Besondere Wallfahrt

„Ein Tag, an dem man anders lebt“

Am Tag seiner Hochzeit startete Peter Burghardt eine Wallfahrt. Seitdem pilgern jährlich über 100 Personen mit ihm nach Scheyern.

Durch idyllische Landschaften geht es auf Scheyern zu. © Burghardt

Seit 25 Jahren unternehmen Peter Burghardt, Diakon und Diözesanrichter im Erzbistum München und Freising, und seine Frau Renate jedes Jahr im Mai eine Fußwallfahrt von ihrem Wohnort Freising-Neustift zum heiligen Kreuz nach Scheyern. Was am Tag ihrer Hochzeit – damals noch auf kürzerer Strecke – begann, hat sich mittlerweile zu einem festen Termin im Kalender vieler Gläubiger in der Region entwickelt: Über 100 Menschen pilgern die 35 km weite Strecke mit, einige steigen auch erst auf halber Strecke ein. Heuer ist die Wallfahrt corona-bedingt erstmals ausgefallen.

mk online: Wie bist du auf die Idee gekommen, am Tag deiner Hochzeit eine Wallfahrt zu unternehmen?

Peter Burghardt: Ich wollte nicht den üblichen Ablauf haben: erst Kirche, dann Wirtschaft mit Essen, Trinken, Tanzen, pseudowitzigen Sprüchen und Sketchen, alles in Anzug und Krawatte bei größter Hitze im August, sondern – und so lautete das Motto auf den Einladungskarten – „Gemeinsam auf dem Weg zu ihm“, denn zu ihm, zu Jesus Christus, hatten viele Hochzeitsgäste über die Pfarrei einen Bezug. In Scheyern angekommen, ließen wir uns alle die Kreuzreliquie auflegen und trafen uns danach im Klostergasthof zum Abendessen, wohin auch einige mit dem Auto angereist waren, darunter auch einige, die wir als Gäste der Freisinger Wärmestube gekannt haben.

Wie war damals die Resonanz der eingeladenen Hochzeitsgäste?

Burghardt: Die meisten waren zuerst verblüfft bis verwundert, sagten dann aber doch: Warum nicht?


Wie hat sich die Wallfahrt dann zu einer regelmäßigen Veranstaltung entwickelt, an der jedermann teilnehmen kann?

Burghardt: Als wir im Jahr darauf beschlossen, die Wallfahrt zu wiederholen, meldete sich eine ganze Reihe, um auch wieder mit dabei zu sein. Sehr schnell war der Vorschlag da: Das könnten wir doch jedes Jahr machen. So musste dafür ein passender Rahmen geschaffen werden: Wir verlegten die Wallfahrt auf das Scheyrer Hochfest „Kreuzauffindung“, das immer am ersten Sonntag im Mai gefeiert wird. Die nächsten Jahre gingen wir in der Nacht, um am Hauptgottesdienst am Vormittag teilnehmen zu können, was uns aber bei zunehmender Teilnehmerzahl zu gefährlich wurde. Deshalb starten wir seitdem am Sonntag um 7.30 Uhr in Freising-Neustift, um einen eigenen Pilgergottesdienst in Scheyern um 19 Uhr zu feiern, bei dem wir uns auch um die musikalische Gestaltung durch die Gruppe „Miteinander“ aus Vötting kümmern, um danach die Wallfahrt im Klostergasthof ausklingen zu lassen.

Welche Bedeutung hat das Kloster Scheyern – und insbesondere die Scheyrer Kreuzesreliquie – als Ziel für eure Wallfahrt?

Burghardt: Die Frage lässt sich nur schwer beantworten, denn das eigentliche Ziel ist die Eucharistiefeier, wobei in der Klosterkirche, zu der ich persönlich schon seit meiner Jugend eine Beziehung habe, eine besondere Atmosphäre herrscht.

