Bibel-Leseschule

Christ sein in einer heidnischen Welt

Der Philemonbrief in der Bibel zeigt, dass die frühen Christen sich in einer Welt zurechtfinden mussten, die noch nicht von christlichen Werten geprägt war. Was kann man daraus für heute lernen?

"Kann ein Christ noch Sklaven halten?", lautete eine der Fragen, die die frühen Christen umtrieb. © hybonoticeras - stock.adobe.com

Der Apostel Paulus muss im Philemonbrief ein ganz konkretes Problem lösen: Während er im Gefängnis sitzt, flüchtet sich der Sklave Onesimus zu ihm. Er ist seinem Herrn entlaufen, hat sich zu Paulus begeben und wurde dort offenbar Christ. In der Antike war es ein schwerwiegendes Vergehen, als Sklave zu fliehen. Bei seiner Rückkehr drohen Onesimus drakonische Strafen.

Abhilfe könnte der Apostel schaffen: Er kennt Philemon, den Herrn des Onesimus, gut. Auch Philemon glaubt an Christus, hat womöglich sogar von Paulus den Glauben angenommen. Also setzt sich Paulus für den Sklaven Onesimus ein. Er tut das in einem sehr kurzen Brief, der in unserer Bibel gar nicht erst in mehrere Kapitel unterteilt wurde, sondern nur aus Versen besteht.

Neue Christen in alter Welt

Spannend ist schon der erste Satz. Antike Briefe folgen einem strengen Aufbau. Das sogenannte „Proömium“ nennt den Absender des Briefes und den Adressaten. Bei den im Neuen Testament enthaltenen Briefen fällt auf, dass Paulus diesen ersten Satz variieren kann – je nach Gesprächssituation. Im Philemonbrief bezeichnet er sich demütig als „Gefangener Christi Jesu“, nennt Philemon umgekehrt wohlwollend „Geliebten und Mitarbeiter“ (Phlm 1).

Der Philemonbrief


Der Philemonbrief ist der kürzeste Text des Neuen Testaments. Er ist – im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern der Bibel – nicht in Kapitel, sondern wegen seiner Kürze nur in Verse eingeteilt. Der Brief entstand vermutlich 55 nach Christus. Paulus hat ihn wahrscheinlich aus dem Gefängnis in Ephesus geschrieben und adressiert ihn an den Christen Philemon, der wohl in Kolossä lebte.

Kernproblem des Textes: Der Sklave Onesimus ist seinem Herrn Philemon entlaufen und hat sich zum Apostel Paulus geflüchtet; dort wurde er Christ. Paulus tritt für Onesimus ein und schreibt einen Brief an Philemon. Eine schwierige Situation: Wie soll der Sklavenhalter Philemon nun mit der Situation umgehen? Kann ein Christ überhaupt noch Sklaven haben? Paulus formuliert seinen Brief vorsichtig und geschickt; er argumentiert sowohl mit seiner Autorität als auch mit der Freiwilligkeit des Philemon. (bb)

Der Brief offenbart ein grundsätzliches Problem der frühen Christen. Viele Menschen werden Christen, die zuvor an die heidnischen Götter glaubten. Auch nach ihrer Taufe leben sie weiter in der heidnischen Welt und Gesellschaft. Das führt zu Problemen. In Korinth beispielsweise fragen sich die Christen, ob sie weiterhin – wie alle anderen Bewohner der Stadt – das kostengünstige Fleisch kaufen dürfen, das vom heidnischen Opfer in den Tempeln übrig blieb. Ist es mit dem neuen Glauben, mit der neuen Identität als Christ vereinbar, vom Tempelopfer zu profitieren (vgl. 1 Kor 8)? Welches neue Verhalten fordert der neue Glaube?

Kann ein Christ Sklaven halten?

Das wird auch im Philemonbrief konkret: Kann ein Christ noch Sklaven halten? Mehr noch: Kann ein Christ einen christlichen Sklaven haben? Man stelle sich vor, der Sklave muss eine ganze Woche lang für seinen Herrn arbeiten – am Sonntag feiern sie dann gemeinsam als Brüder Eucharistie, versammeln sich zum Mahl um den gleichen Tisch. Das hat mit christlicher Identität wenig zu tun.

Paulus argumentiert in seinem Brief an Philemon anders. Er betont zwar, als Apostel Autorität zu haben, will sich darauf aber nicht berufen: „Obwohl ich durch Christus volle Freiheit habe, dir zu befehlen, was du tun sollst, ziehe ich es um der Liebe willen vor, dich zu bitten.“ (Phlm 8–9) Ein geschickter Schachzug: Indem er sich gerade nicht auf seine Vollmacht beruft, erinnert er Philemon doch daran, wer hier als Apostel spricht. Paulus bittet Philemon darum, seinem Sklaven Onesimus zu vergeben (vgl. Phlm 17ff).

Glaube an Jesus erfordert Veränderungen

Ein zwiespältiger Brief: Der Apostel bezieht gerade nicht Stellung gegen die Sklaverei als solche. Er fordert von Philemon, seinen Sklaven wieder aufzunehmen, nicht aber, diesen und alle anderen Knechte in seinem Haus freizulassen. Gleichzeitig erinnert er daran, dass Onesimus – sein Name bedeutet „der Nützliche“ – nicht mehr nur Sklave für seinen Herrn Philemon ist, sondern als Christ auch „geliebter Bruder“ (Phlm 16).

Der Philemonbrief zeugt daher von einem Ringen der frühen Christen: Mitten in einer unchristlichen Welt mussten sie erst langsam zur Erkenntnis dessen kommen, was mit dem neuen, christlichen Glauben vereinbar war und was nicht. In jedem Fall zeigt der Brief: Es kann nicht nur beim Bekenntnis zu Jesus bleiben. Der Glaube an Jesus erfordert auch Veränderungen. (Benedikt Bögle, katholischer Theologe und Jurist, Rechtsreferendar und freier Journalist)