Generalvikar Beer in Zorneding

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Nach den Zerwürfnissen zwischen Pfarrei und CSU-Ortsverband, den Morddrohungen und dem Rücktritt des Pfarrers Olivier Ndjimbi-Tshiende gibt es Unsicherheit, Zorn und Unmut. Am Sonntag war Generalvikar Peter Beer vor Ort und ging auf die Situation ein, indem er im Gottesdienst über das Tagesevangelium predigte.

Generalvikar Peter Beer zelebrierte den Sonntagsgottesdienst in Zorneding (Bild: Sankt Michaelsbund) © Bild: Sankt Michaelsbund

Zorneding – „Wie gestalten wir eine plurale Gesellschaft?“ Diese Frage warf der Generalvikar des Erzbistums München und Freising, Peter Beer, heute beim Sonntagsgottesdienst der Pfarrei Sankt Martin in Zorneding auf. Beer hatte die Vertretung des Ortspfarrers Olivier Ndjimbi-Tshiende beim ersten Sonntagsgottesdienst nach dessen mit größten Turbulenzen verbundenem Rücktritt persönlich übernommen. Gekommen waren die regelmäßigen Gottesdienstbesucher sowie mehrere Vertreter der Presse.

Im Mittelpunkt der Predigt stand das Evangelium des fünften Fastensonntags. Schriftgelehrte zerren eine Ehebrecherin vor Jesus und fordern hartnäckig ein Urteil. Jesus schweigt erst, spricht dann die berühmten Worte "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" und gibt zuletzt der Ehebrecherin, ohne sie zu verurteilen, mit auf den Weg, fortan nicht mehr zu sündigen.

Der scheinbaren Quintessenz "Aus, Äpfel, Amen und vorbei" erteilte Beer umgehend ein Absage. Das Problem einfach verschwinden lassen zu wollen, wäre unrecht den Beteiligten gegenüber. Es würde auch dem Schmerz nicht gerecht, der vielfach da sei, so der Generalvikar mit Blick auf die Situation in Zorneding. Er brachte seinen Respekt allen gegenüber zum Ausdruck, die "Olivier Ndjimbi-Tshiende offen und fair Solidarität gezeigt" hätten. Zorneding sei beileibe keine No-Go-Area. Beer dankte allen Bürgerinnen und Bürgern, die Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen würden.

Kein Schönwetter-Glaube

Und doch blieben jetzt Fragen, wie man wieder ins Gespräch kommen und nach all den Verletzungen wieder in die Diskussion eintreten könne. "Unser Glaube ist kein Schönwetter-Glaube. Gerade da, wo es schwierig wird, sind wir gefordert," so Beer in seiner Predigt, bei der er immer wieder auf das Tagesevangelium rekurrierte. Jesus habe in der heiklen Situation mit der Sünderin niemanden persönlich angegriffen, er habe auch die hartnäckigen Forderungen nicht einfach zurückgewiesen. "Das überlegte und konzentrierte Wort in aller Standhaftigkeit vorgetragen", davon berichte das Evangelium an dieser Stelle, die ihn immer wieder zutiefst berühre. Letztlich verweise Jesus auf die Komplexität des Geschehens, weit weg von einer Einteilung der Welt in Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Jesus sei es nicht um eine billige Lösung gegangen.

Der Münchner Generalvikar nahm auch die Bistumsleitung und die Pfarrei in die Pflicht. "Wir als Leitungsbeauftragte und wahrscheinlich auch sie fragen sich: 'haben wir alles richtig gemacht? Ausreichend Hilfe gewährt? Hätten wir früher was sagen sollen?' " Dabei betonte Beer in aller Deutlichkeit, dass es "für uns unverrückbare Grundsätze gibt: Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Im Gespräch bleiben

Auf die Situation in Zorneding bezogen betonte er, wie wichtig es sei, jetzt gemeinsam im Gespräch zu bleiben. Ausdrücklich dankte er dabei Olivier Ndjimbi-Tshiende für dessen Bereitschaft zum Verzeihen. Dranbleiben sei nötig und so wollte er auch die Aufforderung an die Ehebrecherin verstanden wissen, fortan nicht mehr zu sündigen. So könne die Welt ein Stück weite heiler werden. Letztlich ginge es auch darum, wie wir eine plurale Gesellschaft gestalten könnten. Das Ringen um eine gemeinsame Kultur, genau darin sieht Beer das Wesen der abendländischen Kultur. "Darin liegt die Zukunft."

Vor Beginn des nicht außergewöhnlich stark besuchten Gottesdienstes war auch Unmut über anwesende Pressevertreter und Fotografen laut geworden. Der Großteil der Gemeinde war nicht über das Kommen des Generalvikars informiert. Richtiggehend gelöste Stimmung hingegen herrschte, als Beer die aus der Kinderkirche hinzugekommene Kleinkinder und Eltern begrüßte. Es gelang ihm sogar, das herzerweichende Weinen einer 2-jährigen zum Guten zu wenden: da der Vater als Kommunionhelfer eingeteilt war und nicht wie erhofft, in der Kirchenbank auf seine Tochter wartete, war diese erst untröstlich. Der gelernte Pädagoge Beer erkannte die Situation sofort und unterbrach die Liturgie mit den Worten: „Dieses Problem können wir lösen.“ Er beorderte Mutter und Kind umgehend in den Altarraum zum Papa. (sd)