Fratelli tutti

Das Vermächtnis des Papstes

Kardinal Reinhard Marx, Professor Markus Vogt und Professorin Anna Noweck diskutierten in der Katholischen Akademie in München über die neue Enzyklika. Einig waren sie sich nur in einem Punkt.

Die Coronamaßnahmen zeigen sich in der Enzyklika wie auch bei der Podiumsdebatte: Markus Vogt, Anna Noweck und Kardinal Reinhard Marx auf Abstand (v.l.) © Kiderle

München – Bei einer Sache waren sich am Schluss alle einig: Die Enzyklika „Fratelli tutti” von Papst Franziskus benennt die brennenden Themen unserer Zeit: Gesellschaftlichen Zusammenhalt, internationale Zusammenarbeit und Frieden. Wie gut allerdings die Antworten sind, die das Schreiben liefert, darüber war zuvor fast eineinhalb Stunden lang debattiert worden.

"Zu viel Emotion, zu wenig Struktur"

Knapp 60 Gäste waren in die Katholische Akademie im Münchner Stadtteil Schwabing gekommen, um der vom Professor für christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), Markus Vogt, moderierten Diskussion unter dem Motto „Fratelli tutti – Was steht drin?” beizuwohnen. Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx sah die Leistung der Enzyklika vor allem darin, dass sie die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellt. „Zu viel Emotion, zu wenig Struktur”, urteilte hingegen Anna Noweck, Professorin für Theologie in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule in München, über Teile des Schreibens.

Gerade der Begriff der Solidarität hätte als Zentrum der Sozialenzyklika konkreter herausgearbeitet werden können, fand sie – die Auslegung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter, in dem Franziskus das Vorbild gelebter Nächstenliebe sieht, hätte dafür eine „Steilvorlage“ geliefert. Stattdessen spreche der Text viel von der sozialen und politischen Liebe, ohne diese Gesinnung aber in eine institutionelle Struktur zu überführen. Speziell in der Kirche könnte an dieser Stelle noch deutlich nachgebessert werden, und die sei ja schließlich der Ort „an dem wir zeigen wollen, wie es geht”, betonte Noweck.

Plädoyer für gesellschaftlichen Frieden

Solche Wünsche nach einer nach innen gewandten „Fortsetzung” der Enzyklika sind aus Sicht von Kardinal Marx durchaus legitim. Die Ansprüche an die Gesellschaft dürften von der Kirche nicht im Niveau unterlaufen werden, unterstrich er, verwies aber auch auf die Stärken des päpstlichen Schreibens, das für so einen gesellschaftlichen Wandel zumindest den Anstoß gebe: „Der Papst hat deutlich gemacht, dass wir eine Menschheitsfamilie sind.” Diese brauche eine gemeinsame Ordnung, die alle, auch die Schwachen, miteinschließe. Die Grundlage hierfür könne aber nicht nur die Struktur allein, sondern müsse die Liebe sein, sagte Kardinal Marx, „denn auch der Rechtsstaat kann ohne Liebe nicht leben“. So sieht der ehemalige Professor für christliche Gesellschaftslehre im päpstlichen Schreiben weniger die Entfaltung einer Lehre als vielmehr die Formulierung einer Vision. „Fratelli Tutti”, lautete der Tenor, sei etwas wie ein Panorama der Ziele des Papstes – sein Vermächtnis und ein Plädoyer für den gesellschaftlichen Frieden.

Diese Bündelung der Themen sei dem Papst in der Enzyklika gut gelungen, urteilte auch Markus Vogt. Franziskus habe mit „Fratelli tutti” da angeknüpft, wo er 2015 bei „Laudato Si” aufgehört hatte. Während die Umweltenzyklika die globalen ökologischen Herausforderungen formulierte, verweise das neue Schreiben auf die wichtigsten Ressourcen zur Lösung dieser Probleme: Gesellschaftlichen Zusammenhalt, internationale Zusammenarbeit und Frieden. Für Vogt ist „Fratelli tutti” damit eine „stimmige Weiterentwicklung”.  

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de