Und wie würdest du die Bedeutung des stundenlangen Gehens auf dieses Ziel hin charakterisieren – gerade auch im Vergleich zu einer Anfahrt mit dem Auto: Ist das Gehen selbst schon Teil des Ziels? Ist es Vorbereitung auf das eigentliche Ziel?

Burghardt: Es ist ein Teil des Ziels, denn es geht bereits auf dem Weg um Gemeinschaft; um Gemeinschaft mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern – und zusammen mit diesen um Gemeinschaft mit Gott im Beten und Singen. Zugleich ist es aber auch eine Vorbereitung auf das eigentliche Ziel, die Eucharistiefeier. Am Ende eines solchen Weges feiert man den Gottesdienst anders, nämlich intensiver mit.

Spielt es für dich persönlich eigentlich eine Rolle, ob eine Reliquie, zu der du pilgerst, im wissenschaftlichen Sinne echt ist? Oder kommt es vielmehr auf die innere Haltung an, die man als Pilger einnimmt?

Burghardt: Die Echtheit der Scheyrer Kreuzreliquie ist gut belegt. Aber darauf kommt es gar nicht an. Entscheidend ist tatsächlich die innere Haltung, mit der der Einzelne teilnimmt.

Seit einem Vierteljahrhundert wanderst du mit bekannten und unbekannten Teilnehmern nach Scheyern. Was bewegt die Menschen, mitzugehen? Erfährst du, mit welchen persönlichen Anliegen sie an der Wallfahrt teilnehmen, oder bleibt das jedermanns Geheimnis?

Burghardt: Ich glaube, jeder hat so sein kleineres oder größeres Anliegen oder gar Geheimnis, weshalb er daran teilnimmt. Vielleicht ist sich nicht jeder dessen bewusst. Aber alle, ob Frau oder Mann, alt oder jung, verspüren einen Grund, dabei zu sein.

Sind eigentlich auch die Geselligkeit, die gemeinsame Einkehr, das Naturerlebnis oder die sportliche Herausforderung legitime Beweggründe, mitzugehen?

Burghardt: Das alles gehört zusammen – und das ist auch gut so. Auch das Leben besteht nicht nur aus Gebet und Sakramentenempfang. Bei Firmlingen ist die Geselligkeit und Sportlichkeit vielleicht wichtiger als bei Erwachsenen, bei Erwachsenen stärker die Frömmigkeit oder einfach das Gemeinsam-auf-dem-Weg-Sein.

Als Außenstehender, der keinen Bezug zum Pilgern oder vielleicht noch nicht einmal zum christlichen Glauben hat, könnte man den Eindruck gewinnen: So eine Wallfahrt, das ist etwas für sehr traditionelle, stramm katholische und tief gläubige Menschen. Spricht das Format Wallfahrt tatsächlich vor allem den „harten Kern“ der Gläubigen an, oder sind da auch Neulinge, Zweifler und Außenseiter willkommen?

Burghardt: Das Publikum ist gemischt: Katholiken (teils aus der Kirche ausgetreten), Evangelische, Zweifelnde, kirchlich Distanzierte, Fromme.

Klischeehaft könnte man auch annehmen, alle Wallfahrer erreichten selig und mit verklärtem Blick ihr Ziel und kämen zwangsläufig in den Genuss eines außergewöhnlichen Glaubenserlebnisses. Hast du auch schon erlebt, dass es unter den Teilnehmern zu Enttäuschungen und Misstönen kommt oder dass sich keine rechte Begeisterung einstellen mag?

Burghardt: Man darf Begriffe wie „selig“, „verklärt“, „außergewöhnliche Glaubenserlebnisse“ nicht überstrapazieren. Aber bei den meisten ist am Ende das Gefühl da: Ich habe etwas geschafft, ein Ziel erreicht, Menschen kennengelernt, bin vielleicht auch mit dem einen oder anderen Gedanken Gott begegnet, habe über Sorgen und Anliegen nachdenken können. Und wenn es schon Misstöne gab, dann drehten die sich um regnerisches Wetter oder schmerzende Füße.

