Zukunftsprognosen

Inwieweit sind Orakel mit Gott vereinbar?

Etwas über die Zukunft erfahren, ist schon immer ein Wunsch der Menschen. Auch in der Bibel ist davon zu lesen. Da werden Gottesmänner besucht, Orakelsteine befragt oder Tote beschwört.

Mit Lossteinen wollte man in Israel mehr über die Zukunft erfahren. © New Africa - stock.adobe.com

Einen Gottesmann besuchen, Orakelsteine befragen oder sogar Tote beschwören: Im Alten Testament finden sich zahlreiche Geschichten, in denen Menschen versuchen, etwas über ihre Zukunft zu erfahren. Der Zweck heiligt für die biblischen Schriftsteller jedoch nicht die Mittel. Im Laufe der Zeit werden immer mehr Formen als unvereinbar mit dem Glauben an den einen Gott angesehen.

Zu den respektierten Gruppen zählen die Propheten. Ein älterer Begriff für sie ist „Seher“: „Früher sagte man in Israel, wenn man hinging, um Gott zu befragen: Wir wollen zum Seher gehen. Denn wer heute Prophet genannt wird, hieß früher Seher“ (1 Sam 9,9). Eine dritte mögliche Bezeichnung ist „Gottesmann“. Aus der Bibelstelle wird deutlich, wodurch sich Propheten auszeichnen: Sie sind in der Lage, göttliche Botschaften zu empfangen und an andere weiterzugeben. Das unterstreichen sie, indem sie an ihre Aussagen eine Botenformel anfügen: „Spruch des Herrn“ oder „So spricht der Herr“. Schon damals hatten die Menschen eine Sensibilität dafür, dass es schwierig ist, zu unterscheiden, welche Botschaften wirklich von Gott kommen. Daher warnt die Bibel an vielen Stellen vor falschen Propheten.

Propheten, Seher und Gottesmänner sagen nicht magisch die Zukunft voraus. Sie machen vielmehr deutlich, dass das (häufig unzureichende) Handeln der Menschen Konsequenzen für ihre Zukunft hat: Wenn ihr so weitermacht, erwartet euch Unheil. Typische Themen sind soziale Missstände und Ungerechtigkeit. Im sogenannten Prophetengesetz in Deuteronomium 18 werden genaue Regeln aufgestellt. Der wahre Prophet soll sich daran zeigen, dass die Zukunft, die er vorhersagt, tatsächlich eintritt. Tut sie es nicht, war die Prophezeiung offenbar nicht von Gott.

Statt Orakel sollen Propheten befragt werden

Obwohl es später kritischer gesehen wurde, war in Israel wie im ganzen Alten Orient zudem das Orakelwesen verbreitet. So gab es etwa Lossteine, Urim und Tummim genannt, mit denen man Fragen positiv oder negativ beantworten konnte. In Exodus 28 wird selbstverständlich beschrieben, dass diese Steine im Priestergewand aufbewahrt werden sollen. Orakel wurden sowohl bei persönlichen Anliegen wie Krankheit zu Rate gezogen als auch bei wichtigen politischen Entscheidungen.

In die Kritik geriet das Orakelwesen zum einen, weil damit auch andere Götter um Rat gefragt werden konnten, und zum anderen, weil es anfällig für Betrug war. Wer konnte garantieren, dass es sich wirklich um einen Ratsspruch Gottes handelt? Das Prophetengesetz lehnt strikt jede Form von Orakeln ab und sieht einzig das Prophetentum als legitim an: „Es soll bei dir keinen geben, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, keinen, der Losorakel befragt, Wolken deutet, aus dem Becher weissagt, zaubert, Gebetsbeschwörungen hersagt oder Totengeister befragt, keinen Hellseher, keinen, der Verstorbene um Rat fragt“ (Dtn 18,10f.). Die Verurteilungen zeigen freilich auch, dass diese Formen durchaus verbreitet waren. 

Totenbeschwörung hat negative Folgen

Trotzdem überliefert das Alte Testament sogar selbst eine Totenbeschwörung. In der als „Besuch bei der Hexe von En-Dor“ überlieferten Geschichte wird berichtet, dass König Saul voller Angst vor der Bedrohung durch die Philister schon alle legitimen Mittel der Zukunftsvorhersage eingesetzt hat. Weder durch Träume noch durch Orakel oder Propheten hat er eine Antwort bekommen. Als Ultima Ratio lässt er eine Frau suchen, die Tote beschwören kann. Zwar gelingt es ihr, den toten Propheten Samuel erscheinen zu lassen, aber was er sagt, ist ganz anders als das, was sich Saul erhofft hat. Er weist ihn lediglich darauf hin, dass er ihm bereits zu Lebzeiten vorhergesagt habe, dass Saul das Königtum verlieren werde: „Als Samuel sich umwandte, um wegzugehen, griff Saul nach dem Zipfel seines Mantels, doch der riss ab. Da sagte Samuel zu ihm: So entreißt dir heute der HERR die Herrschaft über Israel und gibt sie einem anderen, der besser ist als du“ (1 Sam 15,27). Kurz nach dieser Geschichte stirbt Saul, indem er sich in ein Schwert stürzt, um nicht von den Feinden getötet zu werden. Die Aussage ist deutlich: Totenbeschwörung ist unnötig und bringt negative Folgen mit sich.

Totengeister zu befragen, war im ganzen Alten Orient gang und gäbe. Dass die Geschichte von Sauls Totenbeschwörung überliefert ist, zeigt zusammen mit anderen biblischen Andeutungen, dass es sehr wahrscheinlich in Israel genauso war. Erst langsam setzte sich die Überzeugung durch, dass diese Praxis zu einer Überhöhung der Unterwelt und damit zu einer Konkurrenz zu Gott führen könnte. So schied diese Möglichkeit mit der Zeit aus. Die Möglichkeit, etwas über die eigene Zukunft erfahren zu können, blieb aber weiterhin verlockend. (Theresia Kamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Pastoraltheologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt)