"Was ist das für ein Gott, der von einem Vater verlangt, sein Kind zu opfern?" So höre ich es oft, wenn die Sprache auf diese Geschichte kommt. Sie wird uns jedes Jahr in der Osternacht als Lesung zugemutet. Doch selten wird sie auch wirklich vorgelesen. Meist lässt man sie weg, weil sie in Kürze kaum zu deuten ist.
Wenn wir diesen Text verstehen wollen, müssen wir uns zunächst vor Augen führen, dass diese Geschichte selbst eine lange Geschichte hat. Der biblische Text ist erst im oder nach dem Exil in Babylon (sechstes Jahrhundert vor Christus) entstanden. Allerdings wurde er wohl aus mehreren älteren schriftlichen Versionen zusammengestellt und diese wiederum beruhen auf mündlichen Überlieferungen, die weit in die Geschichte zurückgehen. Bis hinein in die Zeit zwischen 1.500 und 1.000 vor Christus nämlich, in die Zeit vor dem Volk und dem Staat Israel, in der die Abrahams-Erzählungen ihren Ursprung haben. In diese Erzählung ist also Lebens- und Glaubenserfahrung aus fast tausend Jahren eingeflossen und zeigt sich uns hier hochverdichtet.
Beispiel für einen Gläubigen
Abraham, wie wir ihm hier begegnen, ist eine literarische Gestalt, in die wohl Urerfahrungen mehrerer Stammesväter des Volks Israel eingeflossen sind. Im biblischen Abraham sammeln sich Ursprungs- und Grunderfahrungen des Glaubens an den einen Gott. Er wird so zum beispielhaft Glaubenden schlechthin, der den Lesern zeigt, wie absolutes Vertrauen in Gott aussehen kann. Aber das wirft uns wieder auf die Frage am Anfang zurück: Was ist das dann für ein Gott, der dieses Vertrauen mit der Forderung nach einem solch schrecklichen Opfer testet?
Die bessere Frage wäre hier allerdings: Was ist das für ein Bild von Gott, das dieser Abraham hat, beziehungsweise das die Menschen hatten, die diese Geschichte ursprünglich erzählt haben? Denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch im Alten Testament Gott nicht mit Donnerstimme vom Himmel zu den Menschen spricht, sondern sich als innere Gewissheit hören lässt, die dann in sprechende äußere Bilder gefasst wird.
Menschenopfer werden überflüssig
Da steht also am Beginn die befremdliche Überzeugung des Abraham, dass sein Gott Menschenopfer verlangt. Historisch sind Menschenopfer in der Umgebung des Volks Israel in dieser Zeit durchaus bekannt, wenn sie auch sicher nicht alltäglich waren. Das Opfer eines Menschen als höchstmögliche Gabe an einen Gott war also etwas, wozu sich die Ursprungs-Stämme des Volks Israel positionieren mussten. Und das tut diese Geschichte eindeutig: Gott schreitet ein und verhindert das Opfer.