Was muss eigentlich alles geplant und vorbereitet werden, damit die Wallfahrt durchgeführt werden kann?

Burghardt: Es beginnt damit, dass wir Anmeldezettel in den Sonntagsgottesdiensten der Pfarreien im Landkreis Freising und bis nach Mainburg verteilen. Die Wallfahrt ist über das Ordnungsamt Freising zu beantragen und genehmigen zu lassen und über die Pfarrei St. Peter und Paul in Freising-Neustift zu versichern. Es sind Absprachen zu treffen mit den Bewirtungen, der Polizei, dem Kloster. Ein Begleitfahrzeug wird benötigt. Die Lautsprecheranlagen für unterwegs sind zu beschaffen, die Verkehrsabsicherung ist zu regeln. Zusätzlich kommt es zu vielen, vielen Telefonaten, in denen sich die Wallfahrer bei uns anmelden und die Brotzeiten oder eine Rückfahrgelegenheit buchen.

Unterwegs macht die ganze Wallfahrtsgruppe mehrfach Rast, und du hältst besinnliche Ansprachen. Welche Botschaften versuchst du den Pilgern zu vermitteln?

Burghardt: Ich halte zwei bis drei Meditationen, die jeweils etwa fünf Minuten dauern. Dabei geht es immer um eine Bibelstelle. Solche Meditationen sind wichtig, aber mindestens ebenso wichtig sind die Pausen – einfache auf dem Weg, dazu eine größere Mittagspause in Aiterbach auf halber Strecke und eine in Ilmmünster, wo wir jeweils bewirtet werden.

Und während des Gehens: Wird gebetet, geratscht, geschwiegen?

Burghardt: Alles zu seiner Zeit. Etwa viermal wird nach einem Rosenkranz für zehn Minuten geschwiegen. Und das miteinander „Ratschen“ ist genauso wichtig wie das miteinander Beten. All das verbindet.

Gleich fünf bedeutende Kirchen liegen am Weg: Von St. Peter und Paul in Neustift geht es über die Wieskirche bei Freising, Herrnrast und die Basilika Ilmmünster zum Kloster Scheyern, ansonsten prägen die Natur, ein weiter Himmel, unzählige Wegkreuze, Gebete und der monotone Gehrhythmus das Tagesgeschehen – ist so eine Wallfahrt auch ein Ausbruch aus einem sehr schnell und laut gewordenen Alltag?

Burghardt: Es ist vor allem ein Tag, an dem man anders lebt und anderes erlebt.

Was war für dich der Höhepunkt in den 25 Jahren der Wallfahrt von Neustift nach Scheyern?

Burghardt: Im Jahr 2009 wurde anlässlich der Renovierung des Klosters und der Kirche von den Freisinger Bürgerinnen und Bürgern dem Kloster Scheyern eine Glocke gestiftet und anlässlich unserer Wallfahrt mitgeführt und übergeben. Bei prächtigem Wetter nahmen damals über 250 Wallfahrerinnen und Wallfahrer teil, während es sonst bei guter Witterung etwa 180, bei schlechtem Wetter etwa 120 sind.

Am Morgen nach so einem 35-Kilometer-Marsch schmerzen die Glieder. Welche Erkenntnisse, welchen Zugewinn, welche Stärkung nimmst du von der Wallfahrt mit in den nächsten Tag und in die nächste Zeit?

Burghardt: Der Alltag hat einen am Montag schnell wieder. Aber dennoch ist da ein Gefühl: Es ist ein schöner und wertvoller Tag gewesen.

Interview: Joachim Burghardt
Der Autor ist MK-Redakteur und der Neffe von Peter Burghardt. Zweimal hat er selbst schon an der Wallfahrt teilgenommen: beim allerersten Mal sowie 2009 mit seiner Frau, der zehn Monate alten Tochter und einem Kinderwagen.

Der Redakteur
Joachim Burghardt
Münchner Kirchenzeitung
j.burghardt@michaelsbund.de

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Pilgern: Der Weg ist das Ziel