Bibel-Leseschule

Gott stellt Abraham auf die Probe

In der Bibel verlangt Gott von Abraham sein Kind Isaak zu opfen. Eine grausame Vorstellung. Wie ist die Geschichte heute zu verstehen?

Die Opferung Isaaks dargestellt von Giovanni Domenico Tiepolo (1727-1804) © IMAGO / Artokoloro

"Was ist das für ein Gott, der von einem Vater verlangt, sein Kind zu opfern?" So höre ich es oft, wenn die Sprache auf diese Geschichte kommt. Sie wird uns jedes Jahr in der Osternacht als Lesung zugemutet. Doch selten wird sie auch wirklich vorgelesen. Meist lässt man sie weg, weil sie in Kürze kaum zu deuten ist.

Wenn wir diesen Text verstehen wollen, müssen wir uns zunächst vor Augen führen, dass diese Geschichte selbst eine lange Geschichte hat. Der biblische Text ist erst im oder nach dem Exil in Babylon (sechstes Jahrhundert vor Christus) entstanden. Allerdings wurde er wohl aus mehreren älteren schriftlichen Versionen zusammengestellt und diese wiederum beruhen auf mündlichen Überlieferungen, die weit in die Geschichte zurückgehen. Bis hinein in die Zeit zwischen 1.500 und 1.000 vor Christus nämlich, in die Zeit vor dem Volk und dem Staat Israel, in der die Abrahams-Erzählungen ihren Ursprung haben. In diese Erzählung ist also Lebens- und Glaubenserfahrung aus fast tausend Jahren eingeflossen und zeigt sich uns hier hochverdichtet.

Beispiel für einen Gläubigen

Abraham, wie wir ihm hier begegnen, ist eine literarische Gestalt, in die wohl Urerfahrungen mehrerer Stammesväter des Volks Israel eingeflossen sind. Im biblischen Abraham sammeln sich Ursprungs- und Grunderfahrungen des Glaubens an den einen Gott. Er wird so zum beispielhaft Glaubenden schlechthin, der den Lesern zeigt, wie absolutes Vertrauen in Gott aussehen kann. Aber das wirft uns wieder auf die Frage am Anfang zurück: Was ist das dann für ein Gott, der dieses Vertrauen mit der Forderung nach einem solch schrecklichen Opfer testet?

Die bessere Frage wäre hier allerdings: Was ist das für ein Bild von Gott, das dieser Abraham hat, beziehungsweise das die Menschen hatten, die diese Geschichte ursprünglich erzählt haben? Denn wir dürfen nicht vergessen, dass auch im Alten Testament Gott nicht mit Donnerstimme vom Himmel zu den Menschen spricht, sondern sich als innere Gewissheit hören lässt, die dann in sprechende äußere Bilder gefasst wird.

Menschenopfer werden überflüssig

Da steht also am Beginn die befremdliche Überzeugung des Abraham, dass sein Gott Menschenopfer verlangt. Historisch sind Menschenopfer in der Umgebung des Volks Israel in dieser Zeit durchaus bekannt, wenn sie auch sicher nicht alltäglich waren. Das Opfer eines Menschen als höchstmögliche Gabe an einen Gott war also etwas, wozu sich die Ursprungs-Stämme des Volks Israel positionieren mussten. Und das tut diese Geschichte eindeutig: Gott schreitet ein und verhindert das Opfer.

„Wie lese ich die Bibel mit den Augen des 21. Jahrhunderts?“ – Dieser Frage geht die Bibel-Leseschule der Münchner Kirchenzeitung wöchentlich nach. Von der Arche Noah bis zum Jüngsten Gericht greift sie heiße Eisen der Heiligen Schrift auf und erläutert sie interessierten Gläubigen von heute.

Eine Grundaussage der Geschichte ist also: Unser Gott braucht keine Menschenopfer! Er gibt sich mit Tieropfern zufrieden. – Ein Spiegel der religionsgeschichtlichen Entwicklung des Volks Israel hin zur Erkenntnis, die auch der Tod Jesu Christi am Kreuz zum Ausdruck bringt: Unser Gott braucht gar keine Opfer lebender Wesen. Durch seine Selbsthingabe am Kreuz wird Jesus Christus zum „letzten Osterlamm“ und zeigt damit: Jegliche Opfer dieser Art sind überflüssig. Und in diesem Kontext verstehen wir die Lesung in der Osternacht als Befreiungserzählung.

Prüfung verändert Gottesbild von Abraham

Dennoch bleibt diese Geschichte eine Zumutung. Das liegt vor allem am Gedanken der „Erprobung“. Dass Gott Menschen und ihren Glauben auf die Probe stellt, kommt in der Bibel immer wieder vor. Aber warum stellt Gott Abraham so schrecklich auf die Probe? Warum schenkt er ihm die richtige Erkenntnis nicht einfach ohne diese Prüfung? Auch hier kommt eine menschliche Urerfahrung zum Ausdruck: Dass wir als Einzelne und als Menschheitsgemeinschaft immer wieder durch harte Prüfungszeiten gehen, ist eine Lebensrealität: Leid, Ungerechtigkeit, zerbrochene Lebensentwürfe … Diese Erzählung reflektiert das und führt diese Prüfungen auf den einen Gott zurück.

Die Deutung des Textes könnte sein: Diese Prüfung führt Abraham (das Volk) zu einem reiferen, menschenfreundlicheren Gottesbild. Aber diese Antwort ist nicht allgemeingültig. Warum die Welt von Gott als Ort voller Lebensprüfungen gestaltet ist, bleibt letztlich ein Geheimnis und eine Grundfrage des Glaubens. (Susanne Deininger, Pastoralreferentin im Pfarrverband Dachau-St. Jakob und theologische Mitarbeiterin im Dachauer Forum)

Das Buch Genesis


Neben den Urgeschichten umfasst das erste Buch der Bibel Erzählungen über die Väter und Mütter Israels, zum Beispiel über Abraham und seine Familie. Alle Ereignisse um diese zentralen Gestalten des Glaubens fanden etwa im Zeitraum von 1.500 bis 1.000 vor Christus statt, einer Zeit, in der Kanaan bevölkert war von unabhängigen, aber lose verbündeten Stämmen. Historisch ist aus dieser Zeit sehr wenig mit Sicherheit nachweisbar. Lange Zeit wurde diese Erzählungen nur mündlich tradiert. Erst in der Königszeit gab es erste schriftliche Fassungen, die danach immer wieder bearbeitet, zusammengefasst und neu interpretiert wurden. Die Textfassung in unserer Bibel dürfte wohl in großen Teilen aus der Zeit des Exils in Babylon (sechstes Jahrhundert vor Christus) beziehungsweise nach dem Exil stammen. In diesen Erzählungen sind zahlreiche Urerfahrungen des Glaubens Israels verdichtet überliefert. (sd)