausforderungen lösen müssen. Auch darauf will „Mission: Escape Poverty“ aufmerksam machen: Wer sozial bedürftig ist, sollte Hilfe bekommen – und keine schier unlösbaren Rätsel.

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de