Gebete und ihre Begleiterscheinungen

Bräuche, um mit dem Göttli­chen in Kontakt zu treten

Feuer, Singen, Tanzen - Beim Beten kommunizieren Menschen mit dem Göttlichen anders als untereinander. Dabei haben sich weltweit ähnliche Rituale entwickelt.

Heute sind Brandopfer noch weit verbreitet – anstelle von Tieren werden aber meist Weihrauch oder Gebetszettel verbrannt. © AdobeStock/Sonja Birkelbach

Religionen haben alle ein gemein­sames Problem: Egal, ob es um Gott, Allah oder Ganesha geht – als Gläubiger kann man sich nicht einfach mal auf der Straße mit ihnen treffen oder zumindest einmal auf dem Handy anrufen. Das Göttliche ist transzendent. Es übersteigt die Welt und entzieht sich dem, was wir mit unseren Sinnen erfassen oder mit un­serer Sprache ausdrücken können.

Feuer begleitet Gebete seit der Antike

„Also braucht es etwas Beeindru­ckenderes als normale Sprache, das aber gleichzeitig noch im Rahmen unserer menschlichen Möglichkeiten ist“, erklärt Robert Yelle, Professor für Allgemeine Religionswissenschaft an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Er erforscht die Bräuche, die sich überall auf der Welt entwickelt haben, um mit dem Göttli­chen in Kontakt zu treten. Da die Spra­che allein nicht reicht, gibt es diverse „rituelle Briefumschläge“, in die die Nach­richten nach oben gesteckt werden.

Ein verbreitetes Werkzeug: Feuer. Schon die antiken Griechen, aber auch Kain und Abel im Alten Testament, brachten Brandopfer dar. „Durch den Rauch stellte man eine Verbindung zum Himmel her“, erklärt Yelle. Dass das Opfer durch das Feuer zerstört wer­de, unterstreiche dabei die Bitte. Auch heute seien Brandopfer noch weit ver­breitet; anstelle von Tieren werden aber meist Gebetszettel oder Weihrauch ver­brannt.

Gemeinsam klingt's einfach besser

Zu den wahrscheinlich bekanntes­ten Ausdrucksweisen des Gebets gehö­ren das gemeinsame Sprechen oder Sin­gen. Beide Formen seien weltweit verbreitet und auch Kulturen, die sich über Jahrtausende nie begegnet sind, haben hier ganz ähnliche Rituale ent­wickelt: „Gerade deshalb sollte man das Gebet vor allem in einem anthropolo­gischen Licht betrachten“, betont Yel­le. Die Tatsache, dass alle Völker die Sprache als Kommunikationsmittel nutzen, sei die wahrscheinlichste Ursa­che für die ähnlichen Gebetsrituale. „Wenn eine Gruppe sich äußert, dann klingt das ganz anders, als wenn nur eine einzelne Person ein Gebet spricht.“

Dasselbe gelte für Gesang, der religi­onsübergreifend Gebete begleitet und sich vermutlich aus Arbeitsliedern ent­wickelt hat. Beide Elemente vereinen Menschen zu einer Gruppe, die, wenn sie gemeinsam betet, eine völlig ande­re Form von Sprache spricht, als einzel­ne im zwischenmenschlichen Dialog das könnten. Dadurch verändere sich das Gesagte. Es bekomme einen ande­ren Charakter und eine Bedeutung, die über die normale Sprache hinausreiche. Durch eine gemeinsame Körperhal­tung – knien, aufstehen, sitzen, verbeu­gen oder wippen – werde das zusätzlich betont. „Außerdem bekommt das Ge­bet so einen gewissen Rhythmus“, so Yelle.

Besessen vom Heiligen Geist

Neben den gemeinsamen Formen des Betens kennen alle Religionen zu­dem auch die nicht konzertierte Form: das individuelle Gebet. Aber auch das müsse nicht leise und unbewegt ablaufen, sagt Robert Yelle. Besonders dann nicht, wenn die Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen im eigenen Körper stattfinde. So ist zum Beispiel die Vor­stellung weit verbreitet, dass der Körper des Betenden vom angerufenen höheren Wesen kontrolliert werden könne. „Man spricht dann von Besessenheit“, erklärt Yelle. Wer dabei allerdings an Dämonen und Hexerei denkt, liege falsch. Formen der „göttlichen Besessenheit“ finden sich schon in der Antike, so zum Beispiel beim Orakel von Delphi, aber auch im Dionysos-Kult. Sie kommen außerdem bei christlichen Gruppierungen, wie den Quäkern vor.

Auch das Ausstoßen von Lauten und Wörtern – Zungenrede oder Glossola­lie genannt – gehöre zu den äußeren Ausdrucksformen des Gebets. Für Au­ßenstehende mögen solche Rituale zwar befremdlich erscheinen, eines der We­sensmerkmale von Gebeten sei aber ge­rade, dass sie sich von der normalen zwischenmenschlichen Kommunikati­on unterscheiden.

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
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